Das Mittagessen war eine Wohltat für Hermine, die glückselig lächelnd von der Couch aus Anni beobachtete, die mit Mrs Danvers ihre Puppenkiste auskramte und dem Kindermädchen jede Puppe in die Hand drückte, deren Haare verknotet, verklebt oder zerzaust waren. Tief fasste das Kind hinein in die himmelblaue Truhe und plapperte aufgeregt vor sich hin.
„Die hier hatte einmal einen zweiten Schuh, Danny. Aber ich kann ihn nicht finden.", jammerte sie und beugte sich weiter hinein, um den Boden der Truhe zu inspizieren und nach dem roten Stiefel einer Puppe zu suchen, die sie achtlos gegen ein Tischbein geworfen hatte.
„Hast du den Stiefel gesehen, Mini?", fragte sie schließlich, als sie sich ein paar Augenblicke später mit frustriertem Blick wieder im Schneidersitz niederließ.
„Nein. Ich spiele nicht mehr mit Puppen, Liebling.", antwortete sie und lehnte sich zurück in die Sofalehne, „Aber bald ist Heiligabend. Vielleicht liegen ja dieses Jahr ein neues Paar Puppenschuhe unter dem Baum."
Hoffentlich vergaß sie es nicht diese blöden Puppenstiefel zu besorgen. Bei all dem, was momentan los war.
„Sind wir Heiligabend wieder auf dem Land? Die haben da schönere Christbäume als hier. Und Schlittenhügel. Nicht dass es hier Schlittenhügel gäbe, aber ich bin da viel lieber als hier.", sagte sie und blickte zu Hermine auf, die aus dem Grinsen nicht mehr herauskam. Es war noch immer so surreal für sie, dass ihr Mädchen nun auf dem Teppichboden vor ihr saß und fröhlich plappernd Leben in Hermines sonst so stille Suite brachte. Vorhin beim Essen hatte sie sich oft dabei ertappt, wie sie ihre Augen nicht von Anni nehmen konnte, wie sie lachend mit der Suppenkelle über den Tellerrand gekleckert hatte und mit roten Wangen frech zu Peter aufsah, der den letzten Koffer heraufgebracht hatte. Sie war so ein kleiner, lieber Mensch, der Hermines Herz aufs Doppelte anschwellen ließ und es in tausend Teile brach, wenn der Tag kam, an dem alle Spielsachen wieder zurück in die Truhe kamen und das Kind mit gepackten Koffern und Taschen in die Kutsche stieg, die sie entweder zum Bahnhof King's Cross oder ihrer Mutter Beatrice brachte.
„An Heiligabend sind wir hier im Hotel, aber am nächsten Morgen fahren wir. Dass du noch ein paar schöne Tage mit Schlittenfahren verbringen kannst.", erwiderte Hermine und lachte leise, als sich Annis Gesicht zu einer enttäuschten Miene verzog.
„Aber wir sind immer an Heiligabend hier! Wegen diesem blöden Ball.", beschwerte sie sich kleinlaut und strich mit einem Kamm durch das Haar einer Puppe.
„Weißt du was?", begann Hermine und beugte sich vor, als Annis glitzernde Äuglein bei ihrem euphorischen Ton aufleuchteten, „Dein lieber Herr Papa musste schon Dasselbe in deinem Alter durchmachen. Und dein Großvater ebenso. Und sogar schon der Vater deines Großvaters. Es ist eine Tradition, die schon seit hunderten Jahren stattfindet. Zuerst geht sich jeder hübsch machen, dann gibt es Champagner und wenn die Uhr über der großen Treppe sieben Uhr schlägt, macht sich jeder auf den Weg in die Oper. Und danach kommt der Teil, der dir immer so gefällt."
„Das Weihnachtsessen!", rief das Mädchen mit etwas besserer Laune und entsann sich kurz an das Siebengängemenü, obwohl sie noch nie mehr als den Hauptgang und den Nachtisch geschafft hatte.
„Ente, Beef Wellington, Spanferkel. Alles was du dir wünscht, gibt es an diesem Tag. Und wenn jeder satt ist und dir die Augen zufallen, dann bringe ich dich ins Bett und sage Danny, dass sie auf dich aufpassen soll, solange ich unten beim Tanzen bin.", redete Hermine weiter und spürte jetzt schon ihre Kräfte schwinden, wenn sie allein schon an diesen anstrengenden Abend dachte. Während alle in der Oper saßen, lief sie auf Hochtouren und sorgte dafür, dass alles perfekt angerichtet, jeder in der Küche beschäftigt war und das Orchester langsam seinen Platz im Ballsaal einnahm. Die Anspannung, die sie Jahr für Jahr an diesem Abend überkam, ließ sie jedes Mal aufs Neue fast durchdrehen, doch ihr fiel ein Stein vom Herzen, wenn die Gäste langsam wieder eintrudelten. Während des Essens bekam sie nie einen Bissen hinunter und war zu sehr beschäftigt sich mit Politikern, Unternehmern und anderen berühmten Zaubereipersönlichkeiten zu unterhalten. Von dem gigantischen Orchester, das kein mickriges Fünferensemble, sondern ein ganzes Podium voller Oboen, Posaunen, Saxophonen und Bratschen, Kornetten, Piccoloflöten und hohen, tiefen Trommeln war, bekam sie nichts mit, da sie alles um sich herum ausblendete und sich auf ihr Gegenüber konzentrierte. Erst gegen halb zehn, wenn Anni müde auf ihrem Stuhl saß und Arme und Beine baumeln ließ und ins Bett gebracht werden musste, wurde Hermines Kopf lauter als das immer opulenter spielende Orchester. Wenn sie die Kleine zudeckte, das Licht löschte und die Zimmertüre anlehnte, nahm sie immer den ersten tiefen Atemzug an diesem Abend und fragte sich, wann sie denn selbst ins Bett gehen könnte. Der Ball dauerte nämlich bis zum Morgen und die letzten Gäste gingen teilweise erst vor dem Brunch ins Bett und verschliefen dann meist das darauffolgende Mittagessen. Es war für Hermine die Nacht des vollen Ballsaals, durch den Damen mit eleganten Kleidern mit prunkvollen Schleppen und glänzenden Diamanten um den Hals ihrer Begleitung in Frack entgegenschmachteten und stundenlang tanzend ohne einen falschen Schritt über den Marmorboden schwebten. Wenn gegen sechs Uhr morgens das Frühstück serviert wurde, war die ältere Gesellschaft meist schon zu Bett gegangen und die etwas jüngeren Generationen schon zum Teil betrunken oder beschwipst.
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Mea culpa | Deutsche Dramione Fanfiction
Fanfiction[Deutsche Dramione Fanfiction] Hermine ist aus der Rolle der heldenhaften, jungen Hogwartsschülerin herausgewachsen und hat sich innerhalb kürzester Zeit an die Spitze der magischen Geschäftswelt gearbeitet. Als Besitzerin des berühmten Grand London...