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Jisung PoV

Wieder einmal wurde ich grob gegen die Wand gedrückt und bekam mehr als nur ein paar Schläge in die Magengrube, doch ich wehrte mich nicht. Es hatte keinen Sinn sich gegen Minho zu wehren.

Ich war sein Boxsack. Seine kleine Puppe, auf die er einschlagen konnte, wenn er seine Wut loswerden wollte. Und wenn ich mich gegen ihn wehrte, wurde er nur noch wütender, was hieß, dass ich nur noch mehr Schläge ab bekam. Außerdem genoss ich den Schmerz auf eine verquere und grausame Art und Weise. Er ließ mich fühlen.

Ich war genauso ein Wrack wie der Junge, der in diesem Moment von mir abließ und wortlos ging. Er sagte nie irgendetwas, wenn er ging. Eigentlich hatten wir auch noch nie wirklich miteinander gesprochen. Die einzigen Male, die ich seine Stimme gehört hatte, waren wenn er leise vor sich hin fluchte und in Gedanken versunken mit Beleidigungen um sich warf.

Seine Beleidigungen waren nicht an mich gerichtet. Ebenso wenig wie der Hass und die Wut, die er an mir aus ließ. Ich wusste nicht, an wen sie sich richteten und ich hatte auch nicht vor, es herauszufinden.  

Mit den gleichen Schmerzen wie jedes Mal machte ich mich auf den Weg nach Hause. Sie verloren langsam immer mehr an Wirkung, doch wann immer ich mein Gewicht auf den anderen Fuß verlagerte, verstärkte er sich und stach mir in den Magen. So als würde mich jeder einzelne Schritt daran erinnern, was ich mir hier eigentlich antat. So als würde mir jeder einzelne Schritt sagen wollen, dass es einen anderen Weg geben musste, als sich regelmäßig verprügeln zu lassen. Aber was sollte ich machen? Ich brauchte dieses Gefühl. Und ich brauchte das Adrenalin, dass durch meine Venen raste und mich besser fühlen ließ als je zu vor. Und so war es doch besser, als wenn Minho sich ein neues Opfer suchte, dass seiner Wut nicht standhalten konnte.

Am Küchentisch fragte niemand nach, was passiert war.

Es war auch niemand da, der mich hätte fragen können. Ich war allein Zuhause. Niemand konnte das Blut an meiner Unterlippe sehen, die ebenfalls Minho's Faust zu spüren bekommen hatte, und selbst wenn, hätte es vermutlich immer noch niemand bemerkt. 

Manchmal fragte ich mich, ob die kleine Blase, mein Schutzschild, den ich mir aufgebaut hatte, mich unsichtbar für jeden anderen machte, denn egal was passierte, mich sprach nie jemand darauf an. Selbst als ich mir den Finger 'schlimm in der Tür geklemmt' hatte -Minho hatte ihn mir gebrochen, aber das konnte ich ja schlecht sagen-, hatte meine Mutter mir bloß ein Kühlpack in die Hand gedrückt und damit hatte sie ihrer Meinung nach genug getan. Erst als ihr fünf Monate später auffiel, dass ich ihn nicht mehr so bewegen konnte wie zuvor, war ihr anscheinend aufgegangen, dass wir damit zum Arzt gemusst hätten. Doch da war es auch zu spät, denn es war bereits ein wenig schief wieder zusammen gewachsen. Genau dies brachte mich auch erst zu dem Schluss, dass es gebrochen gewesen war.

Jeder Bissen, den ich zu mir nahm, schmerzte in meinem Unterkiefer, doch ich ignorierte es einfach. Es würde schon noch wieder weggehen. Oder auch nicht, schließlich wusste ich nicht, wohin Minho das nächste Mal treffen würde. Ich hoffte einfach, dass er mir nicht eines Tages noch den Kiefer brechen würde, denn das würde uns beiden definitiv Probleme machen.

Nach einer Weile wurde es immer schwieriger, den Schmerzen keine Aufmerksamkeit mehr zu schenken und ich bekam das Gefühl mich jeden Moment übergeben zu müssen, selbst wenn ich noch nicht viel gegessen hatte. Vermutlich kam die Übelkeit einfach von den Schmerzen. Doch selbst in dem Wissen, dass es nicht daran lag, dass ich zu viel gegessen hatte, konnte ich nicht mehr weiter essen und verbannte meine Essensreste in den Mülleimer. Dann kümmerte ich mich noch einmal schnall darum, den Geschirrspüler einmal aus und wieder einzuräumen. Zwar zählte das zu den Dingen, die ich täglich tat und bei denen es niemanden wirklich interessierte, dass ich es machte, doch wann immer ich es nicht tat, bekam ich soviel Ärger wie andere vielleicht bekamen, wenn sie sich aus dem Haus schlichen, um sich mit ihren Freunden im Park zu besaufen. Da wollte ich gar nicht erst wissen, wie meine Mutter reagieren würde, dass ich vor einem Jahr meine Jungfräulichkeit an einen meiner damaligen Freunde verloren hatte, einfach weil er zu nervös war etwas falsch zu machen, wenn er mit jemand anderem schlafen wollte. Zwar behauptete sie immer, dass sie super tolerant und offen allen anderen gegenüber war, doch ich wusste, dass da nicht immer die volle Wahrheit hinter steckte.

Erschöpft machte ich mich auf den Weg die Treppe hoch und in mein Zimmer, wo ich mich aufs Bett legte. Stets darauf bedacht, die Schmerzen in einem ertragbaren Bereich zu halten. Es war erst 14 Uhr  und meine Mutter würde in drei Stunden wieder nach Hause kommen, also hatte ich noch zwei Stunden, die ich in Ruhe schlafen konnte, ohne dass sie mich anmeckern würde, weil ich zu faul wäre, wenn man die halbe Stunde, die ich zum Einschlafen brauchte und die halbe Stunde, die ich mir sicherheitshalber den Wecker früher stellte, da sie immer früher Schluss machen könnte.

Ich stellte mir also meinen Wecker, machte ein wenig Musik an, um die Stille zu übertönen und kuschelte mich in mein Kissen, ehe ich einschlief und meinen einzigen Weg raus aus dieser Realität, die ich immer mehr zu verachten begann, fand.

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The Boy in the bubble || MinsungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt