v i e r z e h n

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Als ich Rafaels Schritte das nächste Mal auf der Treppe höre, ist es bereits dunkel draußen. Die Vanillekipferl sind fertig, ebenso wie die Cupcakes. Gerade betrachte ich, wie die Zimtsterne im Backofen langsam aufgehen und eine schöne Farbe bekommen. Das Lächeln auf meinen Lippen wird immer größer, als ich auch den Geruch dazu wahrnehme. Himmlisch.

„Hier sieht es aus wie in der Weihnachtsbäckerei." Rafael kommt durch das Wohnzimmer auf mich zu. Seine Haare sind ein wenig zerzaust, sein Blick wirkt verschlafen. Womöglich waren die vorgeschobenen Telefonate auch nur ein Vorwand, um sich zurückziehen und die Ruhe genießen zu können.

Anders als bei unserer Ankunft trägt er jetzt keine Jeans mehr, sondern eine Jogginghose, die ihm ein wenig zu tief auf der Hüfte sitzt.

Er lässt den Blick schweifen und betrachtet die vielen Teller. Schon vor geraumer Zeit bin ich dazu übergegangen, die fertigen Plätzchen und Gebäcke auf dem Esstisch zu platzieren. Trotz der Größe der Küche ist mir der Platz ausgegangen und ich habe umplanen müssen. Deswegen ist der Tisch als Essplatz nun kaum mehr zu gebrauchen.

„Es ist schon recht spät und ich habe wirklich hunger. Wie sieht es bei dir aus?" Er legt sein Handy zwischen den Tellern ab und verschränkt die Arme locker vor der Brust, nachdem er sich zu mir umgedreht hat. Ich bin gerade dabei, den übriggebliebenen Puderzucker wieder in die Schachtel zu befördern, nehme mir aber ein paar Sekunden, um seinen Blick zu erwidern.

„Eine Kleinigkeit wäre nicht schlecht", gebe ich möglichst beiläufig zu. Der Hunger hatte mich schon geplagt, bevor er mich am Mittag angerufen hatte. Zwischendurch hatte ich einige der Plätzchen gegessen, die mir in ihrem Aussehen nicht gefallen haben. Aber gesättigt haben sie mich auf keinen Fall.

„Wenn du mir Platz zum Arbeiten lässt, kann ich uns etwas kochen." Er setzt sich in Bewegung und kommt langsam auf meine Seite des Tresens. Meine Augenbrauen heben sich wie von selbst.

„Du kannst kochen?", frage ich und gebe mir dabei wenig Mühe, meine Überraschung zu verbergen. Es ist nicht die einzige Frage, die mir auf den Lippen brennt, doch bei der zweiten bin ich mir nicht sicher, ob ich sie aussprechen soll.

Er schmunzelt und feine Grübchen in seinen Wangen werden sichtbar. Zielstrebig steuert er auf den Kühlschrank zu. Ich verschränke die Arme vor der Brust und lehne mich mit der Hüfte an der Küchenzeile an.

„Das kann ich. Und zwar wirklich hervorragend", versichert er. Spielerisch zwinkert er mir zu, bevor er einige Zutaten aus dem Kühlschrank holt.

„Sollte ich von irgendwelchen Allergien wissen? Oder gibt es etwas, was du nicht magst?", fragt er, während ich noch dabei bin, seine Antwort zu analysieren. Sein Ego ließ wahrscheinlich nicht zu, dass er eine Antwort gab, ohne anzugeben oder zu zeigen, dass er etwas gut, oder gar besser als andere konnte.

„Sollten nicht andere entscheiden, wie dein Essen schmeckt? Man selbst ist immer ein wenig voreingenommen, findest du nicht?"

Rafael schließt die Kühlschranktür, lehnt sich seitlich an den Tresen und imitiert meine Haltung. „Wenn dich jemand nach deinen Backkünsten fragt, wie würdest du antworten?" Seine Augenbraue hebt sich herausfordernd und ich beiße mir auf die Unterlippe als ich merke, was er vorhat.

Ein triumphierendes Grinsen legt sich auf seine Lippen und ich rolle mit den Augen, bevor ich mich von den Möbeln abstoße. Keine Antwort scheint ihm Antwort genug.

Zimtherzen ₂₀₂₁ | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt