Prolog

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Er stand im kalten Flur des Vierten Stocks und blickte durch eines der hohen Fenster hinab auf die Schlossgründe. Wie immer war es ein wenig zugig hier, schien der Wind sich durch die kleinsten Ritzen der Schlossmauern zu stehlen, nur um seine langen schwarzen Roben um seine Knöchel spielen zu lassen. Severus Snape fröstelte. Das geschah selten, doch er hielt sich für gewöhnlich auch nicht in den oberen Stockwerken der Schule auf. Lediglich auf seinen Kontrollgängen, die ohnehin meist nachts stattfanden, wenn ihn niemand sehen konnte.
Er hatte die Arme vor der Brust gekreuzt, und rieb nun geistesabwesend mit den Händen darüber. Es war wohl wieder an der Zeit, einen wärmeren Umhang mitzunehmen, für die nächtlichen Wachdienste, auch wenn der Oktober eben erst begonnen hatte.
Der Meister der Zaubertränke ließ ein leises Geräusch vernehmen- irgendwo zwischen Schnauben und Seufzen. Doch es ging beinahe im Rascheln seiner Kleider unter, als er sich ruckartig vom Fenster abwandte und seinen Weg durch den verlassenen Korridor fortsetzte.
Er hatte hinüber geblickt zur Peitschenden Weide, die vom fahlen Mondlicht beschienen ruhig und unbewegt auf den Ländereien stand. Ein Anblick, den er für gewöhnlich zu meiden versuchte und er verfluchte sich jedes Mal im Stillen, wenn es ihm doch nicht gelang.

Dort hin waren die vier Freunde während seiner Schulzeit in jeder Vollmondnacht geschlichen. Dort hatten sie sich zusammen- Lupin in ihrer Mitte- in den Geheimgang zur Heulenden Hütte gestohlen. Wie oft hatte er sie dabei beobachtet, wie neidisch war er gewesen auf diese kleine Schülerbande, die in der ganzen Schule berühmt und beliebt gewesen war. Wie sehr hatte er im Stillen gewünscht, nur einmal dazu zu gehören. Damals, als er noch ein kleiner Junge gewesen war, der es auf unerklärliche Weise geschafft hatte, sich die beiden beliebtesten Schüler in Hogwarts zum Feind zu machen. Seine bloße Existenz war es gewesen, die den beiden aufgestoßen war, während sie sich zugleich mit einem Werwolf und einem jämmerlichen, unbegabten Versager wie Peddigrew abgegeben hatten.
Ein spöttisches, freudloses Lächeln kräuselte Snapes schmale Lippen. Wenn James Potter nun auch nur die leiseste Ahnung hätte, was er, sein Erzfeind Severus Snape, seitdem getan hatte...
Den Stich in seiner Brust konnte Snape spüren, noch ehe der Name 'Lily' sich ganz in seinem Kopf gebildet hatte. Er verzog das sonst so ausdruckslose, bleiche Gesicht und beschleunigte seine Schritte, während er den Gedanken, die Erinnerung und den damit verbundenen Schmerz ebenso geübt wie brutal beiseite schob. Nicht jetzt. Nicht hier. Niemals wieder und doch auf ewig.

Es waren Gedanken, die ihn zu jeder Zeit begleiteten und die zu denken er dennoch auf meisterliche Art zu vermeiden wusste. Es war nichts anderes als ein Lernprozess, nichts anderes als der simpelste Bestandteil der Okklumentik. Sicher, manchmal war er unachtsam- vor allem in Momenten, die ganz allein ihm gehörten, in der Nacht. Doch Severus hatte gelernt, in diesem Punkt gnädig mit sich zu sein. Solange er seine Nachlässigkeit im rechten Moment bemerkte, gab es keinen Grund sich allzu viele Gedanken darüber zu machen. Seinen Geist zu klären war für ihn nicht mehr schwieriger, als ein Glas Wasser zum Mund zu führen.
Die schwarzen Roben wallten hinter ihm auf, während er um die Kurve bog und den kalten Korridor genauso ausgestorben zurückließ, wie er ihn vorgefunden hatte.

Gletschereis und FrühlingssonneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt