Bilder in meinem Kopf

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Die nächste Nacht brach über uns herein, in welcher wir nur stumm dalagen. Auch wenn wir noch nicht lange hier waren, so schien die Schlaflosigkeit zur Gewohnheit geworden zu sein. Wiedermal wälzte ich mich von links nach rechts. Doch nach einer Zeit, die sich ewig anfühlte, setzte ich mich auf. Ich gab im Kampf um den Schlaf auf. Obwohl ich müde war, bekam ich kein Auge zu. Also saß ich nun da, stumm und wach, ohne auch nur an Schlaf denken zu können. Sobald ich meine Augen schloss, öffnete ich meine Gedanken. Ich konnte es nicht abstellen. Sofort schossen mir Bilder der letzten Jahre durch den Kopf. 

Wie Leon meinen Bruder herausforderte. Das erste Mal, dass ich wirklich Angst hatte. Michi selbst lehrte mich, keine zu haben. Ich musste bei ihm immer auf alles gefasst sein. Doch als wir gegen ihn spielen sollten, überkam mich diese Angst. Angst vor dem Alleinsein. Die Kerle waren mehr als nur meine Freunde. Auch wenn ich zu dem Zeitpunkt verschlossen war, so waren sie meine Familie. Sie waren der Grund, warum ich mein Leben aushielt. Und auf einmal sollten wir gegen meinen Feind spielen. Mein Feind, der wusste, dass ich verwundbar war. Und das war schon immer Michis Stärke. Er schaffte es deine Schwachstelle zu erkennen und sie auszunutzen. So wie er es bei Camelot getan hatte. Meine Angst wurde wahr, ich war alleine. Und ohne Vanessa wäre ich es vermutlich auch geblieben. Bei diesem Gedanken lächelte ich leicht. Meine Angst war damals so real, ich stand alleine da und doch blieb ich es nicht. Ich wurde akzeptiert und wir schafften es, zu einer Mannschaft zu werden.

Als Gonzo auftauchte, war ich ebenso am Boden. Wieder überkam mich die Angst. Diesmal jedoch, weil ich die Kerle umbringen wollte. Meine Wut auf alles stieg. Trotz Vanessa und mir, beleidigten sie Mädchen bei jeder Gelegenheit. Ich wollte nicht mehr länger als Kerl gelten, ich wollte endlich ein Mädchen sein. Doch auf die Jungs verzichten wollte ich auch nicht. Und sie anscheinend auch nicht auf mich. Warum sonst wäre Markus aufgetaucht, um mich zu der Talentcouch Aktion zu holen. Auch wenn ich nicht mitmachte, ich mich wehrte, Vanessa zurück zu holen. Ich wollte nicht helfen, nur damit sie weiter der Kerl war. Ich wollte, dass die Kerle sie selbst zurück holen. Und als sie es schafften, war ich glücklicher als je zuvor. Meine Hoffnung stieg, dass ich ebenfalls endlich akzeptiert werde. 

Auch wenn ich ein Jahr warten musste. Ein endloses Jahr. Als Joschka und Nerv auftauchten, nachdem wir uns ein Jahr nicht gesehen hatten, wollte ich nicht mehr. Meine größte Angst war wahr geworden. Nun wo ich hier saß, auf Ragnarök, fühlte ich mich wie in diesem Jahr. Alleine! Würde es bald genauso laufen? Würden wir wieder in das Jahr zurück katapultiert werden? Würde ich wieder einsam in den Graffitiburgen sein? Den anderen aus dem Weg gehen, weil niemand mehr sich in die Augen sehen kann? Weil die Scham zu groß ist?
Meine Gedanken schweiften weiter, an diese Augen, welche mich zurück holten. Wieder musste ich leicht lächeln. Diese Augen, welche ich so oft ansehen könnte, die Ruhe welche in ihnen lag.

"Werden wir jemals wieder schlafen können?" Ich erschrak leicht. Markus saß neben mir und sah mich einfach nur an. Ich war so in meinen Gedanken, dass ich nicht merkte, wie er sich neben mich gesetzt hatte. "Scheint nicht so", gab ich leicht schmunzelnd von mir. Auch seine Lippen wurden von einem leichten Schmunzeln geziert: "Na dann können wir auch einfach von Beginn an wach bleiben" Ich lachte leicht auf und sah ihn an. Ich wollte etwas sagen, egal was. Hauptsache es würde mich von meinen Gedanken ablenken, doch fiel mir nichts ein. Ich blieb stumm, obwohl ich schreien wollte. 
"Was ist los? " Seine Augen musterten mich leicht besorgt, doch statt zu antworten zog ich skeptisch eine Braue nach oben. Was meinte er genau? "Ella, ich meine damit, dass du immer die Wildeste von uns warst. Du hast dich nicht unterkriegen lassen, egal was war. Bist dir fast immer treu geblieben. Und dieses Jahr vor Fabi kann man eigentlich auch ignorieren, da wir uns alle verraten hatten. Aber nun wirkst du nicht mehr wie diese Ella. Du wirkst, als ob du nicht mehr du wärst" Ich schluckte leicht, unfähig darauf zu antworten. Doch Markus Augen lagen ruhig auf mir, als würden sie Sorge haben, mich zu bedrängen. Irgendwann fand ich jedoch die passenden Worte, auch wenn meine Stimme leise war und leicht zitterte: "Nein! Ich bin momentan die Elena, die ich immer war! Ich bin unsicher in Allem, habe Angst und kann mich nicht kontrollieren. So war ich schon immer" "Und warum hast du es dann verborgen?" "Weil ich immer das kleine Mädchen war. Ich konnte nicht zeigen wer ich bin. Was hättet ihr damals gemacht, wenn ich Schwäche gezeigt hätte? Oder Michi?" Nun senkte sich sein Blick, auch wenn ich wusste, dass er mir zustimmte. Es war damals schwierig für mich, mich zu behaupten. Die Jungs suchten nach Gründen, dass ich ein Mädchen war und Michi suchte nach Gelegenheiten, mich fertig zu machen. 

Ohne dass ich etwas sagen oder machen konnte, drückte Markus mich an seine Brust. Sachte spürte ich seinen Atem an meinem Ohr und hörte seine leise Stimme: "Ich kenn das! Wenn man sich nicht mehr sicher ist. Und mir hat immer geholfen zu wissen wer ich war. Aber ich habe gerade eher das Gefühl, dass du nicht mal darauf eine Antwort hättest. Zumindest keine die ich akzeptieren würde" "Markus?", meine Stimme war nur noch ein Hauch. Ich war unfähig laut zu sprechen. "Hmm?" "Danke!" Nun musste er leicht lachen: "Wofür?" Auch seine Stimme war gesenkter. Ich hob meinen Kopf und sah ihn in seine Augen. "Dass du mich zurück geholt hast. Ohne dich, würde ich vermutlich immer noch auf dem Dach sitzen und mich verstecken. Ich würde mich weiter verraten. Danke, dass du mich zu mir geholt hast!" Seine Lippen zierte ein Lächeln, welches mich sofort ansteckte. "Es wäre nicht das selbe ohne dich" Seine Stimme war kaum noch zu hören, als seien seine Worte nur für mich bestimmt sein. Seine Hand welche noch an meinem Rücken lag, wanderte vorsichtig zu meinem Nacken und zog mich sanft näher. Unsere Gesichter trennten nur noch wenige Zentimeter und unsicher schloss ich meine Augen, sowie er...

"Ihr seid schon wach?"

Ella- Im Auge des SturmsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt