Wer kann schon schlafen?

159 7 3
                                    

Es wurde Nacht. Keiner von sprach noch sonderlich viel. Hunger hatten wir auch keinen, also machten wir das einzige was uns übrig blieb, versuchen zu schlafen. Ich wollte und konnte noch nicht schlafen. Also blieb ich draußen an der Feuerstelle sitzen, obwohl schon lange kein Feuer mehr brannte. Es war stockdunkel um mich herum, lediglich vereinzelte Lichter aus dem Quartieren waren zu sehen. "Du kannst also auch nicht schlafen?" Markus setzte sich neben mich. Auch wenn ich nicht viel sah, spürte ich wie er zu mir sah. "Kann das irgendwer von uns?" Nun blickte auch ich zu ihm. Trotz der Dunkelheit erkannte ich seine Augen, in welche ich direkt blickte. "Auch wieder wahr!" Er legte eine kurze Pause ein, in der er nach vorne blickte. "Ich wollte dich noch loben", fing er leicht lachend wieder an zu sprechen. Skeptisch zog ich ne Augenbraue hoch. "Ich dachte heute oft genug, du würdest explodieren. Respekt, dass du es nicht getan hast" Nun musste ich auch lächeln. "Wundert mich selber auch", gab ich einfach nur von mir. "Darf ich dich mal was fragen?" Nun klang seine Stimme wieder ernst und ich spürte seinen Blick wieder auf mir. "Was denn?", auch ich wurde wieder ernst. "Was hat es mit der Taschenuhr auf sich? Das lässt mich die ganze Zeit schon nicht los. Ich meine, ich hab mit vielem gerechnet, nur das verwundert mich" Wieder spürte ich seinen Blick. 
"Weißt du...", setzte ich an und seufzte, "Damals, als es Die Wilden Kerle noch nicht gab... Ich wurde schon immer von Michi unterdrückt und schikaniert. Ich musste früh anfangen, mich selbst zu schützen. Damit umgehen, dass ich alleine bin. Ich glaub ich war 5 oder so, da hab ich im alten Schrott gespielt. Da hab ich sie gefunden. Ich weiß nicht was es war, aber sie gefiel mir einfach. Sie war so kaputt und doch wunderschön. Immer wenn Michi mich wieder eingesperrt hatte, oder sonst was, hab ich sie rausgeholt. Und es hat mich daran erinnert, wie kaputt mein Leben ist. Diese Uhr erinnerte mich immer an mich selbst. Als ob sie ein Spiegel wäre. Sie gab mir Hoffnung, dass ich eines Tages auch mal glänzen könnte"

"Ok! Jetzt bin ich noch mehr verwirrt. Seid wann kannst du so tiefgründig sein?" Markus lachte leicht. Nun musste ich auch schmunzeln. Es war schon komisch, dass ausgerechnet ich so etwas sagte. "Aber ich kann es verstehen", meinte Markus schließlich ernst und legte seinen Arm um mich. "Angenommen du müsstest was abgeben... Was wäre es?" "Ich weiß es nicht genau... Ich hab keinen wirklichen Gegenstand, der mir so am Herzen liegt. Vielleicht der Tennisball, den ich von meinem Vater bekam. Immer wenn ich wieder Tennis spielen sollte und mein Leben nicht ruinieren sollte, wenn mein Vater mir wieder auf die Nerven ging. Er war eines der ersten Geschenke, welche ich von ihm bekam. Ich hatte es immer als Mahnmal, um mich zu erinnern, wie ich nicht sein will" Eine kurze Stille entstand und ich legte meinen Kopf an seine Schulter. Und so saßen wir da, am nicht vorhandenen Feuer, still schweigend. 

"Ich könnte immer noch explodieren. Ich meine, alles hier ist so... komisch. Diese Atmosphäre als wir hier ankamen. Diese Blicke, das Spiel, dieses Mädchen. Die Wölfe wirkten bei all dem nicht wirklich traurig über die Niederlage. Ich weiß nicht, ob es besser wäre, wenn wir verloren hätten. Und dann noch diese Arroganz von Leon. Ich meine, er müsste es mittlerweile gelernt haben, seine Art hat immer nur Ärger gebracht" Ich redete mich selbst in Rage, ohne es zu merken. Meinen Kopf hatte ich dabei von Markus Schulter angehoben. Die Hitze stieg mir in den Kopf, doch es interessierte mich nicht. Markus blieb ruhig neben mir sitzen. Er nahm seinen Arm von mir und blickte mich weiter stumm an. Ich wiederum stand auf und drehte mich zu ihm. "Ich meine, wieso..." Weiter kam ich nicht. Markus war nun aufgestanden und legte seine Hände an meine Wangen. Er zwang mich so, ihm direkt in die Augen zu sehen. Ich sah diese Ruhe, seine Gelassenheit welche er immer ausstrahlte. Und dennoch, es war etwas darin was ebenso die aktuelle Situation ausdrückte. "Elena, beruhig dich. Ich finde die Situation auch nicht gerade gut, aber sich aufzuregen bringt nichts"

Ich löste mich von ihm und drehte mich um. "Ich glaub es wird Zeit zum schlafen" Mit diesen Worten verschwand ich endgültig. Ich ging in unser Quartier und legte mich auf mein Bett. Aber schlafen konnte ich nicht wirklich. Ich blickte stur zur Decke und meine Gedanken kreisten nun. Es wirkte als wären die Wilden Kerlen vernichtet. Als würde es uns nicht mehr geben. Viel zu oft hatte ich Situationen wie nun. Doch fühlte es sich nun anders an. Ich wollte damals zu den Kerlen gehören, um vor Michi zu fliehen. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass mir das Ganze etwas bedeutet. Es war für mich einst nur reiner Zweck, doch schnell bedeutete mir das Ganze etwas. Wie sehr war ich am Boden zerstört als ich verachtet wurde, nur weil ich mit Michi verwand bin und wie sehr war ich Vanessa dankbar, dass ich wieder dazugehörte. Als Leon abhaute und unseren Untergang besiegelte, stand ich am Abgrund.  Und auch wenn ich erst nicht eingestehen wollte, ich kehrte zurück um bei meiner Familie zu sein. Das waren die Kerle für mich, meine wahre Familie. Und nun? Nun war es vielleicht wirklich endgültig vorbei. Die Kerle gab es nicht mehr. Mein Leben fühlte sich in diesem Augenblick wieder mal vorbei an. Ich setzte mich auf und sah betroffen hinunter. Die Kerle waren immer alles was mich ausgemacht hat. Sie waren meine Persönlichkeit. 

"Du kannst also doch nicht schlafen, wusste ich es doch!" Markus lag in seinem Bett und hatte seinen Blick zu mir gerichtet. "Wer kann das schon?", fragte ich und sah mich um. Auch wenn keine Antwort folgte, so wussten wir genau, dass alle wach waren. Und genauso ging die Nacht weiter. Wir lagen oder saßen in unseren Betten und schliefen nicht. Mal stand einer auf um einen Schluck zu trinken, oder sonst was zu machen. Und obwohl alle wach waren, so umgab uns eine Stille. Wir wollten nicht reden, jeder kämpfte mit seinen eigenen Gedanken. 

Ella- Im Auge des SturmsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt