XLI

587 29 8
                                    

„Darryl, was machst du denn hier?", fragte mich Molotov, doch ich ich wollte das nicht so zwischen Tür und Angel klären.

„Können wir draußen reden?"

Mein Freund nickte. „Klar, warte kurz." Er drehte sich schnell um und fischte mit der rechten Hand nach seiner Jacke, ehe er zu mir nach draußen trat und die Tür verschloss. „Mein Vater ist nicht da, er wird also nicht merken, wenn ich kurz weg bin... wobei das ist ihm sowieso egal! Also, was ist los?", wollte er wissen und seine bernsteinfarbenen Augen bohrten sich in meine.

Ihn anzulügen würde nichts bringen, dafür kannte er mich zu gut, sogar noch besser als David. „Laila ist abgehauen und-"

Molotov unterbrach mich schon im ersten Satz. „Was? Aber wieso bist du dann nicht los und suchst sie? Ich komm auch mit, dann-"

„Molotov, stopp!", unterbrach ich ihn. „Ich hab sie ja gefunden... nur war sie nicht allein. Einer von Ihnen war bei ihr und ich hab-"

„Ihn getötet?" Tadelnd sah der Orangehaarige mich an. Ich schwieg. Zwar bereute ich meine Tat nicht, aber ich war sauer über die Tatsache, dass Laila das Alles so erfahren hatte. Lieber hätte ich ihr das in Ruhe erklärt und nicht gleich nicht vorgeführt. „Oh man, Darryl!", rief er aus und legte den Kopf kurz in den Nacken, wobei er in den Nachthimmel sah. „Naja, jetzt weiß sie es jedenfalls. Aber das hätte man auch charmanter machen können."

„Ich weiß", gab ich beleidigt zurück.

Plötzlich hielt er inne. „Wie hast du ihn denn eigentlich getötet? Geköpft, abgestochen oder hast du ihm gleich den Kopf abgeschlagen?", fragte mich mein Ziehbruder lachend aus und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er das nicht richtig ernst nahm.

„Genickbruch."

„Ernsthaft? Was stellt die sich so an? Sowas geht schließlich schnell und macht auch keine große Sauerei", meckerte er.

„Molotov, sie ist nicht wie wir! Wir sind damit aufgewachsen, sie nicht! Für uns gehört das zum Alltag. Das geht schon so lange, wie sich unsere Clans bekämpfen", versuchte ich Lailas Sicht auf die Dinge zu verteidigen.

Doch für Molotov war das kein Grund. „Früher hatte sie damit auch kein Problem."

„Sie hat diese Erinnerungen aber nicht mehr."

„Na und? Dann müssen wir sie irgendwie zurückholen! Die können doch nicht für immer ausradiert sein!" 

Müde seufzte ich. Es war ein langer Tag und Molotov half mir nicht wirklich. „So einfach geht das aber nicht! Sag mir lieber, was ich jetzt machen soll. Ich will sie nicht verlieren, aber ich kann nicht mit ihr reden, weil sie Angst vor mir hat und sich bei David versteckt."

„Hm." Toll da fiel ihm auch nichts ein. „Warte einfach bis morgen und geh dann zu ihr. Da hat sie sich beruhiget, also hoffentlich... und dann kannst du ihr das alles erklären. Vielleicht hat sie dir bis dahin ja schon verziehen."

Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass Molotov recht hatte. Und das hatte er meistens. Auch wenn es dieses Mal, ziemlich unwahrscheinlich war.

„Warum war sie überhaupt draußen im Wald? Ich mein, es ist mitten in der Nacht und ihr habt euch doch vorhin noch gut verstanden?", hakte er fragend nach.

Ratlos zuckte ich mit den Schultern und kickte einen Tannenzapfen weg. „Keine Ahnung, vielleicht hat sie was gefunden. Es lagen ein paar Blätter auf dem Boden, also..." Ich sprach nicht weiter, da Molotov sich schon denken konnte, was ich meinte.

„Ich glaub ich sollte langsam mal zurück", sagte ich, nachdem wir schon eine Weile einfach nebeneinander herliefen.

„Sicher, dass das eine gute Idee ist?"

Ich nickte. „David hat sie bestimmt zu Sara gebracht und ich sollte auch mal ins Bett."

„Soll ich mit zum Lager kommen?", wollte er fürsorglich wissen.

„Nein, aber danke fürs Zuhören! Wir sehen uns morgen." Damit lief ich weiter und Molotov ging zurück zum Haus.

Wie einfach wäre die ganze Scheißsache nur, wenn Laila ihre Erinnerungen noch hätte? Dann müsste ich mich nicht erklären und alles wäre so viel einfacher. Allein die ganzen Sachen, die wir damals zusammen erlebt haben, wie wir uns kennen gelernt haben. All das wusste sie nicht mehr. Nur wegen ihrem Vater, den ich am liebsten auch töten würde! Aber dann würde Laila mich wahrscheinlich verlassen und das wollte ich nicht.

Als ich vor dem großen Steintor stand zögerte ich keine Sekunde und trat ein. Ich wollte einfach nur noch schlafen. Doch auf dem Weg zu meinem Zimmer begegnete ich David. Er war gerade noch bei Mara, die sich seine Verletzung nochmal angesehen hatte. Als ich daran dachte fing auch meine Hand an zu schmerzen. Also holte ich mir noch eine Schmerztablette und eilte dann zur Treppe.

„Darryl?", hielt mich Maras Stimme auf.

„Ja?", genervt drehte ich mich um. Ich wollte meinen Frust nicht an ihr auslassen, aber genauso wenig hatte ich jetzt Lust auf ein Gespräch.

Sie räumte das Verbandszeug weg. „Vergiss nicht, dass Laila unter anderen Umständen aufgewachsen ist als du. Sei nicht sauer auf sie, wenn sie deine Taten manchmal nicht nachvollziehen kann."

Ich war doch nicht sauer auf sie! Eher enttäuscht. Naja, vielleicht ein bisschen von beidem.

Ich brachte wieder nur ein Nicken zustande und ging dann eilig die Treppe rauf. Mara hatte so die Angewohnheit sich um alles und jeden kümmern und in Schutz nehmen zu müssen. Das war zwar nicht falsch, aber manchmal nervte es. Aber so war sie eben. Auch um mich hatte sie sich gekümmert. Genauso wie um Molotov und die Zwillinge. Wie Malcom hatte sie keine eigenen Kinder, hatte uns aber aufgezogen als wären wir ihre.

Und obwohl ich leibliche Eltern hatte, so sah ich sie mehr als meine Mutter und Malcom mehr als meinen Vater.

Samt Klamotten warf ich mich aufs Bett. Ich hatte keine Lust, mich erst bettfertig zu machen und Zähne zu putzen. Müde schloss ich meine Augen und war auch schon in der nächsten Sekunde am Einschlafen. Die Geräusche des Windes und der klappernden Fenster verblasten und ich ließ mich von der wohltuenden Dunkelheit einlullen.

Mein letzter Gedanke galt Mara und wie sie uns aufgezogen hatte. Liebevoll hatte sie sich um uns gekümmert und ich hatte immer das Gefühl sicher zu sein. Jetzt wusste ich, dass dem nicht so war. Zeiten ändern sich und wer nicht mit Veränderung klarkommt, der blieb auf der Strecke. Genauso wie diejenigen, die nicht dazulernen und mit ihrer Dummheit andere in Gefahr bringen.

So wie ich. Nur hatte ich eine zweite Chance bekommen. Malcom war statt mit gestorben. All die Jahre über hatte ich mir die Schuld gegeben und erst jetzt wusste ich, dass das von vorne bis hinten geplant war.

His Green EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt