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• L A I L A •

Mit vollem Kopf saß ich neben David im Bus. Herr Laslo und seine Worte gingen mir einfach nicht aus dem Kopf. Woher wusste er all das?! Zu den Guten gehörte er ja definitiv nicht, da war ich mir sicher, nur was machte er dann an unserer Schule, wenn er Waldmenschen so sehr hasste? Würde man den Kontakt dann nicht eher meiden?

„Über was denkst du nach?", fragte David neben mir, der bis eben noch unmotiviert aus dem Fenster gestarrt hatte.

Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Wieso?"

„Naja, dein Kopf und dein Gesicht sehen so aus, als müssten sie bald nen Neustart machen, da sonst ein Absturz droht", lachte er. „Und du schaust so kritisch."

„Herr Laslo", fing ich an und David stöhnte genervt auf, „Woher weiß er über uns Bescheid? Ich dachte ihr seid nicht sonderlich kommunikativ was euer Leben im Wald betrifft."

„Sind wir auch nicht. Aber es gibt nun mal überall Ausnahmen. Wir sind nicht der einzige Clan oder Stamm oder was auch immer", erklärte er. „Sieh mal Molotovs Vater an, er gehört auch nicht wirklich zu uns, kennt uns aber. Vielleicht war sein Vater mal Mitglied oder sein Großvater. Nicht alle, die im Wald geboren wurden, bleiben dort auch. Darryls Eltern sind dafür das beste Beispiel."

Ich seufzte. „Ja, aber er scheint ja einen richtigen Hass zu haben."

„Er gehört ja auch höchstwahrscheinlich zu Ihnen", meinte David. „Woher sollte er sonst so viel wissen? Abgesehen davon, würde Das erklären was er vorhin mit in die Quere gekommen meinte."

„Hm." Nervös sah ich wieder aus dem Fenster und stieg wenig später mit David mitten im nirgendwo aus. Mittlerweile konnte ich mich hier gut orientieren und erkannte auch die kleinen Schleichwege im Wald, die kaum sichtbar durch das viele Unterholz waren. Doch unser Geschichtslehrer wollte mein Gedanken nicht loslassen. Vielleicht sollten wir Darryl wirklich langsam mal einweihen. Dann könnten wir zusammen nach einer Lösung suchen.

Im Lager angekommen wurden wir auch schon von Jessie begrüßt. Unser Verhältnis würde sich höchstwahrscheinlich niemals zum Besseren wenden, aber sie akzeptierte mich. Das reichte.

„Habt ihr Darryl gesehen?", wollte die Schwarzhaarige von uns wissen und spätestens jetzt wurde mir klar, dass der heutige Tag irgendwie komisch war.

„Ist er nicht hier?"

„Nein." Jessie sah sich kurz um. „Er wollte sich nochmal im Wald umsehen, kam aber nicht wieder. Ich dachte, dass er vielleicht bei Molotov wäre, aber der hat ihn auch nicht gesehen."

David zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber du kennst ihn ja. Vielleicht hat er nur die Zeit aus den Augen verloren. Ehe ihm etwas passiert, muss schon viel geschehen und er kennt sich gut im Wald aus. Ich würde einfach mal abwarten", schlug er vor.

Mir war jedoch nicht wohl bei der Sache. Klar, wenn sich einer verteidigen konnte, dann ja wohl Darryl.

Aber seit dem Kampf mit Tyl war er regelrecht paranoid was das Gebiet anging. Beinahe jeder Fremde war in seinen Augen eine Gefahr und ein potenzielles Mitglied eines feindlichen Clans. Deswegen ging er auch öfter auf Patrouille und die Wachposten wurden öfter gewechselt, damit sie nicht nachließen. Eigentlich recht unnötig, aber Darryl wollte keinen weiteren Kampf zulassen. Was ich auch durchaus nachvollziehen konnte.

So warteten wir im Essensraum auf den jungen Anführer und vertrieben uns die Zeit. Ich mit Schulaufgaben und David rangelte mit Kion, während Jessie desinteressiert ein Buch las.

Doch auch wenige Stunden später gab es kein Lebenszeichen. Die anderen vertrauten Darryl und wollten trotz leichter Sorge nichts tun. Ich aber wollte ihn suchen. Allein oder mit den anderen, mir war es egal.

„Ihr könnt ja gern die Zeit weiter totschlagen, aber ich such ihn jetzt", bestimmte ich irgendwann.

„Aber, Laila!", rief mir David hinterher als ich den Raum verließ und nachdenklich den Innenhof betrachtete. Es würde nicht mehr lange dauern und es wäre dunkel. Und darauf konnte ich verzichten. Ganz allein im dunklen Wald umherirren wollte ich nicht. „Ich komm mit!", vernahm ich Davids Stimme neben mir und ich unterdrückte ein erleichtertes Seufzen.

Seine Anwesenheit sollte ausreichen, um nicht vollkommen da draußen nervös zu werden.

„Danke", entgegnete ich leise und lief zusammen mit Darryls Adoptivbruder durch den Wald.

Mein Handy in meiner Hosentasche brachte mir vermutlich nichts. Darryl nahm seins nicht oft mit und würde auf Anrufe sehr wahrscheinlich nicht reagieren. Doch nach weiterem Überlegen hatte ich die Hoffnung, dass Molotov vielleicht an der Suchaktion beteiligen würde, trotz dessen, dass er sich in letzter Zeit abkapselte.

Wenigstens ein was Gutes hatte der Tag heute. Molotov nahm den Anruf ab und machte sich auf den Weg zu uns, damit wir zu dritt suchen konnten. Jessie würde Zuhause die Stellung halten.

Doch auch nachdem wir uns spärlich aufgeteilt hatten und immer wieder Darryls Namen riefen, fanden wir ihn dennoch nicht. Keine Spur von ihm. Die Dunkelheit, die den Wald heimsuchte als es langsam dämmerte war da nicht sonderlich hilfreich und so langsam machte ich mir wirklich Sorgen. Er konnte doch nicht einfach weg sein!

„Darryl!", rief ich erneut und als wieder keine Antwort kam ließ ich enttäuscht die Schultern sinken.

„Wir finden ihn schon", sprach mir ausgerechnet Molotov Mut zu, der sich wieder zu mir gesellt hatte und sich unruhig durch seine orangenen Haare fuhr. Er würde es vermutlich nicht zugeben, aber auch er machte sich Sorgen. „Vielleicht ist er auch schon längst Zuhause."

Zweifelnd sah ich ihn an. Wäre das der Fall hätte Jessie doch längst angerufen.

Ein plötzlicher Aufschrei ließ uns beide zusammenzucken und in Davids Richtung schauen. Der Braunhaarige hatte einen Satz nach hinten gemacht und fasste sich an die Brust, als würde sein Herz durch den Schreck zu schnell schlagen und müsste sich erst beruhigen. Ihm Gegenüber stand ein ebenso überraschter Junge, den ich nur allzu gut kannte. Ben.

„Was machst du denn hier?", verlangte David nun säuerlich zu wissen.

Ben sah ihn grinsend an, doch in seinen Augen glänzte Sorge, was durch die Dunkelheit kaum sichtbar war. „Ich suche einen Kumpel. Und ihr? Ich dachte Schnitzeljagd wäre was für Kleinkinder."

„Sind sie nicht!", protestierte David und verzog den Mund zu einem Strich.

Beide wollten sich schon weiter zanken, da mischte sich Molotov ein. „Warte! Du suchst einen Kumpel?"

„Ja."

„Und wen?"

„Was geht dich das an?", meckerte Ben los und ich schüttelte innerlich den Kopf. Im Clan wurden die Dinge eben anders geregelt, weswegen es nicht lange dauerte, bis Molotov Ben gegen einen der Baumstämme drückte, da er nicht die gewünschte Antwort bekam. Ben konnte das schlecht wissen, aber wirklich leid tat er mir nicht. „Was ist denn dein Problem?", fuhr er Molotov an.

Dieser sah ihn nur bedrohlich an. „Wen suchst du?"

„Luke." Ben sah zu mir und David. „Die beiden kennen ihn, er war heute mit mir in der Schule." Überrascht sah ich ihn an. Den Blonden suchte er?

„Ihr kennt ihn?", wollte Molotov wenig begeistert wissen.

David nickte zähneknirschend. „Allerdings."

„Und wer bist du bitte?", fragte Ben erstickt an Molotov gewandt und versuchte sich zu befreien.

Als sich alle drei aber nur blöde Blick zuwarfen, seufzte ich dramatisch auf, schob Molotov von Ben weg und stellte mit genervten Handgästen einander vor. „Molotov, das ist Ben, ein Schulkamerad. Ben, Molotov." Darauf folgte nur Schweigen und weitere Todesblicke.

„Wir suchen auch einen Freund und so sehr ich dich auch nicht leiden kann, das kann kein Zufall sein und wir sollten uns zusammentun", gab Molotov irgendwann überraschenderweise von sich. Entgeistert sahen David und ich ihn an. Hatten jedoch keine andere Wahl und somit liefen wir nun zu viert durch den Wald, wobei Ben keine Sekunde verstreichen ließ, in der er David nicht in irgendeiner Weise nervte.

His Green EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt