» Kapitel 15

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  »Emmi, ich möchte das kommende Leben mit dir teilen, die kleinen, anfänglichen Schritte gehen und immer größere Sprünge wagen, die uns vor und mit Sicherheit an dem ein oder anderen Tag auch wieder zurückwerfen. Wahrlich werden die Schritte, die wir auf unserem gemeinsamen Weg gehen und gerade die, die uns wieder zurückwerfen, nicht einfach sein, doch trotzdem möchte ich diesen Pfad mit dir gehen. Mag er uns durch Einöden bringen, durch Täler oder eben auf den höchsten Berg – ich bin an deiner Seite. Uns werden viele Situationen begegnen, in denen wir nicht wissen, ob wir geradeaus gehen oder abbiegen sollen, ob es rechts oder links langgehen soll, doch gemeinsam finden wir immer den richtigen Weg und gelangen zum Ziel. Auf diesem langen Pfad, der uns stets ein Leben lang begleiten soll, möchte ich nicht nur dein Ehemann und deine Familie sein, sondern ebenso ein guter Freund, der die nötige Schulter zum Anlehnen und die brauchenden Worte zum Trocknen der Tränen gibt, sobald du es brauchst. Ich möchte dir die Sicherheit geben, die Geborgenheit, Kraft zum Leben und vor allem Freiheit, um auch einige Schritte allein wagen zu können. Deshalb lass uns jetzt mit Gottes Segen gehen, um einen Wegbegleiter zu besitzen, der uns aus den Tälern hilft und uns auf die Berge bringt. Ja, ich nehme dich zu meiner Frau. Ja, mit Gottes Hilfe.«, ein Schluchzen durchfuhr die Reihen der großen, hellhörigen Kirche. Emmi stand vor Phil, wischte sich ununterbrochen die Tränen weg und ließ sich von ihrem Gegenüber den Ring an ihren zitternden Finger stecken.
Auch ich stand da, blinzelte und spürte, wie ein salziger Tropfen über meine Wange rutschte. Den Anblick, den Emmi und Phil mir boten, musste man beweinen. Emmi hatte ein prachtvolles, weißes Kleid mit einer langen Schleppe an und Phil in seinem schwarzen Anzug machte den ganzen Anblick einfach zu perfekt.
»Und hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau. Und ja – sie dürfen die Braut jetzt küssen.«, grinste der Pfarrer und hob zur Verdeutlichung seine Hände in die Luft. Freudestrahlend und mit kleinen blitzenden Tränen in den Augen, umfasste Phil mit beiden Händen Emmis nasses Gesicht und hauchte ihr den wohl romantischsten Kuss auf, den die beiden je hatten.
Voller Sehnsucht, irgendwann auch mal eine solch schöne Situation erleben zu können, schnellte mein Blick hinter das Brautpaar und zu Phils Zeugen – zu Tim. Strahlend blickte er mir entgegen und zwinkerte. Sofort zog sich mein Herz zusammen und ich musste an seine Worte denken.
Es muss etwas Schönes sein, den Menschen an seiner Seite zu haben, den man über alles liebt.
Er hatte recht – wenn ich Emmi und Phil sah, frisch getraut und überglücklich wie am ersten Tag, musste es etwas Schönes sein. Nur konnte ich das in diesem Moment nicht erfahren, nicht spüren und nicht wissen. Zwar saß Lenny nur einige Meter von mir entfernt, doch trotzdem wusste ich, dass ich ihn nie so bedingungslos lieben und schätzen konnte, wie einen anderen Menschen. Ich wusste, dass ich ihn mochte und wusste auch, dass er mir gut tat, doch trotzdem sagte mein Herz mir etwas anderes.
»Komm, das Brautpaar ist auch schon gegangen.«, ich schreckte zusammen, als ich seine Stimme nah an meinem Ohr vernahm und sich seine Hand auf meinen Rücken legte. Durch mein dünnes Kleid schien es mir schon fast, als könnte ich seine Hand direkt auf meiner Haut spüren.
»Oh, ja.«, stotterte ich eher schlecht als recht und ließ mich leicht die zwei Stufen herunter in den Mittelgang der Kirche schieben. Langsam ging ich neben Tim her, sah auf den Boden und wollte einfach nur endlich zu der langersehnten Feier. Die Situation, in der ich mich jetzt und auf diese Art und Weise befand, war mir mehr als unangenehm, sodass ich keine Sekunde so richtig genießen konnte, wie ich es eigentlich sollte.

»Komm her, Brauti.«, kicherte ich und stürmte schon fast auf Emmi zu, als sich die Traube ein wenig verkleinert hatte und die ersten Gäste nach ihrem ersten Sekt vor der Kirche schon längst auf dem Weg zum Hotel, in der die Feier stattfinden sollte, waren. »Ich sage jetzt einfach gar nichts. Ich denke, eine Umarmung reicht erst mal. Den Rest werde ich euch später in meiner Rede überbringen.«, lachte ich und drückte meine beste Freundin noch ein weiteres Mal eng an mich.
»Oh oh, Phil, hast du das gehört? Wir bekommen eine Trauzeugenrede!«, lachte Emmi und klatschte erfreut in die Hände, als sie mich ihrem Ehemann überließ.
»Da bin ich ja mal gespannt. Tim wollte uns ja noch nicht verraten, was er sich ausgedacht hat.«, ich spürte, wie Phil grinste, als seine Wange für eine Zehntelsekunde die meine streifte, während er mich aus der Umarmung hob.
»Und das wird auch solange nicht verraten, bis ich der Meinung bin, dass es soweit ist.«, lachte Tim auch schon und gesellte sich zu unserem Kreis. Um uns herum war es gefährlich ruhig geworden. Eigentlich fast schon zu ruhig. Es befanden sich keine Gäste mehr vor der Kirche, Lenny war schon mit den anderen Jungs zur Kirche gefahren und Emmis Eltern schienen noch die restlichen Dinge in der Kirche zu erledigen.
»Ich will ja nichts sagen, aber vielleicht sollten wir auch so langsam aufbrechen.«, räusperte ich mich und unterbrach das Gespräch um Tim.
»Stimmt. Mama und Paps kommen auch grade aus der Kirchen.«, stellte Emmi fest und wandte sich ein wenig ab.
»Wollen wir los?«, pfiff die glückliche Mutter auch schon herüber und kam grinsend auf uns zu. Alle nickten und schienen ihr zu zustimmen.
»Dann kommt ihr beiden bei uns mit und Tim«, kurz tickte Tanja besagtem an die Schulter, »du bist mit dem Auto da, oder?«, als hätte ich gewusst, was im nächsten Moment kommen würde, sah ich alarmierend auf.
»Ja, genau.«
»Dann nimmst du am besten Lia noch mit. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob wir sie noch mit reinkriegen, weil Emmis Brautkleid ja schon seinen Platz benötigt.«, sich nicht im Klaren darüber, was Tanja mit ihrer Aussage anstellte, lachte sie über die vorliegende Tatsache und war schon dabei, sich umzudrehen, um zum Auto zu gehen und neben ihrem Mann auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen.
»O-kay.«, brachte ich mühsam heraus.
»Wir sehen uns dann im Hotel!«, fröhlich hob Emmi ihre Hand, versuchte die Situation gerade wegen dem Streit am Vortag zu überspielen und würdigte mich keines Blickes mehr, der irgendetwas aussagen könnte. Fast schon verloren stand ich da und sah dem Brautpaar hinterher.
»Na dann lass uns mal los.«, riss Tim mich aus meinen Gedanken und führte mich, wie zuvor in der Kirche, mit einem leichten Händedruck auf dem Rücken, in Richtung Auto. Seine Berührung verschaffte mir eine Gänsehaut und trotz der Tatsache, dass Lenny im Hotel auf mich warten würde und nicht wusste, was hier gerade vonstatten ging, fühlte es sich gut an.  

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