Winterwitch

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Wanda starrte die kahle Wand ihr gegenüber an. Die Beine waren dicht an den Körper gezogen, die Arme hatte sie um ihre Knie geschlungen und Rücken und Kopf lehnten an der kalten Wand. Außer ihrem eigenen Atem war kein einziges Geräusch zu vernehmen. Noch ein paar Stunden mehr hier drin, und die Stille würde sie wahnsinnig machen. Plötzlich wurde ihr Kopf von einem mächtigen Schmerz durchzuckt. Sie riss die Arme nach oben und presste sie an ihre Stirn. Es passierte schon wieder. Zwei Tage hinter einander. Es musste aufhören! Wanda wusste, dass es nicht ihr eigener Schmerz war, den sie da fühlte, aber sie fühlte sich auf seltsame Art mit der Person verbunden, von der das starke Gefühl kam. Als die Schmerzen abebbten, stand sie langsam auf. Ihre Knie fühlten sich weich und wabbelig an. Ab dem Moment, als plötzlich ein rotes Licht in ihren Händen erschien, war es, als würde jemand anderes ihren Körper übernehmen und sie selbst würde dabei nur zu sehen. Wanda sah, wie der rote Nebel die Tür ihrer Zelle aus den Angeln riss und gegen die Wachmänner auf dem Flur schleuderte. Sie sah, wie ihr Körper mit schnellen und zielgerichteten Schritten einem unbekannten Instinkt folgte, der sie dahin führte, wo sie hin wollte. Zu ihm, wer auch immer er war. Sie sah auch, wie eine weitere Tür dran glauben musste, und wie ihr Körper einen Raum betrat, dort die Wachen ebenfalls niederstreckte. Mit einer einzigen Handbewegung flogen sie gegen die Wände und sanken bewusstlos zu Boden. Erst dann schien sie wieder Herrscher ihres Selbst zu sein. Sie fühlte sich, als wäre sie soeben aus einem Rausch erwacht, als würde sie wieder in ihren Körper zurückkehren. Wandas Blick glitt über die bewusstlosen Männer und Frauen. Hatte sie das wirklich getan? Aber das war auch nicht mehr wichtig, denn in diesem Moment erregte etwas, oder besser jemand, ihre Aufmerksamkeit. Sie wusste sofort, dass sie seinen Schmerz gespürt hatte und seine wirren Gedanken gelesen hatte. Er starrte sie an, als wäre sie eine Fata Morgana oder ein Geist. Aber sie konnte es ihm nicht verdenken. Sie war mit rot glühenden Augen in den Raum geplatzt und hatte alle, bis auf ihn, an die Wand geklatscht. Trotzdem musste sie ihm irgendwie vermitteln, dass er keine Angst vor ihr haben brauchte, denn sie war schließlich seinetwegen hier. Wanda durchquerte den Raum und stand schließlich vor ihm, suchte seinen Blick und nagelte sich darin fest. Gleichzeitig ließ sie ihre Kräfte um die Fesseln an seinen Armen kriechen und diese sprengen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Schließlich streckte sie ihre Hand aus und hielt sie ihm hin. Sein misstrauischer Blick wanderte von ihr runter zu ihrer Hand und dann zurück in ihr Gesicht. Sie wollte seine Gedanken lesen, ließ es dann aber nach kurzem Überlegen bleiben. Er sollte ihr schließlich vertrauen. Als sich plötzlich etwas Kaltes um ihre Hand schloss, richtete sie sich etwas gerader auf, um dann jedoch ein überraschendes Lächeln zustande zu bringen. Seine Metallhand hatte ihre eigene ergriffen. Wanda half ihm auf und griff anschließend auch nach seiner anderen Hand. Dann machte sie vorsichtig ein paar Schritte in Richtung Tür, ihn mit sich ziehend. Sie würde ihn hier raus bringen, das schwor sie sich. Und das, obwohl sie nicht einmal seinen Namen kannte.



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