Dieser Ackerman...

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Bevor der Kommandant des Aufklärungstrupps Hannas Opfer werden sollte, musste er noch einmal genau studiert werden. Die Gelegenheit war günstig: Der Aufklärungstrupp sollte demnächst wieder zu einer Expedition aufbrechen, dabei wollte Hanna den Kommandant beobachten. Sie schlenderte durch die belebten Gassen, betrachtete die riesigen Mauern, die schon von Weitem zu sehen waren und bekam wieder dieses ungute Gefühl. Sie erinnerte sich wieder, warum sie den Untergrund, trotz seiner harten und rauen Lebensweise bevorzugte: Der Untergrund erinnerte einen nicht täglich an diesen Käfig, diese lächerlichen Mauern, die die Menschen wie Tiere einsperren. Unter der Erde war man zwar auch eingesperrt aber es verschmolz alles in einer Dunkelheit, die die Menschen einhüllt und abhärtet. Nein, hier oben gehöre ich einfach nicht hin, dachte sich Hanna Last und folgte den Menschenmassen, die dem Aufklärungstrupp bei ihrem Ritt hinter die Mauern ansehen wollten.
Eine große Menschentraube hatte sich bereits vor Hanna aufgetürmt. Eine lästige Sache, die sie aber einfach umgehen konnte, indem sie in einer verwinkelten Gasse das an der Straße liegende Haus hochkletterte. Geschickt erkannte sie jeden noch so kleinen Riss in den Mauern und verstand es, ihr Körpergewicht vorteilhaft einzusetzen ohne zu fallen. Vom Dach des Hauses hatte sie einen perfekten Blick auf die Straße, auf der auch schon die Reiter entlang kamen. Voran ihre Zielperson, Erwin Smith, an seiner Seite dieser Ackerman. Etwas weiter hinten eine zerzauste Frau mit Brille, ein weiterer blonder Riesentyp mit Bart und dahinter die ganzen armen Schweine die jetzt ihre Pflicht erfüllen mussten. Ackerman schien so etwas wie Erwins Leibwächter zu sein, er war bis jetzt immer an Erwins Seite, wenn Hanna den Aufklärungstrupp beim Aufbrechen oder bei der Heimkehr beobachtete. Doch nun galt es, sich auf Erwin zu konzentrieren. Was war seine Schwäche? Wie muss ich vorgehen und vor allem: wie löse ich ihn von diesem schwarzhaarigen Untergrund-Bastard los? Hanna saß auf dem Dach und grübelte mit starren Blick auf die Reiter, die sich langsam eine Weg durch die Menschen bahnten. Immer wieder schweifte ihr Blick von Erwins fetten Augenbrauen ab, hin zu diesem stoisch dreinblickenden Captain kurz hinter ihm. Er sah nicht schlecht aus, dass sicher, doch die Geschichten, die Hanna über ihn gehört hatte, waren keinesfalls schmeichelhaft. Andererseits... über sie, genauer gesagt über die Klinge, gab es auch nichts schmeichelhaftes zu erzählen. Sie erledigte ihren Job gewissenhaft und verlässlich – genau wie Ackerman, schoss es Hanna durch den Kopf. Etwas erschrocken, dass sie sich so leicht ablenken lies, verwarf sie diese ganzen unwichtigen Gedanken und ging wieder ihre Strategie für diesen Job durch. Der Aufklärungstrupp war nun kurz vor dem Haus, fast schon unterhalb Hanna als für einen kurzen Moment, etwa eine Sekunde, Levi Ackermans Augen in Richtung Hanna schnellten und sie eiskalt anstarrten. Zu überrascht um zu reagieren, blickte Hanna mit ihrem grüblerisch-zornigen Gesichtsausdruck zurück, schon war es vorbei. Hätte Hanna das geahnt, hätte sie sich dumm gestellt und schlichtweg, wie es sich für ein junge Frau in ihrem Alter gehört, zurück gelächelt und gewunken. Niemand hätte Verdacht geschöpft und ein Levi Ackerman hätte sicher genervt weggeblickt. Es wäre vielleicht etwas merkwürdig gewesen, dass sie auf dem Dach saß, aber das hätte in dieser Situation wohl niemand genau hinterfragt. Aber sie hatte ihren „Arbeits-Blick" aufgesetzt, der Blick der sagt „ich arbeite eine Strategie für einen Mord aus". Ein verdammter Fehler, der Hanna erzürnte. Wie konnte das passieren? Wenigstens lernte sie aus dieser Begegnung, dass man diesen Captain nicht unterschätzen sollte. Er wird der schwierigste Part bei diesem Auftrag, fluchte Hanna vor sich hin, als sie flink wie eine Katze vom Dach kletterte. Bei einem Humpen Bier in der nächsten Wirtschaft grummelte sie immer noch vor sich hin. Dass sie nun auch noch warten musste, bis der Versagertrupp wieder zurückkommen wird, hob ihre Stimmung nicht wirklich.
