22. Kapitel

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Samu:

Es dreht sich immer noch alles um mich herum, als ich Zuhause ankomme. Die Welt fühlt sich irgendwie anders an. Anders als noch gestern oder letzte Woche, anders als ich sie jemals wahrgenommen habe.
Ich schmeiße die Wohnungstür hinter mir zu und bleibe einen Moment dagegengelehnt stehen, schließe die Augen und versuche, meinen Atem zu beruhigen. Es kann nicht das Ende sein, verdammt. Es kann nicht das Ende sein.

Ich hatte Steff, ich war so kurz davor sie zu haben und ich kann nicht verhindern, dass ich zumindest etwas wütend auf sie bin. Weil sie schon wieder einen Rückzieher gemacht hat, weil sie immer noch nicht komplett zu sich selbst steht.

„Fuck“, fluche ich. Meine Stimme klingt rau und heiser. Ich verstehe Steff, aber scheiße, es tut in jedem Zentimeter meines Körpers weh, sie nicht zu haben. Ich beginne, ziellos in meiner Wohnung umher zu laufen, denke fieberhaft nach, was ich tun kann.

Irgendwann finde ich mich im Bad wieder, stehe am Waschbecken und benetze mein Gesicht mit einer Ladung kaltem Wasser. Aber auch das hilft mir nicht. Jetzt ist es soweit, denke ich. Jetzt werde ich endgültig wahnsinnig. Ich steige unter die Dusche, obwohl es schon spät ist und ich längst im Bett sein sollte. Aber an Schlaf ist nicht zu denken, ich bin hellwach, spüre das Adrenalin durch meinen ganzen Körper rauschen.
Gestern um diese Uhrzeit war Steff hier. Gestern um diese Uhrzeit habe ich sie geküsst und realisiert, dass es das ist, was ich will. Nicht Vivi, nicht irgendjemand anderes. Nur sie. Dass ich Vivi nicht verletzen will spielt keine Rolle mehr. Es ist unumgänglich.

Ich stehe nur mit einem Handtuch um meine Hüfte geschlungen im Bad, von meinen Haaren tropft noch Wasser. In meiner Hand halte ich mein Handy. Ich zögere nur eine Sekunde, bevor ich Vivis Nummer wähle. Vielleicht ist es voreilig, vielleicht ist es falsch, aber es muss sein. „Nimm ab, verdammt!“, knurre ich, als es zum dritten Mal klingelt.

„Samu!“, meldet sie sich endlich und klingt erfreut. Meine Finger krampfen sich um das Telefon zusammen.

„Hi“, sage ich gepresst. „Sorry, dass ich dich jetzt so überfalle, aber wir—wir müssen reden.“

„Okay…? Ist alles gut? Du klingst so ernst.“

Ich atme aus. „Nein. Um ehrlich zu sein ist gar nichts gut. Fuck, ich hab keine Ahnung, was gerade abgeht.“

„Samu“, sagt sie und ich kann sie mir bildlich vorstellen, wie sie die Stirn in Falten legt und sich beunruhigt hinsetzt. „Was ist denn los?“

Ich raufe mir die Haare. „Scheiße, keine Ahnung, wie ich das sagen soll. Ich—Gott, wie fängt man sowas an? Ich bin einfach so verwirrt.“

Sie lacht nervös. „Du machst mir Angst. Jetzt sag schon.“

Mein Spiegelbild starrt mich an und ich schlucke. Die Hand, in der ich das Handy halte, zittert. „Vivi, ich—ich glaube, ich liebe dich nicht mehr.“ Mein Herz schlägt so schnell, dass es sich anfühlt, als würde mein Brustkorb zerreißen. Scheiße, Haber. Scheiße.

Es ist still in der Leitung. Sie gibt keinen Ton mehr von sich. Es vergeht eine ganze Minute, in der nichts als Schweigen durch den Hörer dringt und ich überlege schon, einfach aufzulegen, da sagt sie plötzlich: „Hast du getrunken?“ Ihre Stimme bebt und ich beiße mir auf die Zunge, weil ich sonst wahrscheinlich schreien würde.

„Nein. Ich bin, äh, nüchtern.“

„Wie kommst du dann auf so einen Mist?“, will sie wissen.

„Shit, ich—", beginne ich und weiß dann nicht weiter, kann nicht glauben, dass ich mich gerade tatsächlich in diese Situation gebracht habe.

„Samu“, ihre Stimme wird lauter. „Sorry, aber was soll das? Warum rufst du mich an und sagst sowas? Bist du verrückt geworden?“

„Nein, ich—es tut mir leid, ich, ich—", stottere ich. „Es ist…die Wahrheit. Tut mir leid, fuck.“

„Samu!“ Jetzt brüllt sie. „Willst du mich verarschen? Du rufst an
um mir zu sagen Tut mir leid, aber ich liebe dich nicht mehr? Ich frage jetzt nochmal: Was soll das? Wie kommst du auf sowas? Wir haben nicht einmal gestritten oder so. Du—du kannst sowas doch nicht einfach so behaupten.“

Während sie redet torkele ich aus dem Bad. Mir ist schwindelig. Erschöpft lasse ich mich im Wohnzimmer aufs Sofa fallen und, scheiße, ich weiß, dass es dumm von mir war, Vivi anzurufen. Das ist nichts, was man am Telefon besprechen sollte. „Hör zu“, seufze ich. „Ich versuche es dir zu erklären.“

„Scheiße, meinst du das etwa ernst?“

„Ja. Ich fürchte, schon. Das mit uns funktioniert nicht mehr, Vivi.“

Sie schnappt hörbar nach Luft. „Jetzt hör doch auf damit. Sag mir was los ist. Wir können das doch bestimmt wieder geradebiegen.“

„Ich denke nicht“, sage ich müde. Sie gibt keine Antwort, was ich als Zeichen verstehe, dass ich es ihr jetzt endlich erklären soll. Und das tue ich.

Es sprudelt alles aus mir heraus, als wäre ich ein Topf, in dem kochendes Wasser überläuft. Die ganzen letzten Wochen habe ich Vivi nichts erzählt, aber jetzt kann ich es nicht mehr zurückhalten. Ich erzähle ihr von Steff, sage ihr alles, lasse nichts aus. Beginnend bei dem Moment, als sie in ihrer Garderobe Unendlich gesungen hat, bis gestern, als sie halbnackt unter mir lag und ich ihre Lippen geküsst habe, erfährt Vivi alles. In jedem Satz entschuldige ich mich, betone gefühlt eintausend Mal, dass ich ein Idiot bin und sie nichts falsch gemacht hat. Dass es einfach nur an mir liegt.

Als ich fertig bin, ist sie lange still. So lange, dass ich schon Angst habe, sie hat das Telefon beiseitegelegt und ist einfach gegangen. „Vivi?“, frage ich und merke erst jetzt, dass mir Tränen über die Wangen rollen.

„Ja“, flüstert sie endlich und seufzt. „Du meinst es also echt ernst.“

„Ja“, sage ich auch. „Leider ja.“

Wieder dauert es einen Moment, bis sie spricht. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich—ich kann gerade nicht mal weinen.“

„Ich schon.“ Ein trauriges Lachen kommt aus meinem Mund.

„Samu“, sagt sie, „Ich—fuck—ich liebe dich. Das kommt alles so plötzlich, bist du…bist du sicher, dass es absolut nichts gibt, was ich tun kann?“

Ich nicke, bis ich merke, dass sie mich ja nicht sehen kann. „Ja.“

„Das war’s dann also?“, fragt sie und ich höre den Unglauben aus ihrer Stimme heraus. „Du wirfst uns weg? Für eine Frau, bei der du nicht mal weißt, ob sie dich jemals lieben kann?“ Ich schlucke nur, bin unfähig darauf zu antworten, weil ich eben weiß, dass es hirnrissig ist. „Sie ist vergeben, Samu!“

Vivi klingt unendlich verzweifelt und mit jeder Sekunde tut dieses Gespräch mehr weh. „Ich weiß“, sage ich.

