» Kapitel 16

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»Du willst also eine Rede halten?«, brach Tim nach geraumer Zeit das Schweigen. Voller Konzentration saß er mit aufgesetzter Sonnenbrille vor dem Lenkgrad seines Golfs und führte den Wagen mit einer Leichtigkeit durch die Stadt, die ich selten erlebt hatte.
»Ja, ich habe es mir zumindest vorgenommen.«, grinste ich und sah verlegen aus dem Fenster. Rechts und links zogen die großen Bäume, die die Landstraße fast schon wie eine Allee einzäunten, an uns vorbei. Die Sonne schien stark und erhitzte einen innerhalb von Sekunden, sodass die Klimaanlage, die das Auto besaß, grade die richtige Ladung an Luft in mein Gesicht blies und meine offenen, gelockten Haare um meine Wangen tanzten.
»Ich hätte es nicht gedacht. Schließlich warst du immer so schüchtern.«, pflichtete er mir bei und trieb mich in einer rasanten Geschwindigkeit zurück in die Vergangenheit. Acht Jahre ist es her, dass ich das letzte Mal so richtig mit ihm gesprochen hatte und ganze acht Jahre hatte ich ihn nicht eine Sekunde vergessen – egal, wie sehr ich mich dafür einsetzte. Heute saß ich mit ihm im Auto, durfte mit ihm zusammen den Job der Trauzeugin übernehmen und war schon deshalb mit ihm verbunden, weil er der beste Freund des Ehemannes meiner besten Freundin war. Eigentlich lag heute so viel Liebe in der Luft, dass ich hätte dran ersticken müssen, wenn ich nur eine Sekunde an Tim und unsere Vergangenheit nachdachte, die wir kaum miteinander geteilt hatten, doch trotzdem konnte ich nichts anderes sagen, als dass ich gute Laune hatte und mich unmöglich wohl in seiner Gegenwart fühlte. Ich wusste nicht, woher es kam, wunderte mich auch nicht darüber, weil es bei ihm schier unmöglich war, sich unwohl zu fühlen, sondern genoss es. Wenigstens die Zeit, die wir alleine im Auto hatten und die nicht mehr als 30 Minuten betrug. Danach würde mich die Tatsache einholen, dass es nicht so einfach war, wie ich es mir gewünscht hätte. Dabei wusste ich fast zu Hundert Prozent, was ich wollte.
»Ja, mag sein.«, schnaufte ich. »Aber ich denke, das hat sich schon gebessert. Außerdem geht es hier um Emmi und für die würde ich bekanntlich alles machen.«, lächelte ich.
»Euer Verhältnis hat sich gar nicht verändert, oder?«
»Nein. Wenn es sich verändert hat, dann hat es sich nur noch mehr gestärkt. Als ich damals nach Berlin gegangen bin, stand sie hinter mir, wir hatten trotz dem Stress immer Kontakt. Auch wenn es nur eine dämliche Bemerkung am Tag über Whatsapp gab.«, ein wenig erschrocken, mit was für einer Mühelosigkeit ich mich ihm gegenüber öffnete, wandte ich mein Gesicht ein weiteres Mal wegen Verlegenheit und Scham zum Fenster. Zwar wusste ich, was ich wollte, doch trotzdem hätte ich nicht von mir erwartet, dass es noch einmal so normal sein kann, neben ihm zu sitzen. Ich hätte nie erwartet, dass sich mein Herz nicht mit ähnlichen Bemerkungen wie Verkrampfungen oder Stichen zu Wort meldete und mich vor meinen Gefühlen warnte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es nichts mehr gab, vor dem man mich warnen musste.
»Das ist immer schön zu hören.«, ich spürte, wie Tim seinen Kopf zur Seite drehte und mich musterte. Dass die Ampel kurz vor diesem Augenblick auf rot sprang, schien ihm, trotz der Tatsache, dass wir es eilig hatten, nicht sonderlich zu stören.
»Du und Phil habt es doch auch geschafft. Und ich denke, bei deinem Werdegang ist das um einiges schwieriger.«, leicht drehte ich meinen Kopf zur Seite, um das zweite Mal an diesem Tag offensichtlich in seine Augen zu sehen. Sofort entriss er sich meinem Blick, doch trotzdem konnte ich etwas in seinen Augen sehen, das nicht mehr das war, was es früher war. Wenn er damals nicht mit seinem Lächeln gestrahlt hat, dann waren es seine Augen, die einem verrieten, wie glücklich er war. Doch in diesem Moment war da nichts. Kein Lächeln, kein Strahlen und kein Hauch von Glück.
»Ich habe mir immer vorgenommen, Privates vom Beruflichen zu trennen – also bitte die nächste Frage.«, versuchte er meine Frage so gekonnt wie möglich zu übergehen. Dass er das in gewisser Weise gewohnt war und in manchen Interviews mit Sicherheit den ein oder anderen dickköpfigen Reporter vor sich sitzen oder stehen hatte, zeigte er mit solch einer Antwort – er war schlagfertig und konnte ablenken, wenn er nur wollte.
Ich hätte es ihm niemals so leicht gemacht, wenn ich nicht gewusst hätte, dass sich von Sekunde zu Sekunde immer schlechtere Luft und Stimmung im Auto verteilte. Kurzzeitig war ich schon dazu imstande, das Fenster runter zulassen, in der Hoffnung, diese schlechte Aura vertreiben zu können, doch die Tatsache, dass das mehr als dämlich war, holte mich ein, ehe ich den Knopf überhaupt berühren konnte.
»Tut mir leid.«, entschuldigte ich mich mit einem zunehmend schlechtem Gewissen. »Erzähl mir wo du in Berlin lebst.«, es war keine makellose Idee, ihn mit einer solchen faden Frage abzulenken, aber irgendwie erhoffte ich mir, dass man somit in ein Gespräch kam, dass mehr an die Normalität, als an sein Leben als Sänger erinnerte.
»In einer kleinen Seitenstraße in Friedrichshain in der Nähe vom Volkspark. Altbauwohnung und ziemlich zentral.«, grinste er, anscheinend glücklich über den guten Wohnungsfang. »Und Madame?«
»In einer Hauptstraße in Wilmersdorf in der Nähe vom Volkspark.«, lachte ich auf und warf meinen Kopf gegen die Kopflehne meines Sitzes. »Und in der Nähe von einem leckeren Mexikaner, einem billigen Kino und einem guten Bäcker. Und wenn es mit dem Verkehr nicht so super klappt, dann sind es höchstens 15 Minuten zum Ku'damm. Sonst gerade mal zehn.«
»Also gar nicht mal so weit weg. Ich glaube, mit dem Bus zum Zoo und von da aus mit der U-Bahn oder dem Bus. Kommt man mit Sicherheit höchstens auf 25 Minuten, wenn der Verkehr mal wieder streikt.«, stellte er eine Theorie auf, als würde er den ganzen Bus- und Bahnplan Berlins kennen.
»Ja, ich denke. Aber falls ich dich mal besuchen kommen sollte, dann nehme ich schon die U-Bahn bei mir um die Ecke. Da gibt es wenigstens keinen Verkehr.«, lachte ich. Eine völlig entspannte Situation, die zu keinem schöneren Zeitpunkt hätte kommen können, als jetzt grade. Es tat gut, so unbeschwert zu lachen, ohne dass ich etwas in meinem Inneren verspürte, das mich schon nahezu an einen Zusammenbruch erinnerte. Es war längst Vergangenheit, dass ich genau das erlitt wenn ich an Tim dachte. Jetzt sprach ich mit ihm und ich hätte mir in diesem Moment nichts Schöneres vorstellen können. Ich wusste, warum ich ihn auch nach acht Jahren nicht vergessen hatte und er in meinem Herzen geblieben ist. Und ich war froh darüber.
»Wir sind da.«, holte mich seine sanfte Stimme in die Realität zurück und ließ mich urplötzlich meine Haare richten und an meinem trägerlosen Kleid zupfen. Ich wusste, was mich in diesem Moment so aus dem Konzept brachte und ich wusste auch, wer.
»Oh, okay.«, stammelte ich nur und stieg aus dem Auto, ehe ich die Tür zuschlug.
»Ich hätte noch stundenlang mit dir fahren und quatschen können.«, lächelte Tim über das Autodach zu mir herüber und zwinkerte fast übersehbar, als sich unsere Blicke trafen.
»Ich auch.«, lächelte ich aus vollem Herzen zurück.
Am liebsten hätte ich mich mit ihm in sein Auto gesperrt und den Schlüssel weggeworfen.

»Die Neugier ist die Gier nach Neuem und die Sehnsucht ist die Sucht nach dir.«


*Tiemo Hauer - Mixtape

In dein HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt