"Entschuldigen Sie, aber Sie haben nicht zufällig einen Jungen mit dunklen Locken, ein bisschen größer als ich und einer blauen Strickmütze gesehen?", fragte ich hoffnungsvoll, doch die Frau im schwarzen Mantel schüttelte nur den Kopf. „Verdammt!", fluchte ich und kickte ein Steinchen über den Weg. Warum konnte Harry nicht einmal bei mir bleiben? Einmal?! Frustriert machte ich einen Schritt zur Seite und lief fast gegen eine alte Straßenlaterne. Applaus. Ich stampfte mit dem Fuß auf und ließ mich schließlich gegen die rostige Laterne sinken. Ich befand mich in einer kleinen Gasse mitten in London. Ein paar Straßen entfernt war ein Weihnachtsmarkt, an dessen Punschstand wir uns schon längst ein wenig aufgewärmt hätten, wäre Harry im Getümmel nicht plötzlich weg gewesen. Hier war niemand, keine Menschenseele, und erst recht nicht Harry Styles. Ich stöhnte und warf meinen Kopf in den Nacken. Toll. Wirklich toll. Ich fing an im Takt von Midnight Memories gegen die Laterne zu trommeln, als mich schleifende Schritte innehalten ließen.
„Was machsn du fürn Lärm, Junge?", krächzte mir ein älterer Mann entgegen, der plötzlich vor mir stand. Der Schreck fuhr mir in die Glieder, mein Herz raste los. Ganz im Gegensatz zu meinen Beinen, die wie versteinert blieben, wo sie waren. Ein Blick nach oben. Er sah nicht besonders gepflegt aus, auf seinem Kopf waren kaum noch Haare zu finden, dafür wucherte sein Bart umso wilder. Inmitten des kleinen Urwalds glaubte ich, gelbe Zähne zu erspähen. Die kleinen roten Augen hielt er fest zusammengekniffen, wahrscheinlich hatte er Sehschwierigkeiten. „Ich – ich nichts.", erwiderte ich, nahm meine Finger von dem kalten Metall und stand auf. Zugegebener Weise hatte ich schon ein wenig Respekt vor diesem Mann, wobei das sehr untertrieben war. Meine Knie schlotterten geradezu. Er trat ein wenig näher und ich machte daraufhin einen Schritt zurück. Der Fremde war mindestens einen Kopf größer als ich und dies trotz seines beachtlichen Alters. „Pass bloß auf, diese Straßen sin nix für Bengel wie dich", meinte er dann und hustete dunkel. Es war beinahe ein Röcheln. „Wa- warum?", fragte ich und starrte ihn höchstwahrscheinlich wie ein Karnickel an. „Nicht... nicht gut", hustete er. Er hörte gar nicht mehr auf damit und taumelte ein Stück nach hinten. „Geht's Ihnen gut?", rief ich hektisch und stützte ihn. In diesem Moment war mir die Gesundheit des Fremden wichtiger als meine Angst. Nachdem er sich beruhigt hatte, schüttelte er meine Hand ab und entfernte sich ein paar Schritte. „Und wenn schon", krächzte er und schaute mich aus blutunterlaufenen Augen an. Ich blinzelte. „Wen interessierts?" Dann hinkte er weiter. „Warten Sie!", schrie ich. „Sicher, dass Sie zurechtkommen?" „Um mich machst dir besser keine Gedanken. Ich an deiner Stelle würd mich hüten... Diese Gassen sind nichts für Bengel wie dich. Weißt nie, was für Gestaltn sich hier rumtreibn.", rief er rau und fing kurz darauf wieder an zu husten.
Nach kurzer Zeit war er auch hinter der nächsten Hausecke verschwunden, von seinem andauernden Husten begleitet. Gruselig. Blätter raschelten und eine Gänsehaut durchfuhr mich. Nach dieser Warnung war mir nicht mehr ganz so wohl zumute. Dieser Kauz war zwar seltsam gewesen, aber recht gehabt hatte er sicher. Hier geisterten nicht nur wohlgesonnene Wesen herum. Ich und Harry sollten schnellstens von hier verschwinden, bevor wir noch überfallen wurden oder Ähnliches. Harry. Nervös nahm ich mir die Mütze ab und fuhr durch meine Haare. Was sollte ich jetzt nur tun? Angespannt zupfte ich an der grünen Strickmütze in meinen Händen herum. Dem Gegenstück zu Harrys. Was war, wenn er sich verlaufen hatte und jetzt irgendwo saß und nicht mehr heim wusste? Oder überfallen und beraubt wurde? Verletzt? Ermordet? Ein kalter Schauer fuhr mir über den Rücken. Nackte Angst. Ich wüsste nicht mehr, was ich ohne ihn tun würde. „Shit!", schrie ich. „SHIT!" Ich trat gegen die alte Laterne. Einmal, zweimal, dreimal.
Nach einer Weile ließ ich mich erschöpft gegen sie fallen. „Keep calm and be a sassy unicorn", das, was meine Schwestern mir immer sagten. Also. Ruhig bleiben, du sassy Unicorn. Ich stieß einen verzweifelten Lacher aus. Mit meinem Gehirn war eindeutig etwas nicht in Ordnung. Aber gut. Es ging um Wichtigeres. Wenn ich Harry wäre, wo wäre ich hingegangen, hätte ich mich verlaufen? Ich ließ meinen Blick schweifen. Hier war nichts, ein alter, knochiger Baum, auf dessen Zweigen noch vereinzelt braune, verwelkte Blätter hingen, die rostige Laterne, an der ich lehnte und heruntergekommene Häuser. Brachte mir ja total viel... Ein klein wenig verzweifelt schloss ich die Augen. Von weit her konnte ich ausgelassenes Gelächter vernehmen. Der Weihnachtsmarkt. Harry und ich sollten jetzt auch dort sein, unseren Punsch trinken und Spaß haben, aber nein, Mr. Styles brauchte ja wieder die Extrawurst... Die Zweige des alten Baums bewegten sich und es schüttelte mich. Gruselig. „Baum, wenn du mich irgendwie hörst, dann hilf mir, bitte.", flüsterte ich und kam mir dabei selbst wie der letzte Idiot vor. Die Augen noch immer geschlossen begann ich im Kopf auf 10 zu zählen. Wenn Harry dann nicht vor mir stehen würde, dann würde ich jemanden holen gehen. Oder alternativ komplett verzweifeln. 1... 2... 3... Warum passierte denn nichts? 4... 5... 6... Das schiefe Klimpern einer Gitarre brachte mich aus meinen Gedanken. Genervt schnaubte ich. Wenn man schon Gitarre spielte, konnte man es dann nicht ordentlich machen? Gitarre. Harry. Oh mein Gott! Das war die Lösung! Ich dankte schnell dem alten Baum mit einer angedeuteten Verbeugung, er knarzte zurück. Dann machte ich mich auf, in die Richtung, aus der das Gitarrenspiel kam, dass sich in der Zwischenzeit schon verbessert hatte. „Schau, das ist das G", hörte ich dann jemanden sagen. „Probier's doch mal"
Ich bog um die letzte Hausecke und dann sah ich ihn. Die blaue Strickmütze schief auf dem Kopf saß er mit dem Rücken zu mir auf einer brüchigen Mauer in einem heruntergekommenen Hinterhof, neben ihm ein kleines, dunkelhaariges Mädchen, vielleicht fünf Jahre alt. Sie hatte die Gitarre in der Hand und Harry korrigierte gerade ihren Griff. „Schau, du musst sie so halten." Ich konnte nicht anders als zu lächeln. Wie jedes Mal, wenn ich meinen besten Freund mit einem Kind sah. Es war einfach zum Umkippen süß, die Art, wie er mit ihnen umging. Sollte ich jemals ein Kind haben und einen Babysitter benötigen, ich würde Harry engagieren. Ich kam einen Schritt näher und der Kies unter meinen Füßen knirschte. Sofort schaute das Mädchen auf, erblickte mich und sprang auf. Sie hatte einen hektischen Gesichtsausdruck aufgelegt, aber so herzlos es auch klingen mag, dieses Kind interessierte mich gerade einen Scheiß. Denn es war nicht die einzige Person, die mein Ankommen bemerkt hatte. Auch Harry hatte sich umgedreht. Funkelnde, grüne Augen, die mich anstrahlten und dieses Grübchen-Grinsen, was ich so sehr vermisst hatte, obwohl wir uns gerade mal vor einer Stunde noch gemeinsam durch die Mengen gedrückt hatten. „Oh mein Gott", atmete ich aus. Dann sprintete ich los und zog ihn in eine knochenbrechende Umarmung. „Oh mein Gott.", wiederholte ich. „Du lebst." Ich schob ihn ein Stück von mir, um zu sehen, ob ihm irgendetwas fehlte und kam mir schon selbst wie meine eigene Mutter vor. „Warum sollte ich denn nicht leben, Lou?", fragte Harry mich vorsichtig. „I-ich weiß es nicht.", sagte ich nur und drückte ihn wieder nah an mich, um die aufkommenden Tränen zu verstecken, die sich ihren Weg über meine Wangen bahnten. „I-ich... oh mein Gott." Ich schniefte. Nach einer Weile entzog sich Harry sanft der Umarmung und drehte den Kopf ein Stück, sodass seine wilden Locken genau in mein Gesicht schlugen. Ich kuschelte mich unauffällig näher an sie und nahm einen tiefen Atemzug. Harry. „Boo, ich muss dir jemanden vorstellen. Das ist - ", doch das kleine Mädchen war nicht mehr da. Ein enttäuschter Ausdruck huschte über sein Gesicht. „Sie ist weg", sagte er ernüchtert. „Das ist sie. Aber dafür bist du wieder da.", versuchte ich ihn zu beruhigen und zog ihn wieder nahe zu mir.
Im Nachhinein weiß ich nicht mehr, wie es dazu kam, aber irgendwie landeten in dieser Umarmung Harrys weiche Lippen sanft auf meinen. Und so endeten wir küssend mitten in London, in einer kleinen Gasse, die keiner kannte, neben einer alten, bröseligen Mauer, einer rostigen Laterne und einem magischen Baum. Aber der Moment war auf seine Art und Weise perfekt. Obwohl uns die Ohren abfroren, hinter jeder Ecke dunkle Gestalten lauern konnten und ich gerade meinen besten Freund küsste, es war perfekt. Ob der Impuls von ihm oder mir kam - ich weiß es nicht mehr. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich diesen Moment wohl nie vergessen werde. Das Gefühl, seine Lippen auf den meinen zu spüren, die eine Gänsehaut an meinem ganzen Körper auslösten, sein Atem, der gegen meine Haut prallte, seine warmen Hände, die mich näher an ihn zogen und sein breites Grinsen, als ich ihn ganz nah an mein Herz drückte und nie wieder losließ.
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Adventskalender 2020 - Larry Stylinson ✔
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