„Ich glaub’s einfach nicht, dass du mich über’s Telefon abservierst“, sagt sie nach einigen Sekunden. „Das ist so surreal. Sag mir doch bitte einfach, dass dieses ganze Gespräch nur ein Albtraum ist.“

„Tut mir leid“, antworte ich zum millionsten Mal. Weil ich keine Ahnung habe, was ich sonst sagen soll. Es gibt hierfür keine Entschuldigung. Es gibt nichts, was das hier weniger schmerzhaft macht.

„Ich glaube, ich sollte auflegen. Vielleicht wache ich ja morgen früh auf und hab das hier doch nur geträumt. Und wenn nicht—keine Ahnung, was ich dann mache.“ Sie klingt, als würde sie jetzt doch anfangen zu weinen. „Ich liebe dich, Samu. Wirklich.“

Frustriert schließe ich die Augen. „Ich weiß. Ich wünschte, es
wäre anders. Glaub mir, ich will dich echt nicht verletzen.“

„Ne, komm. Fang mit sowas gar nicht erst an. Ich leg jetzt auf und hoffe, dass du morgen früh wieder zu Verstand gekommen bist.“
Dass das nicht passieren wird, weiß ich genau. Und trotzdem willige ich ein.

Als der Morgen anbricht, scheint mein Leben noch immer keine Gnade mit mir zu kennen. Ich habe keine einzige Sekunde geschlafen, hätte beinahe mit der Faust gegen die Wand geschlagen, weil ich so wütend auf mich bin. Vivi verdient es nicht, dass ich so mit ihr umgegangen bin. Ich hätte warten sollen, bis sie aus Asien zurückkehrt, hätte es ihr persönlich sagen sollen. Und vielleicht wäre selbst das nicht nötig gewesen, weil meine Gefühle für sie möglicherweise doch noch zurückgekehrt wären.
Noch immer denke ich pausenlos an Steff, die sich gestern nicht mehr gemeldet hat. Natürlich nicht. Warum sollte sie auch? Liegt sie doch wahrscheinlich wieder in den Armen von Thomas und redet sich ein, dass er der einzige für sie ist.

Vivi ruft mich an, da ist es noch nicht mal Acht und sie fragt, ob das gestern wirklich kein Traum war und ich sage Nein und sie bricht in Tränen aus. Die ganze Welt zieht in verschwommenen Bildern an mir vorbei, als ich sie durch das Telefon schluchzen höre. Sie nennt mich ein Kack Arschloch und ein Teil von mir will sie umarmen, über ihr weiches Haar und ihren zierlichen Rücken streichen. Aber der andere, der größere Teil ist froh, dass es vorbei ist.

So ganz realisiert habe ich es noch nicht, als wir aufgelegt haben und ich eine Nachricht an Steff tippe.

I broke up with her.

Trotzdem fühlt es sich an, als wäre eine riesige Last von meinen Schultern gefallen.

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Hasse ich Samu lowkey für diese Aktion? DURCHAUS MÖGLICH.

Aber naja, was wäre eine gute Geschichte, wenn die Personen darin immer nur die richtigen Entscheidungen treffen? 🙃

Tut mir übrigens leid, dass eine ganze Woche kein Kapitel kam! Ich habe ziemlich lange an Kapitel 25 geschrieben und, was soll ich sagen, ihr könnt euch freuen auf das was noch kommt. 🤫❤️
-A

& wir war'n 𝘶𝘯𝘦𝘯𝘥𝘭𝘪𝘤𝘩Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt