Epilog

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Ich wusste, dass sie manchmal noch von Alpträumen geplagt wurde. Ganz selten wachte sie mitten in der Nacht schweiß gebadet auf, schnappte nach Luft und weinte. Aber je mehr Zeit verstrich, desto seltener wurden die Träume. Inzwischen waren schon fast sechs Jahre vergangen seit ihrem Tod und die Träume kamen fast gar nicht mehr vor.

Und wenn doch, dann war ich da für sie. Dann nahm ich sie in den Arm, drückte sie ganz fest bis sie sich beruhigt hatte und machte ihr einen heißen Kakao.

„Es ist alles gut.", sagte ich dann immer. Und sie hörte auf zu weinen. Ich war froh, dass sie überhaupt weinte. Ganz am Anfang hatte sie alles so sehr verdrängt, dass ihr nicht mal eine Träne über die Wange gelaufen war.

Es hatte ihr gut getan, das Camp zu verlassen, sogar den Kontinent zu verlassen. Es hatte ihr gut getan, ein neues Leben zu beginnen fernab von Monstern und Göttern und Halbgöttern und Titanen und was sonst noch alles so auf dieser Welt umherwanderte. Ich gebe ehrlich zu, mir hat es auch gut getan. Für sie da zu sein, war meine eigene kleine Therapie. Manchmal fühlte es sich so an, als wäre all das in einem anderen Leben passiert. Oder als wäre es die Handlung eines Buches, was man einmal gelesen hatte und nun Stück für Stück vergessen würde. Nur noch ein paar Narben, einige die sichtbar waren, andere nicht, bezeugten die Wahrheit. Denn es war wahr. Alles davon. Ganz besonders wahr war der Teil, in dem sie gestorben war.

Sie hatte sich von einer Klippe gestürzt um sich und die Schöpfungsgöttin in ihrem Körper umzubringen, und sie hatte es tatsächlich geschafft. Sie war gestorben und hatte somit (und ich übertreibe hier kein bisschen) die gesamte Welt gerettet.

Als ich von ihrem Tod erfahren habe, ist meine klein Welt trotzdem zusammengebrochen. Ich wusste, dass sie keine andere Chance gehabt hatte, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, und trotzdem hat mir nichts mehr wehgetan als zu wissen, dass sie nicht mehr da war.

Umso großer war mein Staunen, als sie ganz genau ein Jahr nach ihrem Tod durch die Tore des Camps spaziert kam, als wäre nichts geschehen. Quicklebendig. Ich erinnere mich so gut an diesen Tag, als wäre es gestern gewesen. Wir waren immer noch beschäftigt mit Aufbauarbeiten nach der großen Schlacht. Die Götter konnten uns nicht helfen, da sie und die Titanen einen Pakt geschlossen hatten, ab sofort der sterblichen Welt komplett fern zu bleiben und in relativem Frieden nebeneinander zu existieren, damit so etwas wie die Euronyme-Sache nie wieder passieren konnte. Und auf einmal stand sie vor mir, irgendwie anders und trotzdem noch genau sie. Sie hatte müde gegrinst und gesagt „Na? Hast du mich vermisst?"

Bis Heute spricht sich nicht darüber, was genau ihr in diesem eine Jahr wiederfahren ist und warum sie noch lebt, obwohl sie eigentlich tot war. Meine Theorie ist, dass sie sehr wohl gestorben ist und mit ihr Euronyme. Weil sie selbst entschlossen hat, dass sie dieses Opfer bringen wollte, hat sie es geschafft. Mit Euronyme zusammen ist die Göttin in ihr und auch die Halbgöttin gestorben, aber sie als Mensch, sie als Kern muss es irgendwie geschafft haben, zu überleben. Ich kann mir immer noch nicht erklären warum und wie, aber ich bin dankbar.

Gedankenverloren strich ich ihr vorsichtig durch die zerzausten Haare und betrachtete ihr friedlich schlafendes Gesicht. Diesen Frieden hatte sie sich mehr als verdient und ich mir auch. Ihr Augenlieder flatterten und dann schaute sie mich an.

„Du Creep! Hast du mir wieder beim Schlafen zugeschaut?", fragte sie vorwurfsvoll, unterbrochen von einem herzhaften Gähnen, grinste dabei aber.

„Klar, weißt du doch. Immer.", antwortete ich und knuffte sie.

„Ich wäre dir bereit zu verzeihen.", überlegte sie laut und kuschelte sich in meinen Arm.

„Ach ist das so?"

„Ja. Ich bin heute großzügig." Sie hob meine Decke an und schlüpfte drunter. „Du musst bloß Frühstück holen. Ich hätte gern ein Croissant, ein Käsesandwich und einen Kakao mit extra viel Schokolade."

Götter, ich würde mich nie an diesem verschlafenen Lächeln sattsehen können.

„Das klingt nach einem erstaunlich fairen Deal.", sagte ich. „Dafür müsstest du mich allerdings aus deinem Klammergriff befreien."

Sie ließ mich nicht los und gähnte erneut, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten.

„Na gut, ich ändere meine Bedingungen. Ich verzeihe dir, wenn du in...zehn Minuten aufstehst um Frühstück zu holen."

„Mache ich, Zoë."

„Ach Luke, ich liebe es, normal zu sein."

EURONYME (Percy Jackson FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt