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• L U K E •

Ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen, während ich durch den dichten Mischwald hetzte. Der warme Sommerwind blies mir ins Gesicht und ich würde am liebsten noch schneller laufen. Doch das ging nicht, irgendwann kam mein Körper auch mal an seine Grenzen.

„Luke! Jetzt warte doch mal!", rief mir mein kleiner Bruder Kodi hinterher. Mit seinen 15 Jahren war er genau zwei Jahre jünger als ich und hatte noch immer Probleme damit, an mir dranzubleiben.

„Musst du halt schneller sein!", entgegnete ich schnippisch und rannte weiter.

Doch plötzlich brachte mich etwas zu Fall, indem es mir schmerzhaft in die Seite sprang. Hart landete ich auf dem Waldboden und mir wurde die Luft aus der Lunge gepresst. Das Gewicht auf meinem Rücken wurde schlagartig weniger und ich hörte jemanden lachen.

„Egal, wie schnell du bist, du musst trotzdem deine Umgebung im Auge behalten", tadelte er mich und seine Stimme strotzte nur wieder von dieser nervenden Weisheit. Darf ich vorstellen, mein älterer Bruder, Zain.

Genervt schnaubend drehte ich mich auf den Rücken und funkelte ihn sauer an. „Ich war nur eine verdammte Sekunde lag abgelenkt!"

„Eine zu viel."

Manchmal ging er mir gehörig auf die Nerven. Er war einfach zu verantwortungsbewusst und immer nahm er alles viel zu ernst. Genauso wie seine beschissene Freundlichkeit. „Ja ja." Meckernd stand ich auf. Auch Kodi kam keuchend neben uns zum Stehen und stützte die Hände auf die Knie.

Zain warf ihm einen sorgenvollen Blick zu. „Alles okay?"

Man, der lebte noch, also ja! Ich dachte mir meinen Teil dazu, aber aussprechen tat ich ihn nie. War wahrscheinlich besser so. Die übertriebene Fürsorge meines Bruders und das Mitgefühl, welches er für jedes Wesen auf der Erde übrighatte, hatte ich sowas von satt! Ebenso wie die tausend anderen Sachen, die momentan so abgingen.

„Ja, alles gut", japste Kodi, während er zu Zain aufsah. Ja, dann konnten wir ja weiter, oder?

„Wir sollten besser nach Hause." Sein Ernst?!

Widerwillig stemmte ich die Hände in die Hüften. „Wieso? Wir sind gerade erst hergekommen?"

„Musst du alles hinterfragen? Außerdem sind wir schon seit zwei Stunden hier!", hielt er dagegen und demonstrativ lief er in besagte Richtung. Ich hatte dabei keine andere Wahl, als zu folgen, sonst würde ich es hinterher noch bereuen. Da er der Älteste von uns war und als einziger volljährig, hatte er die Aufgabe von unseren Eltern bekommen, auf uns aufzupassen.

Aber das bekam ich auch super allein hin!

Zähneknirschend lief ich mit etwas Abstand hinter ihnen her und beobachtete sie von hinten. Wenn man uns jetzt so vergleichen würde, dann würde man im Traum nicht darauf kommen, dass wir Geschwister waren.

Zain hatte schwarze Haare, blaue Augen und helle Haut, somit das komplette Gegenteil von mir. Außerdem liebte er Frieden, Familie bedeutete ihm alles und er ging keinesfalls Risiken ein. Zudem war er die männliche Version meiner Mutter, aber nur äußerlich, wobei...

Kodi war der Jüngste von uns und unglaublich zurückhaltend. Er wollte es immer allen recht machen, auch wenn das meiner Meinung nach unmöglich war, und er ließ sich viel zu leicht beeinflussen. Seine kupferroten Haare und Augen hatte er von unserem Vater geerbt.

Und dann kam ich! Derjenige der immer aus der Reihe tanzte, den meisten Ärger bekam und äußerlich nichts mit seinen Eltern gemeinsam hatte. Schließlich hatte ich nussbraune Augen und blondes Haar! Man könnte meinen, ich sei adoptiert...

„Luke, wo bleibst du?", hörte ich Zains Stimme und rollte mit den Augen. Ich wäre so gern länger hiergeblieben. Es war herrlichster Sommer und wir waren gerade am trainieren. Aber Kodi musste ja immer schon so schnell die Luft ausgehen!

„Leute, ich bleib noch hier!", informierte ich Zain und fragte mich noch im selben Moment, warum ich dies eigentlich tat.

„Nein, es gibt bestimmt schon essen und Mum hat gesagt, dass wir heute nicht so lang bleiben sollen! Und du weißt auch warum", belehrte er mich.

Mir entwich ein Knurren. „Ich weiß warum, ist mir aber egal."

„Man Luke!", stöhnte Zain frustriert.

Ja, wir stritten oft. Eigentlich immer. Wir hatten das Talent, uns in allem uneinig zu sein. Der Einzige, der darunter litt, war Kodi. Er sah stumm dabei zu und wusste nicht, zu wem er halten sollte. Doch darauf nahmen wir selten Rücksicht. Zumindest ich nicht.

Natürlich wusste ich, warum wir nach Hause mussten, aber meine Prioritäten waren eben anders als die von Zain. Und die von meinen Eltern. Sogar anders als die vom ganzen Stamm! Und das machte mich recht unbeliebt. Niemand wollte jemanden, der aus der Reihe tanzte, alles kompliziert machte und mehr Probleme als Vorteile verursachte. Aber überall gab es doch ein schwarzes Schaf, und hier war das nun mal ich. Und es stört mich nicht wirklich.

„Aber Zain, du willst doch auch noch nicht zurück", versuchte ich ihn umzustimmen.

Sein Blick wurde nachdenklich. Ha, er wurde weich! Seine Meinung hatte ich schon geändert. Ich kannte ihn einfach zu gut. „Ja schon, aber..."

„Nichts aber! Halt dich nicht immer an die Vorgaben, sondern fang mal an zu leben!" Das war der ausschlaggebende Satz und mit einem geschlagenem Seufzten und hängenden Schultern, gab er auf.

„Na schön. Was machen wir?"

Grinsend schlug ich eine andere Richtung ein. Ich hatte kein Bock darauf, das Training schon zu beenden und ich wollte etwas mehr Kick reinbringen. So liefen wir durch den Wald. Die Vögel sangen fleißig ihre Lieder und das Unterholz knackste unter meinen Schritten. Sonne und Schatten wechselten sich ab und die Baumkronen der Bäume blühten in aller Pracht.

Doch Zain erkannte schnell, wohin ich wollte, und holte auf. „Luke, wir sollten nicht weiter gehen."

„Komm schon, du wolltest doch auch schon mal die andere Seite sehen", neckte ich ihn, da ich wusste, dass er genauso neugierig war, wie ich. Kodi blickte uns ahnungslos an, was mich nur noch mehr grinsen ließ.

„Was ich will spielt keine Rolle, wenn ich dabei unsere Sicherheit gefährde!" Jetzt kam er wieder mit dem Quatsch! Oh man, das musste ich ihm wirklich mal ausreden!

Ich legte meinen Arm um seine Schultern. „Jetzt vergiss das mal für einen Moment!", forderte ich.

Dem Schwarzhaarigen war nicht wohl dabei, aber das war mir wie vieles egal. Also ging ich weiter und Kodi folgte mir. Wenigstens einer!

Vor uns erstreckte sich eine große Schlucht. Sie trennte die beiden Reviere der Clans. Allerdings musste ich sagen, dass wir fast nichts über den anderen wussten. Wie auch. Das waren nur kleine Mantelträger, die keine Ahnung von Mode hatten!

Vorsichtig spähte ich über den Rand. Zu gern würde ich mal die andere Seite des Waldes sehen. Meinen Horizont erweitern. Dazu müsste ich nur die Schlucht überqueren, was nicht so einfach war. Aber auch nicht unmöglich.

„Seid bloß vorsichtig!", gab Zain uns mal wieder Ratschläge. Als ob er befürchten würde, dass ich gleich hier runterspringen würde!

Das ging ganz schön steil bergab, aber ich war gut im Klettern und den Boden konnte ich auch sehen. Ganz schön zugewachsen. Niemand wusste was da unten war, denn das Dickicht verdeckte alles. Aber sie gehörte ja auch nicht uns. Was wenn da Brennnesseln waren?! Egal, muss ich durch!

Ich war schon beeindruckende zwei Meter weit geklettert, als ich Zain meinen Namen rufen hörte und ein Schuss direkt neben mir in die Felswand schlug.

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Na, wie fandet ihr das erste Kapitel des zweiten Teils und wer ist von den Brüdern bisher euer Liebling?💗

His Green EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt