» Kapitel 13

37 3 0
                                    

Mit brummendem Kopf und eben jenen auf meinen angewinkelten Armen abgestützt, saß ich in der prallen Sonne des Julitages und verfluchte jeden noch so kleinen Schluck an Alkohol, den ich zu mir genommen hatte. Nachdem am Vorabend alle Mädels eingetroffen waren und wir die Mengen an Sekt vernichtet hatten, die sich in Emmis Kühlschrank befanden, zogen wir gegen halb elf in Richtung Wolfsburg los, um dort in etlichen Clubs und Kneipen der Stadt den letzten Abend von Emmi in Freiheit zu feiern. Der letzte Abend, den sie mit uns als unverheiratete antrat. Ob der Ring am Finger etwas ändern würde? Ich bezweifelte es. Zwar würde Em womöglich noch verantwortungsbewusster und erwachsener werden, jedoch immer noch die alte bleiben.

Von den Jungs hatten wir seit gestern nichts gehört. Da Phil und Lenny die gestrige und heutige Nacht bei Phils Bruder verbringen würden, würden wir sie auch bis zur Hochzeit nicht mehr zu Gesicht bekommen. Dass es Emmi um Längen schwerer fiel als mir, war vorherzusehen. Ich war die Zeit über nur damit beschäftigt, zu hoffen, dass Lenny sein Versprechen eingelöst hatte und nicht mit Tim zusammengestoßen war.
»Geht es dir auch so beschissen?«, hörte ich auch schon die nuschelnde und kratzige Stimme meiner besten Freundin hinter mir. So leise sie auch sprach – trotzdem hatte ich das Gefühl, mein Kopf würde jede Sekunde unter dem Dröhnen ineinander fallen oder zerplatzen.
»Du glaubst nicht, wie beschissen.«, krächzte ich und zwängte einen Schluck Wasser meine Kehle hinunter, um meinen vom Alkohol ausgetrockneten Körper mit Wasser zu befeuchten.
»Ich bin so froh, dass wir den Junggesellinnenabschied nicht direkt den Abend vor der Hochzeit gemacht haben.«, seufzte Emmi und ließ sich unsanft auf dem Gartenstuhl mir gegenüber nieder. »Ich brauche heute auf jeden Fall einen Mädelstag. Und zwar so richtig: Ganz viel Saft, Obst, Gemüse, ein entspannendes Bad und am besten noch eine Gurkenmaske!«
»Und zum krönenden Abschluss Mit dir an meiner Seite in den DVD-Player schieben.«, beendete ich ihr Vorhaben. Es blieb schon seit unserer Teenager-Zeit kein Treffen vor diesem Film verschont. Jedes Mal endete es in einem Schluchzen, während wir unsere Nasen mit Taschentüchern aus den extra großen Packungen putzten und nur so vor Mitleid für die Protagonisten sprühten. Egal, wie schrecklich traurig wir die Geschichte um Ronnie, Will und ihren romantischen Sommerflirt mit Verlust des Vaters und der eigenen Trennung fanden, mussten wir den Film immer wieder ansehen, um uns vor Augen zu führen, wie schrecklich es Ronnie in dieser Zeit doch hatte. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass wir umso zufriedener waren, desto schrecklicher die Storyline verlief.
»Ich schnipple uns Gurken für die Maske, presse uns einen Orangensaft und du lässt das Wasser in die Badewanne?«, schlug sie vor. Nickend schob ich meinen Stuhl zurück, stand auf und ging, ohne noch irgendetwas zu sagen, an ihr vorbei, um im oberen Stockwerk das Bad für den anfangenden Mädelstag herzurichten.

»Gott, ich wusste gar nicht, dass warmes Wasser an einem heißen Tag so gut tun kann.«, seufzte ich und ließ meinen Kopf in den Nacken fallen. Entspannt saß ich mit Emmi in der großen Eckbadewanne. Beide hatten wir Gurkenmasken im Gesicht, unsere Haare zurückgebunden und die Beine über den Rand nach draußen geworfen, und genossen die Sekunden der Ruhe. Die Ruhe vor dem Sturm.
»Das kannst du aber laut sagen!«, stimmte sie mir zu und nippte an ihrem Orangensaft.
»Lieber nicht, ich hab immer noch Kopfschmerzen.«, kicherte ich leicht und hielt mir Sekunden später auch schon wieder die Stirn. Dass die Tablette nicht wirkte, war bei mir kein Wunder – das tat sie seltsamerweise nie.
»Dann sag mir wenigstens, wie es dir geht.«, ergriff sie die Alternative, ohne mich vor die Wahl zu stellen.
»Ich habe Kopfschmerzen – scheiße geht es mir also.«, leicht öffnete ich ein Auge und schielte zu ihr herüber. Dass sie mit einem selbstsicheren Grinsen neben mir in der Wanne saß und mit ihrer freien Hand leicht durch das Wasser fuhr, ließ mich die Stirn runzeln. Klar, wusste ich, worauf sie hinaus wollte und wusste auch, dass ich dem Gespräch, welches sie am Vorabend mit mir beginnen wollte, nicht ausweichen konnte.
»Abgesehen von den Kopfschmerzen und das Augenmark eher auf Tim gerichtet.«, wurde sie direkter. Trotz dessen, dass ich wusste, auf was sie hinaus wollte, zog sich für einen Moment mein Herz zusammen und ich hatte das Gefühl, mit meinem veränderten Gesichtsausdruck würden die Gurkenscheiben nur so aus meinem Gesicht fallen.
»Wieso ist es dir so wichtig, das zu wissen? Langsam müsstest du mir doch glauben, dass ich mit Lenny glücklich bin und Tim mich nicht mehr interessiert. Er ist zu meiner Vergangenheit geworden und das ist auch gut so!«, mit vollem Schwung setze ich mich wieder aufrecht hin, nahm die Gurkenscheiben von selbst aus dem Gesicht und blickte Emmi, die immer noch so entspannt neben mir saß, an.
»Weißt du, was ich so langsam glaube?«, fragte sie mich und verzog keine Miene. »Dass du dir zur Lebensaufgabe gemacht hast, dir selbst und deinen Mitmenschen einzureden, dass Tim dir scheißegal ist.«, ohne eine Antwort abzuwarten, ballerte sie mir ihre Worte mitten ins Gesicht. Auch sie hatte sich aufgerichtet und sah mich durchdringlich an.
»Was soll das heißen?«, ungläubig blickte ich sie an und die Vorahnung, weswegen ich Tim gestern schon über den Weg gelaufen bin, breitete sich immer mehr in mir aus.
»Denkst du wirklich, dass man es nicht sieht? Denkst du nicht wirklich, dass ich die ganze Zeit weiß, dass du Lenny niemals so liebst und lieben wirst, wie du Tim geliebt hast? Du hast Lenny nie so angesehen, wie du Tim in dieser kurzen Zeit angesehen hast. Verdammt, Lia, du liebst ihn doch immer noch.«
»Soll das heißen, dass er nur hier war, damit ich wieder genau daran erinnert werde, was er mit mir gemacht hat?!«, empört kroch ich aus der Wanne, richtete meinen Bikini und schlang mir ein Handtuch um die Hüften.
»Nein, das soll heißen, dass du endlich merken sollst, wer an deiner Seite sein soll!«, Emmi tat mir mein Handeln nach und wuselte voller Empörung über mich durch das große Badezimmer.
»Ich denke, dass ich am allerbesten weiß, wer an meiner Seite sein soll. Und das ist verdammt nochmal nicht Tim!«, meine Tonlage stieg bis ins Unermessliche und mein Kopf schien aufgrund meiner noch immer da seienden Kopfschmerzen bald zu zerplatzen.
»So, wie du all die Jahre immer am besten wusstest, was für dich gut ist? Lenny in allen Ehren, er hat dich aus dem größten Loch raus geholt, aber trotzdem wirst du mit ihm niemals so glücklich sein, Lia.«
»Ich muss hier raus, ich ersticke sonst!«, fuhr ich sie an und hetzte aus dem Badezimmer, um mich im Gästezimmer umzuziehen, meinen iPod in die Hand zu nehmen und trotz schlechtem Kreislauf einfach loszujoggen. Ich wusste, dass es mir nichts bringen würde, da jede Straße und jede Hausecke mich an Tim erinnern würde, doch trotzdem wollte und konnte ich mir nicht das anhören, was Emmi mir einzutrichtern versuchten. Ich konnte mir nicht mit anhören, wie sie mir die Wahrheit mitten in mein Gesicht schrie.

»Liebe ist wie eine Waffe, die man mit unendlichem Glück oder zerfetzender Traurigkeit laden kann.«  

In dein HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt