» Kapitel 20

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  »Du hast ihn gefangen.«, lächelte Lenny, als wir sekundenlang nebeneinander auf der Bank vor der Tür des Hotels saßen und in die Ferne blickten. Keiner wusste so recht, was er sagen, beziehungsweise wie er anfangen sollte.
»Mhm...«, nuschelte ich nur. Ich fühlte mich unwohl, wollte hier nicht sitzen. Doch ich war es ihm schuldig, ich musste ihm so einiges erklären, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass es unnötig war. Womöglich empfand er es selbst auch als unnötig, aber auf Dauer würde das Gefühl niemals halten. Ich musste. Erst dann konnte ich endlich beginnen. Neu beginnen mit dem Alten. Die Vergangenheit zur Zukunft machen. Die Gegenwart so gestalten, wie ich es brauchte, um vollkommen zu sein.
»Du liebst ihn.«, stellte er fest und ließ sich seufzend gegen die Rückenlehne der Bank fallen. Ich wusste, dass er es wusste – er wusste es die ganzen Jahre, in denen ich mir selbst nicht einmal wirklich sicher war – und doch war ich überrascht, dass er es so offensichtlich preis gab. Schließlich hatte er es die ganzen Jahre für sich behalten.
Ich traute mich nicht zu nicken, obwohl es die Wahrheit war. Ich liebte ihn. Und ich wollte es doch der ganzen Welt mitteilen, aber ich hatte viel zu viel Angst davor, Lenny das Herz zu brechen. Er hatte mich all die Jahre gehalten, war für mich da gewesen und hatte mich aus diesem Tief raus geholt, indem er mich geliebt hat. Und es immer noch tat?
»Lenny, es tut mir leid.«, brachte ich nur heraus und drehte mich auf der Bank, sodass ich fast seitlich saß.
»Dir muss es nicht leid tun, Lia. Denkst du wirklich, ich reiße dir den Kopf ab?«
»Ich...du bist verletzt und enttäuscht.«, brachte ich wieder nur heraus. Na klar dachte ich das. Genau das war meine Befürchtung und ich würde es ihm noch nicht mal übel nehmen.
»Ich denke, das kann ich nicht leugnen. Aber ich will, dass du glücklich bist, Lia.«, erwiderte er nur. Er sah mich an und lächelte leicht.
»Du wusstest es all die Jahre und bist trotzdem bei mir geblieben?«, fast schon völlig eingenommen von diesem Fakt, starrte ich Lenny an.
Er nickte. »Aber warum?«
»Ich habe damals genau gespürt, dass du jemanden gebraucht hast, der dich hält. Und zwar nicht nur für ein paar Wochen, Monate oder ein Jahr. Du brauchtest was auf Dauer, woran du dich festhalten konntest. Du brauchtest jemanden, der dich liebt, von ganzem Herzen. Und das habe ich. Klar habe ich mich damals schon selbst für verrückt gehalten, weil ich wusste, dass du mich niemals so sehr lieben würdest wie Tim und dass er auch immer zwischen uns stehen würde, aber du warst mir als Person einfach viel zu wichtig, als dass ich dich hätte fallen sehen können.«, gestand er mir.
»Und was ist jetzt? Wieso nimmst du das alles einfach nur so hin?«
»Ich habe es die ganzen Jahre schon so hingenommen. Wir sind jetzt schon lange zusammen, Lia, das weißt du. Und ich habe für mich selbst gemerkt, dass irgendwann der Punkt kommen wird, an dem wir uns in Sachen Beziehung verlieren werden. Aber bis zu diesem Zeitpunkt wollte ich bei dir bleiben. Ich will nicht sagen, dass ich dich nicht mehr liebe, aber dieses Gefühl hat sich über die ganze Zeit einfach viel zu sehr verändert. Hätte es eine andere Situation ergeben, wäre Tim schon viel früher aufgetaucht, dann hätte ich es auch zugelassen, dass wir uns verlieren.«, ich musste kräftig schlucken, als ich seine Worte hörte und soweit verarbeitete, dass ich sie auch wirklich so verstand, wie ich sie verstehen sollte. Seine Liebe zu mir war längst nicht mehr groß genug, um mit mir zusammen zu sein – und das wohl nicht erst seit kurzer Dauer – und trotzdem blieb er an meiner Seite. Wer weiß, wie viele Frauen Interesse an ihm hatten, die eine potenzielle Nachfolgerin meinerseits unter ihnen, und er hatte sie abblitzen lassen.
»Ich habe dir einen so großen Teil in deinem Leben verbaut.«, hauchte ich schuldbewusst. Ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie leid mir das alles tat. Wie leid es mir tat, dass ich war wie ich war.
»Nein, das hast du nicht. Ich war glücklich mit dir, Lia. Du warst nicht mehr so tot traurig und hast endlich mal wieder gelacht und das hat mir unendlich viel bedeutet. Mehr als irgendwelche anderen Frauen, die mich eventuell so vollkommen geliebt hätten, wie ich es mir gewünscht habe.«, er strich mir kurz über meinen Arm. »Es ist wichtig, dass du deine Zukunft mit dem Menschen verbringst, der dich liebt. Und den du liebst. Und das ist Tim. Ihr habt damals schon zusammen gehört. Der Blick auf dem Campus. Der Blick in Emmis Garten. Die Blicke als ihr mit Emmi und Phil vor dem Altar standet. Die Blicke, als er das Lied gesungen hat. Er hat es nur für dich gesungen, verdammt. Ihr seid es, die sich lieben sollen. Und die Botschaft von ihm war offensichtlich – er will sein Leben mit dir verbringen!«, redete Lenny weiter auf mich ein und drückte meine Hand von Moment zu Moment immer fester.
»Aber ich will dich nicht verlieren, Lenny. Du...du hast so viel für mich getan, wir haben so viel durchgemacht. Hatten so viele Höhen und Tiefen.«, ich tat mir schwer dabei meine Tränen zurückzuhalten und hatte das Gefühl, mich in eine Situation zu bringen, die noch schlimmer war, als vorher.
»Du verlierst mich auch nicht. Ich werde mit Sicherheit Zeit brauchen, mich an den Anblick von dir und Tim zu gewöhnen, aber ich werde es schaffen. Du bist glücklich, dann bin ich es auch.«
»Meinst du wirklich?«, stocherte ich nach, um noch ein letztes Mal sicher zu gehen.
»Ja, hundertprozentig.«
»Okay.«, ich stoppte kurz. »Ich bin mir sicher, dass wir für dich auch noch den richtigen Deckel finden werden. Und das wird sich mit Sicherheit auch nicht als schwer erweisen. Du bist schließlich Lenny.«, ein leichtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen.
»Hoffentlich.«, lachte er und zog mich in eine Umarmung. Ein letztes Mal sog ich seinen Duft ein. Ich hatte Angst, dass ich diesen Moment nie wieder erleben würde, auch wenn ich wusste, dass es niemals der Wahrheit entsprechen würde. Lenny und ich würden uns nicht verlieren. Nicht in Sachen Freundschaft. In Sachen Beziehung hatten wir uns verloren. Wir waren getrennt. Wir waren kein Paar mehr.
»Lia, alles okay?«, Emmi.
»Ich weiß jetzt, was ich will.«, lächelte ich, löste mich aus der Umarmung und lief an Emmi vorbei ins Innere des Hotels.
Ich wollte Tim.  

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