Kapitel 28

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Manchmal wünsch ich mir eine Löschtaste für alles.

Rose

"Rose!" höre ich jemanden um mich herum rufen. Von wem die Stimme kommt, kann ich nicht zuordnen. Ich fühle mich, als wäre ich eingesperrt. Eingesperrt in mir selbst. Kleine Details nehme ich wahr und doch ist es, als würden sie an mir vorbeiziehen.
"Steh...!" Erneut ertönt eine Stimme, welche jedoch durch einen lauten Knall unterbrochen wird. Augenblicklich öffnen sich meine schweren Augenglieder und lassen das neblige Licht hinein. Um mich herum tausend von Steinbrocken, Flammen und...Brian?
"Wir müssen von hier verschwinden!" kommt er sofort auf mich zu, wobei mir sein blutiges Gesicht auffällt. Perplex starre ich zwischen ihm und den Flammen her. Erinnerungen an Dylan, Rebecca und die Explosion schießen in meinen Kopf. Daraufhin folgt ein stechender Schmerz an der Narbe an meinem Arm und erst jetzt bemerke ich, dass auch ich blutverschmiert bin.
"Rose?" Ich zucke zusammen, als sich seine Hand auf meine Schulter legt, weshalb er sie sofort wieder zurück zieht.
"Wo sind...?" Der Versuch einen ganzen Satz über meine Lippen zu bringen scheitert.
"Erklär ich dir wenn wir in Sicherheit sind. Lass uns gehen!" Ohne meine Einwilligung greift er unter meine Arme und zieht mich nach oben, sodass ich auf wackeligen Beinen stehe. Für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl, dass sich alles zehnfach schnell um mich dreht. Brians Hände um mich herum, sind der einzige Halt, den ich gerade habe.
Mit vorsichtigen Schritten führt er mich zwischen den heißen Flammen hindurch, auf die leere, weite Straße. Der schmerz in meinem Körper nimmt mit jedem Schritt den ich gehe, zu. Warum folge ich ihm überhaupt? Wo ist Rebecca? Und wo ist Dylan?
Abrupt bleibe ich stehen und weiche ihm aus, als er wieder nach meiner Hand greifen will.
"Wo sind sie?"
"Rose, bitte. Nicht jetzt." Der zynische Ton in seiner Stimme entgeht mir kein bisschen.
"Ich möchte wissen, wo Rebecca ist!" Versuche ich ihm ruhig klar zu machen, doch er schüttelt nur Augenrollend den Kopf. Wo ist der Brian hin, mit dem ich die letzte Woche Zeit verbracht hatte. Gerne Zeit verbracht hatte.
"Du willst wohl eher wissen, wo Dylan ist. Hab ich Recht?"
"Was findest du nur an ihm? Nach allem was ich dir über ihn erzählt habe." fügt er knurrend und ich schüttle den Kopf.
"Für wen würdest du dich eher entscheiden?" fragt er auf einmal während er sich neben mich stellt.
"Wovon...?"
"Kommt raus, Jungs!" unterbricht er mich. Verängstigt schaue ich in die Tiefen Wälder auf der anderen Seite der Straße. Zwei stark gebaute Männer in schwarzen Anzügen zerren Rebecca aus den Wäldern, während sie ihr eine Waffe an den Kopf halten. Mein Herz setzt aus. Tränen wollen aus meinen Augen strömen, doch selbst dafür fehlt mir die Kraft. Vier weitere Männer, welche Dylan mehrere Waffen an den Kopf halten, kommen nach. Damit zerfällt mein Körper endgültig in tausend Scheiben. Der Boden unter meinen Füßen entzieht sich, die Luft wird geringer.
"Eigentlich wollte ich gar nicht, dass es dazu kommt, doch du hast mir keine Wahl gelassen."
"Was zur Holle ist falsch mit dir!?" schreie ich zitternd.
"Du bist Krank, gestört und vor allem nicht der Brian, den ich mal mochte!"
"Du hast Recht. Der bin ich nicht." Ein teuflisches Grinsen bildet sich auf seinen Lippen.
"Mein Name ist auch nicht Brian." fügt er nach einiger Zeit schweigen hinzu.
"Halt dein Maul...!" flucht Dylan, doch wird von einer Faust welche in seinem Gesicht landet, unterbrochen.
"Wusstest du, das Brian einen Bruder hat?" richtet er die Frage an mich und ich schüttle erstarrt den Kopf.
"Oh, naja. Jetzt weißt du es." Er zuckt provokant mit den Schultern.
"Was meinst du...?" Mit jedem Wort wird das zittern stärker.
"Ich bin Carlos. Brians Bruder." Grinsend sieht er erst mich, dann Dylan an.
"Verfluchte Scheiße! Was redest...!" Dylan versucht sich trotz der Waffen an seinem Kopf, los zu reißen. Doch schon bekommt er die nächsten Fäuste in seinem Gesicht zu spüren.
"Ich...Ich glaub dir nicht." stottere ich vor mich hin. Das kann unmöglich Wahr sein.
"Ich kann dir gerne die Adresse des Friedhofens geben, in dem er liegt."
Bei dem Wort Friedhof zucke ich zusammen. Das kann alles unmöglich stimmen. Brian hatte nie Geschwister. Nie! Es kann nicht sein, dass ich die ganze Zeit dachte, dass Brian vor mir steht, dabei war es ein fremder. Ich habe an Dylan gezweifelt, weil ich nicht glaubrn wollte, dass Brian ein schlechter Mensch ist. Und jetzt soll er tot sein? Niemals werde ich das glauben.
"Wenn du nicht Brian bist, woher wusstest du dann all die Dinge über uns?!" zische ich.
"Brian hat bis an seinen letzten Tag, Tagebuch geschrieben." lacht er.
Bis an seinen letzten Tag.
"Warum sollte Brian nicht mehr leben?! Er war kerngesund!" Tränen verlassen mein Auge.
"Das war er wirklich. Aber weißt du Rose, er war einfach zu gut für diese Welt. Jemand musste sich rächen und er war nicht bereit, diese Aufgabe zu übernehmen."
"Rächen, rächen, rächen! Was soll der Scheiß? Was kann er für seinen Vater?!" wütend werfe ich die Hände in Luft. Am liebsten würde ich ihm eine Kugel in den Kopf jagen. Die ganze Zeit über, dachte ich, Brian vor mir zu haben und jetzt soll alles eine reine Lüge gewesen sein? Ein Schauspiel? Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so sehr betrogen gefühlt, wie jetzt. Ich kann immer noch nicht fassen, dass er nicht Brian ist. Warum hatte Brian mir damals verschwiegen, dass er einen Bruder hat? Das alles ergibt absolut keinen Sinn.
"Willst du es ihr erzählen, oder soll ich es tun?" sagt er an Dylan gerichtet. Dieser blickt ihn hasserfüllt an.
"Was erzählen?" Angespannt verkreuze ich die Arme vor der Brust.
"Er wusste wer ich bin. Nicht sofort, schließlich warst du ja sein Plan gegen mich und das musste ich ausnutzen, um ihn in eine Falle zu locken. Als er dann vor paar Wochen erfahren hat, wer ich wirklich bin, hast du ihm nichts mehr genützt. Deswegen hat er nicht nach dir gesucht. Er hat dich nicht mehr gebraucht. Du warst immer nur ein Teil seines Planes. Mehr nicht, Rose." Mit einem teuflischen grinsen auf den Lippen starrt er mir direkt in die Augen. So als würde er auf eine Reaktion von mir warten.
Zitternd schüttle ich den Kopf. Er lügt. Ganz sicher tut er das.
"Ich hätte aber nicht gedacht, dass er kommen würde, wenn dein Leben auf dem Spiel steht." fügt er ironisch lachend hinzu.
"Du hast die Bombe gelegt?" ich weiche mehrere Schritte zurück woraufhin er selbstsicher nickt. Er war bereit, Rebecca und mich in diesem Haus sterben zu lassen. Es war sein Plan gewesen. Wie konnte ich die ganze Zeit über nicht merken, dass er nicht Brian ist? Wie konnte ich mich trotzdem auf eine merkwürdige Art und Weise zu ihm hingezogen fühlen? Wie konnte ich Dylan vertrauen?
"Sag mir bitte, dass er lügt." Ich sehe in Dylans tiefgrünen Augen. Er öffnet kurz den Mund, dann schließt er ihn jedoch wieder. Nein, nein, nein.
"Du hast mich also nur benutzt?" Meine Stimme klingt gebrochen.
"Du wolltest mir gar nicht helfen, Rebecca hier raus zu holen, hab ich Recht?" füge ich leise hinzu. Die ganze Zeit über, wurde ich belogen. Von allen.
Sofort schüttelt er den Kopf.
"Verdammt, natürlich wollte ich dir helfen! Lass es mich dir erklären!" Er will auf mich zu rennen, doch die starken Arme der Männer halten ihn zurück.
"Es ist nicht so, wie er es sagt!" schreit er doch ich gehe nicht darauf ein. Jeder seiner Wörter sind wie ein Schlag in meinem Gesicht. Wie konnte ich die ganze Zeit so blind sein? Ich wurde benutzt - von beiden. Mir schweben tausend fragen durch den Kopf. Das kann alles nicht wahr sein.
"Also Rose, für wen entscheidest du dich?" Ich zucke zusammen, als Carlos anfängt zu sprechen.
Carlos, nicht Brian. Brian ist Tot.
Schwer atmend sehe ich zwischen Rebecca und Dylan her. Rebeccas Blick ist auf den Boden gerichtet, Dylans direkt auf mir.
"Verfluchte Scheiße, lass sie in Ruhe!" Flucht Dylan an Carlos gerichtet.
"Scheller." flüstert er mir in mein Ohr, doch ich rege mich kein Stück.
"Ich." sage ich emotionslos.
"Töte mich und lass sie Leben."
"Was tust du da?!" schreit Dylan aufgebracht.
"Nein!" schreit auch Rebecca, doch ich ignoriere beide.
Lachend sieht Carlos mich an. Dann kommt er mir bedrohlich nah.
"Das hätte ich sowieso gemacht." raunt er. Fassungslos schüttle ich den Kopf.
"Du mieses Schwein!" spucke ich weinend hervor.
"So mies bin ich doch gar nicht, ich helfe dir sogar bei deiner Entscheidung." Kaum hat er den Satz über die Lippen gebracht, fällt schon der laute Knall einer Waffe. Schmerzhaft schreiend fällt Rebecca zu Boden. Daraufhin fallen weitere Schüsse. Nicht von Carlos, auch nicht von den Männern.
Liam zehn weitere Männer rennen auf uns zu. Alles geschieht so unglaublich schnell, dass ich kaum etwas realisieren kann. Mein Blick ist immer noch auf Rebeccas leblosen Körper gerichtet. Ich kann mich nicht einmal bewegen. Wie erstarrt stehe ich da. Alle gemeinsamen Erinnerungen mit ihr ziehen an mir vorbei. Sie war die einzige richtige Freundin, die ich je hatte. Sie war meine Familie. Sie war.
Es ist alles meine Schuld. Ich bin verantwortlich für ihren Tot. Wenn ich mich für Dylans Tod entschieden hätte, würde sie noch leben. Sie würde bei mir sein. Ein dunkler Schauer durchläuft mich. Meine Seele fühlt sich leer an. Ich habe alles verloren, was ich hätte verlieren können.
"Nimm die!" Jemand drückt mir eine Waffe in die Hand, doch ich lasse den Blick nicht von Rebecca.
Ich sollte dort liegen, nicht sie.
Plötzlich spüre ich, wie sich zwei starke Arme um meinen Körper legen. Dylan.
"Alles wird gut, hörst du?" Er dreht mich zu sich und sieht mir in die Augen. Stumm sehe ich an ihm vorbei zu Rebecca.
"Ich weiß wie sich das anfühlt, aber du musst jetzt stark bleiben, hast du mich gehört?" Er wischt mir die unbewussten Tränen aus dem Gesicht.
"Du hast doch keine Ahnung." flüstere ich und versuche mich von ihm abzuwenden.
"Meine Mutter und Schwester wurden vor meinen Augen umgebracht. Ich weiß wie es ist."
"Sieh mich an, Rose." fügt er nach einiger Zeit hinzu, doch ich ignoriere es.
"Sieh mal einer an, unser traumhaftes Pärchen wieder vereint." ertönt die Stimme von Carlos und sofort zieht Dylan mich näher an sich.
"Möchtest du vielleicht zu mir kommen, Rose? Ich bin hier so allein." Provoziert er.
"Oder willst du, dass ich das selbe was ich mit Rebecca gemacht habe, mit ihm mache?" Er zieht eine Waffe und hält sie auf Dylan gerichtet.
"Geh nicht." flüstert Dylan und hält mich fest, damit ich nicht los laufe. Hilfesuchend sehe ich ihn an.
"Ich muss gehen..." weine ich leise, doch sein Griff um mein Handgelenk wird stärker.
"Bitte." flüstere ich nach einiger Zeit und er nickt.
Langsam lässt er mich los. Mit weit aufgerissenen Augen gehe ich auf Carlos zu.
"Gutes Mädchen." sagt dieser und nimm seine Waffe runter.
"Gib mir deine Waffe." Er streckt seine Hand aus, doch ich bewege mich nicht.
"Gib schon her." Gerade als ich sie ihm geben will, wird Carlos von Liam zu Boden geworfen.
Um uns herum ertönen wieder mehrere von Schüssen. Meine Ohren schmerzen, mein Körper bebt.
"Rose?!" Dylan wird von einem von Carlos Männern festgehalten. Als ich wieder zu Liam blicke, liegt dieser Blutend auf dem Boden. Carlos erhebt sich wieder und kommt auf mich zu.
"Vertraust du mir?!" schreit Dylan während er blutig geschlagen wird.
"Ich....Ich weiß es nicht." Erneut steigen mir Tränen in die Augen.
"Rose!"
Carlos kommt mir immer näher. Rebeccas lebloser Körper sitzt tief in meinem Kopf. Alles um mich herum fängt an, sich zu drehen.
"Okey, ja! Ja ich vertrau dir!" schreie ich.
"Dann schieß!"
Ohne zu überlegen, tue ich, was er mir sagt. Ich sollte ihn verachten, doch stattdessen schenke ich ihm wieder einmal mein vertrauen. Auch wenn ich weiß, dass es ein Fehler ist.
Es war schon immer ein Fehler.
Wir waren schon immer ein Fehler.

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