» Kapitel 03

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Lange hatten wir nicht mehr draußen gesessen, da einige aus Em‘s Freundeskreis ein kleines Spiel vorbereitet hatten und jeden, der sich nicht im Gemeindezentrum befand, gebeten hatten, reinzukommen. Was für ein Spiel es genau war, konnte ich nicht wiedergeben, da ich die ganze Zeit über nur damit beschäftigt war, Tim dabei zu beobachten, wie er mit einem kurzhaarigen Mädchen schäkerte und ihr ab und an seine Hand auf ihre Hüfte legte. Ich wusste nicht, wieso er sich nach dem Gespräch mit mir so sehr distanzierte, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es an mir liegen würde. Hatte ich vielleicht was Falsches gesagt? Ihn unfair behandelt oder zu wenig beachtet? Eigentlich konnte ich den letzten Punkt ausschließen, da ich ihm während des Gesprächs genug Aufmerksamkeit schenkte und er sich sofort von mir trennte, nachdem wir den großen Raum betraten, wo die anderen Gäste schon auf ihren Plätzen saßen. Meine Laune schlich sich auf dem Barometer in den Keller und mein Ausdruck im Gesicht schien auch den anderen Leuten um mich herum zu verraten, was in mir vorging. Doch das war mir egal. Gerade auch aufgrund der Tatsache, dass Tim mittlerweile eine halbe Stunde mit dem unbekannten Mädchen verschollen war. Nicht eines Blickes würdigte er mich, als er seine Hand leicht auf ihren Rücken legte und sie über die Tanzfläche hinüber zum Ausgang schob, um mit ihr in der dunklen Nacht zu verschwinden. 
»Was guckst du denn so grimmig?«, stieß Phil mich an, als ich an meinem Sekt nippte und die nächste Runde Schnaps für ihn und mich einschenkte. 
»Hast du nicht gesehen, mit wem Tim abgedampft ist? Und die beiden sind nicht gerade kurz weg.«, schnell prostete ich Phil zu und kippte den Inhalt meine Kehle hinunter. 
»Ja, doch. Aber mensch, Tim redet immer groß und führt sich immer so auf, als würde er jedes Mädel abschleppen können, aber wenn es dann wirklich so weit kommen sollte, ist er so klein mit Hut.«, versuchte der Freund meiner besten Freundin mich zu beruhigen und zeigte einen Abstand von ein paar Millimetern zwischen Daumen und Zeigefinger auf. 
»Warte ab, und gleich kommt er reingestürmt, die Haare total durcheinander und hat das Grinsen schlechthin auf seinen Lippen.«, verdrehte ich die Augen.
»Em, hey, Em, komm mal her!«, rief Phil urplötzlich gegen die laute Musik an, und lehnte sich über den mit Getränken und Gläsern voll gestellten Tisch. 
»Was denn?«, kam Angesprochene auch schon zu uns herübergehüpft. Kurz drückte sie Phil einen Kuss auf, ehe sie uns fragend und mit den Händen auf dem Tisch abgestützt, ansah,
»Weißt du, wo Tim ist? Lia hat schon Angst, dass er mit der brünetten Dame abgezischt ist.«. Klärte Phil seine Freundin auf.
»Der war gerade mit Lisa spazieren. Ich weiß aber auch nicht was da passiert ist. Mach dir aber keine Sorgen, der plappert eh nur und hat nichts dahinter.«, wank Emmi ab und wuschelte mir einmal durch die Haare, ehe sie sich wieder umdrehte, um sich um die anderen Gäste zu kümmern. Grummelnd und meine Haare richtend, sah ich ihr hinterher und versank wieder einmal - und meiner Meinung nach schon viel zu häufig an diesem Abend – in meinen Gedanken. Alle behaupteten, Tim würde nur plappern und im Endeffekt sowieso kein Mädchen anrühren oder etwas mit ihr anfangen, aber wieso sollte er sich denn dann bitte mit einem von der Party aus dem Staub machen? Um mit ihr über Gott und die Welt zu reden? Vielleicht sollte ich Em und Phil einfach nur glauben und mir meine negativen Gedanken, die Tim schon regelrecht zu schlimmen Dingen verurteilten, aus dem Kopf schlagen. Ich war schließlich hier, um Spaß zu haben und nicht über einen Jungen zu grübeln, der mit mir verkuppeltwerden sollte. Vielleicht war die Einstellung, der ganzen Sache lockerer gegenüberzustehen, besser, als wenn ich mich so verklemmt und wie ein zynisches, naives Kind verhielt. Ich ließ es einfach auf mich zukommen.

»Na, was sitzt du denn hier so alleine rum?«, grinste Tim gutgelaunt, als er sich nach einer Ewigkeit, die er an dem Tisch der Mädels saß, losreißen konnte und sich neben mir niederließ. 
»Och, Phil wurde zum Tanzen gezwungen und die anderen stehen draußen an dem Stehtisch und rauchen.«, erklärte ich ihm und nippte an meinem neu gefüllten Sektglas. 
»Du rauchst doch auch hier drin.«, sah er mich verwundert an und deutete auf die Packung Pall Mall, die vor mir auf dem Tisch lag.
»Ja, deswegen verstehe ich auch nicht, wieso alle rausgehen. Emmi meinte zu mir, dass hier auf jeden Fall geraucht werden darf. Als wir hier waren, um alles vorzubereiten, hat der DJ beim Aufbauen auch schon geraucht.«, ich zuckte mit meinen Schultern und sah verlegen, da ich schon wieder so viel redete – und dazu dann wahrscheinlich auch noch so einen Stuss -, auf meine Finger, die ich knibbelnd in meinem Schoß versteckt hatte. Ich traute mich gar nicht mehr aufzusehen, geschweige denn Tim anzugucken, da ich wahrscheinlich mit hochrotem Kopf hier sitzen und ihn anstarren würde. Er hatte halt doch so seine positiven Seiten, die mich womöglich in den richtigen Momenten schwach werden ließen. Die Ausstrahlung, die sein Gesicht, sein ganzes Wesen besaß, ließ einen schon regelrecht dahinschmelzen, ohne dass er den Mund dazu öffnete, um irgendetwas zu sagen. 
»Na ja, dann ist die Luft wenigstens besser, wenn nur eine Person den Raum vollqualmt.«, lachte Tim. Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie er seinen Arm auf die Lehne der Eckbank legte und mit seinen Fingern somit nur wenige Zentimeter von meinem Körper entfernt war. Auch sein Blick schnellte zu mir und wartet auf eine Reaktion. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, fing einfach an zu lachen und hob meinen Kopf, um in die Menschenmenge vor uns zu sehen. Zwar tat ich so, als würde ich konzentriert auf die anderen Gäste achten und verstärkte meinen intensiven Blick mit dem ein oder anderen Lachen, welches dem tanzenden Juli gehören sollte, jedoch hatte ich nur einen Gedanken: Berühr mich. Von Sekunde zu Sekunde, die Tim fast schon zappelnd neben mir saß und mir den ein oder anderen seitlichen Blick schenkte, wuchs der Wunsch, von ihm berührt und an meinem Oberarm gestreichelt zu werden, immer mehr. Ich wünschte mir, seine weichen Fingerkuppen auf meiner Haut spüren zu können und das Kribbeln, welches sich schon bei dem alleinigen Gedanken in mir ausbreitete, total entfachen zu lassen. 
Es kam mir vor, als würden wir minutenlang nebeneinander sitzen, die anderen Leute beobachten und schweigen. Fast schon hätte ich behaupten können, seinen Atem an meiner Haut spüren und seinen Herzschlag hören zu können. Dass das aufgrund der lauten Musik jedoch mehr als unmöglich war, kam mir in diesem Moment, der mich so sehr fesselte und fast schon den Atem anhalten ließ, um ihn besser und folglich völlig ungestört genießen zu können, nicht in den Sinn – viel zu benebelt war ich von Mister Right, der neben mir saß und mir jeglichen Verstand, den ich hätte gebrauchen können, raubte. 
»Was hältst du davon, rauszugehen?«, kam er meinem Ohr ein wenig näher und hauchte die Worte, trotz der lauten Musik, sanft in mein Ohr. Sofort verkrampfte ich mich, mein Herz fing an zu pochen, als hätte ich eine freudigere Nachricht in meinem Leben noch nicht gehört, und meine Beine bewegten sich wie von alleine vorwärts und ließen mich von der Eckbank rutschen. Ohne ein Wort zu sagen, stand ich da und sah ihn wartend an.
»Komm.«, fügte ich noch hinzu, als er nicht reagierte und mich nur mit einem fragenden Blick musterte. Als ich noch ein Kopfnicken als Verstärkung hinzufügte, stand Tim endlich auf und griff nach meiner Hand. Ein Schauer, der mit einem Stromschlag der positiven Sorte zu vergleichen war, raste durch meinen Körper und brachte jedes einzelne Härchen in die Senkrechte. 
Mit hängendem Kopf, da nicht jeder das breite Grinsen in meinem Gesicht erblicken sollte, quetschte ich mich hinter Tim her und durch die Menschenmenge, die sich freudig und mit der besten Laune, die sie hätten haben können, auf der Tanzfläche tummelte. Kaum hatte ich die Füße meiner besten Freundin entdeckt, hob ich meinen Blick, wurde einen Schritt langsamer und grinste sie voller Freude an. Ein verzogenes Gesicht, das mir ungefähr so viel wie »Holla« sagen sollte, blickte mir entgegen. Unkommentiert ließ ich sie einen Schritt vor mir stehen und übernahm den Platz, den Tim vorher eingenommen hatte, und zog ihn durch die Tür, an den Gesichtern der Raucher vorbei und auf den kleinen gepflasterten Weg. Langsam verloren sich unsere Finger und den Schritt, den ich schneller war, versuchte er keinesfalls aufzuholen. Als hätte jeder von uns beiden gewusst, dass wir wieder Richtung Bank gehen wollten, liefen wir schweigend hintereinander auf dem Pflaster entlang. Hätte mich jemand gefragt, was ich in dem Moment gefühlt oder gedacht habe, hätte ich es nicht beantworten können. Im Nachhinein wusste ich nur noch, dass ich in meinem Leben kaum so aufgeregt war, wie in diesen wenigen Sekunden, die mit voller Ungewissheit und doch so viel Ahnung gefüllt waren. 
»Warte doch mal.«, flüsterte Tim dann urplötzlich in die dunkle Nacht, was mich zum abrupten Stehenbleiben trieb. Langsam drehte ich mich mit einem Kribbeln im Bauch um, als er auf mich zukam, meinen Arm packte und mich rückwärts die letzten Schritte um die Hausecke schob und mich kurze Zeit später gegen die weiße Wand des Gemeindezentrums drückte. Voller Sehnsucht blickte er mir in die Augen, legte seine Hände an meine kalten Wangen und zog meinen Kopf näher an sich heran. Automatisch umgriff ich mit der einen Hand sein Handgelenk und strich mit der anderen über seinen Brustkorb, hinauf zum Hals und verharrte im Nacken, wo ich meine Finger in seine hellen Locken krallte. Der Moment, an dem unsere Lippen sich trafen, er langsam anfing, meine zu massieren und mit seiner Zunge langsam herüber strich, verging viel zu schnell, doch desto ruckartiger wurde ich in den Moment gerissen, an dem das Verlangen nach dem jeweils anderen an oberster Stelle stand. Sanft aber dennoch bestimmt drückte er seinen Körper gegen meinen, wanderte mit seiner Hand ebenso in meinen Nacken und suchte sich mit der anderen eine freie Stelle zwischen der Hauswand und meinem Körper, um dort zu verweilen. Ich spürte das Verlangen in seinen Küssen, die Sehnsucht in seinen Berührungen und das Kribbeln, welches sich unaufhörlich in meinem Körper, in meinen Venen und in meinen Lippen breitmachte. Ich wusste nicht, in welche Welt ich abtauchte, spürte aber, dass es eine Welt war, aus der ich in diesem Moment nicht so schnell wieder entfliehen wollte.

In dein HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt