»Wie? Du hast ihn wirklich geküsst? Also ich meine so richtig? Nicht nur ein Bussi auf den Mund unter sehr guten Freunden?«, perplex blickte Emmi mich über den Küchentisch her an. Grinsend biss ich in mein Brötchen und genoss dieses Gefühl der umherfliegenden Schmetterlinge in meinem Bauch in vollen Zügen. Es war absurd von Schmetterlingen zu reden, beziehungsweise Gedanken daran zu verschwenden, doch irgendwie fühlte es sich in diesem Moment nicht gerade falsch an. Der Zwischenfall am gestrigen Abend, den ich mit dem Einschlafen in Emmis Armen beendete, ließ mir wieder einmal klar werden, was Tim mir vor fünf Jahren angetan hatte. Mir wurde von Tag zu Tag bewusster, dass ich das Buch zuklappen, die Kapitel beenden musste, um ein neues Buch anzufangen – ein neues Buch mit dem Protagonisten Lenny an meiner Seite.
»Doch. Ich hatte dieses Bedürfnis dazu. Ich meine, er ist wirklich attraktiv und irgendwie habe ich das Gefühl, dass es nicht gerade falsch ist, mich auf ihn einzulassen.«, versuchte ich meiner besten Freundin zu erklären. Auch sie kannte Lenny gut genug, um mir zuzustimmen, dass er es mit seinem Aussehen und seiner sehr charmanten Art nicht gerade schwer hatte, den Frauen den Kopf zu verdrehen.
»Dass er schon lange was von dir will, war mir schon immer klar, das sieht schließlich ein Blinder mit Krückstock. Aber dass du...ich meine, wieso auf einmal?«, sie ließ ihre Kaffeetasse mit einem dumpfen Geräusch auf die harte Tischplatte sinken und blickte mich mit verschränkten Armen an.
»Manchmal braucht man halt ein wenig länger um zu sehen, dass der Richtige eigentlich schon so lange vor einem steht.«, versuchte ich mich zu erklären.
»Und was magst du so sehr an ihm, das du erst jetzt entdeckt hast?«, mit skeptischem Blick bewegte Emmi sich nicht einen Millimeter und musterte mich noch immer durchdringlich.
»Na ja, er ist nett, attraktiv, zuvorkommend und einfach ein Ideal an Mann, in den man sich früher oder später einfach verknallen muss.«, empört stieß ich meine Gedanken heraus und schob meinen Stuhl zurück. »Er müsste auch gleich hier sein, um mir ein paar Unterlagen für die Uni vorbeizubringen.«
»Dass er nett, attraktiv und zuvorkommend ist, weißt du schon seit drei Jahren, Lia.«, widersprach Emmi mir, sodass es mir schon fast so vorkam, als wolle sie mir irgendetwas einreden, dass die Schmetterlinge in meinem Bauch vertreiben würde. »Das ganze kommt mir ein wenig komisch vor.«
»Dir kommt auch immer alles komisch vor. Erst bist du unglücklich, weil ich wegen Tim unglücklich war und jetzt bist du auch unzufrieden, wenn ich dabei bin, einen Mann zu mögen.«, seufzte ich und räumte meinen Teller in die angrenzende, offene Küche.
»Ich bin nicht unzufrieden damit, Lia. Ich finde es einzig und allein komisch, was du für einen Sinneswandel an den Tag legst. Gestern bist du noch zusammengebrochen, weil du erfahren hast, dass er sich nach dir erkundigt hat und jetzt redest du vom Verknalltsein.«, auch Emmi stand auf und kam mir mit ihrem noch vollem Teller hinterher.
»Nur weil ich einen anderen Mann mag, heißt es noch lange nicht, dass die Vergangenheit nicht mehr wehtut.«, zischte ich und warf die Tür meines Kühlschrankes so laut zu, dass die Wut, die sich langsam in mir breitmachte, darin zu hören war. Umso besser, dass in diesem Moment die Klingel ertönte. »Muss Lenny sein.«, nuschelte ich nur und ließ sie allein in der Küche stehen, um den Summer zu betätigen und Lenny Sekunden später die Tür zu öffnen.
»Hey.«, lächelte ich und spürte, wie sich Freude in mir breitmachte.
»Na Beauty?«, grinsend kam Lenny auf mich zu, seine Tasche immer noch über der Schulter hängend, und drückte mich sanft, aber dennoch bestimmend an sich. Ich sog seinen Duft an, ließ ihn auf mich wirken und strich mit meiner Hand über seinen dünnen Rücken. »Wie geht's dir?«
»Super und dir?«, ich griff nach seiner Hand und zog ihn ins Innere meiner Wohnung, um die Tür hinter ihm zu schließen.
»Auch ganz gut.«, ein wenig skeptisch blickte auch Lenny mich an. Wahrscheinlich war meine gute Laune viel zu abwegig und ungewohnt für die Menschen um mich herum, weswegen sie nicht wussten, wie sie damit umzugehen hatten. »Emmi da?«
»Ja, geh durch.«, wies ich ihn in den Wohnbereich, wo Em freudestrahlend saß und auf meinen besten Freund zukam. Noch ein wenig sauer auf sie und ihr Verhalten mir gegenüber, beäugte ich die Situation: Eine Umarmung, kurzer Small-Talk und das Austauschen der neusten Neuigkeiten und dann die gute Miene zum bösen Spiel – so kam es mir zumindest vor. Wo sie vorhin noch eine solche Abneigung gegenüber meiner Gefühle hatte, empfing Emmi sie nun mit offenen Armen.
»Lasst uns heute Abend feiern gehen. Ich will durch euren Kiez ziehen und die Clubs kennenlernen, die ich letztes Mal verpasst habe.«, schlug sie vor und klatschte voll freudiger Erwartungen in die Hände.
»Aber nur, wenn ich dein schwarzes Kleid haben darf.«, stimmte ich ihr zu und schickte ihr gedanklich ein Friedensangebot herüber, welches sie mit einem Nicken und Lächeln annahm.
»Ich geh duschen.«, hüpfte sie frohen Mutes an uns vorbei. Ich wusste, dass ich die nächste Stunde allein mit Lenny hatte und zog ihn voller Vorfreude am Arm hinter mir her zum Sofa.
»Was ist los mit dir?«, runzelte Letzterer mit der Stirn und hob mich leicht aus seinen Armen, in welche ich mich wenige Sekunden zuvor gekuschelt hatte.
»Was soll los sein?«, fragend blickte ich ihn an.
»Ich hab das Gefühl, dass du irgendwie völlig neben der Spur bist. Gestern Morgen der Kuss, die Nachrichten, die du mir geschrieben hast und jetzt das. Ich meine...ich versteh es einfach nicht, Lia.«, Enttäuschung machte sich in mir breit, während Lenny mich nun genauso fragend musterte wie Emmi zuvor beim Frühstück.
»Ich bin einfach nur glücklich.«, gab ich zu und griff nach seiner Hand.
»Wieso auf einmal? Du warst erst im Krankenhaus, weil du zusammengebrochen bist, der Abend nach der Entlassung lief auch nicht so, wie er eigentlich sollte und überhaupt...erklär es mir mal bitte.«, Haareraufend wollte er aufstehen, als ich ihn an der Hand zurückzog, die ich in meiner liegen hatte. Die Angst, dass hier gerade etwas aus den Fugen geraten könnte, sodass meine frische gute Laune wieder zurück zur schlechten katapultiert werden könnte, machte sich innerhalb weniger Sekunden in mir breit und verwandelte sich schon fast in Panik, sodass ich nur mit Mühe und Not die Worte zusammenfand, die die Situation in diesem Moment vor dem Untergang bewahren und annähernd das erklären konnten, was in mir vorging.
»Du kannst jemandem nicht etwas erklären, was er selbst nicht weiß. Ich weiß, dass hier etwas in mir vorgeht, aber ich weiß noch nicht genau was. Um dir das zu sagen, will ich erst Gewissheit. Lass...lass es uns einfach zusammen rausfinden.«
»Aber wieso auf einmal? Wieso nicht vor Wochen? Und wieso so plötzlich?«
»Manchmal steht ein Mensch schon ein Leben lang vor dir und du merkst erst nach Jahren, was er eigentlich für dich ist.«, wiederholte ich den Satz, den ich zuvor noch zu Emmi gesagt hatte. »Und manchmal muss erst was passieren, bevor man sich Dingen sicher ist.«, ich fühlte mich wohl dabei, als ich die Worte aussprach, wohl dabei, als ich Lennys Gesicht immer näher kam und meine Lippen auf die seine legte. Ich fühlte mich wohl, als er seine Hand in meinen Nacken legte, mich danach in seine Arme schloss, mir einen Kuss auf die Stirn drückte und wir einfach schweigend, Arm in Arm, auf meinem Sofa saßen. Ich vergaß so viel um mich herum, was mir ohne diesen Moment so viel Kummer bereitet hätte und spürte Positives in mir. Doch ob mich dieses Gefühl ein Leben lang befriedigen und bedingungslos leben lassen würde, wusste ich nicht.
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In dein Herz
Fanfiction»Ich will in dein Herz und wenn das nicht geht, will ich dich nie wieder sehen. Den Schmerz wäre es mir wert, das musst du nicht verstehen, verstehst du mich? Ich will in dein Herz, ob du willst, oder nicht!« - Man sagt immer, dass die Entfernung ke...