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Zwei verdammt lange Tage lungerte Hanna in den Straßen herum. Es war so unendlich langweilig, selbst die Bettler waren im Untergrund unterhaltsamer und die Sonne schien mit der Zeit auch zu nerven, alles nervte. Nervös spielte Hanna immer wieder mit ihrem Klappmesser herum, dass sie an ihrem Gürtel befestigt hatte. Sie hasste es untätig zu warten und tief in ihrem Innern, was sie selbst wohl nie zugegeben hätte, war sie gespannt ob Ackerman diesmal auch unbeschadet wiederkommen würde.
Als endlich die Glocken läuteten, die die Heimkehr des Trupps ankündigten, war Hanna eine der Ersten die vor den Toren stand. Absichtlich hatte sie sich den Platz in der erste Reihe gesichert, falls es wieder zu einem Blick von Levi kommen sollte, wäre sie gewappnet. Sie setzte ihr Servicelächeln auf: nicht übertrieben, freundlich, nichtssagend. Keiner durchschaute diese Maske. Die Tore öffneten sich und die Pferde mit ihren Reitern trotteten herein. Hanna kannte dieses Bild der Enttäuschung. Wie oft schon, hatte sie zu diesem Zeitpunkt ihren Notizblock in der Hand gehabt, Namen durchgestrichen und hinter ein paar wenige einen Hacken gemacht, mit den Gedanken nur an den eigenen Wetteinsatz und wie viel Gewinn diesmal rauskommen würde. Jetzt war es allerdings anders: Hanna betrachtete die Szene das erste Mal ungefiltert und menschlich. Vorne ran ritt Erwin auf seinem Pferd, er sah über die Menschen hinweg – mit Absicht? Ackerman lief selbst und hatte die Zügel seines Pferdes in der Hand, er hatte es also auch wieder geschafft. Sein Blick war fest nach vorne gerichtet, als wollte er es ebenso tunlichst vermeiden, jedem in die Augen zu sehen. Auch die Frau und der Blonde waren noch da, die Reihen dahinter waren allerdings deutlich gelichtet. Hanna sah gebrochene Menschen, sie waren demoralisiert, verletzt und standen offensichtlich mehrheitlich unter Schock. So viele junge Menschen, dachte Hanna, teils noch Kinder. Sie selbst war in ihren Zwanzigern und hatte als Jugendliche ihre ersten Morde begangen, doch wäre sie mit 13 oder 14 raus vor die Mauern geritten und hätte gegen Titanen gekämpft?
Hanna hatte genug gesehen, Erwin Smith war für all die Toten und diese jungen Menschen, die innerlich tot waren, verantwortlich. Er ritt hoch auf seinem Pferd und würdigte ihre Angehörigen keines Blickes. Die Klinge hatte sich entschlossen: sie wird Erwin Smith, den Kommandant des Aufklärungstrupps umbringen, ohne ihn war die Menschheit besser dran.

To Kill or to LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt