a c h t z e h n

119 17 6
                                    

⋅𖥔⋅

„Wie dem auch sei", sage ich irgendwann. Nach wie vor spüre ich die Blicke seiner Freunde auf mir, was mich dazu bringt, einen Schlussstrich ziehen zu wollen. Ich möchte mich auf den Weg ins Getümmel machen und unter all den Menschen vergessen, welcher komischen Situation er mich ausgesetzt hat.

„Ja, lass uns gehen. Wir wollen schließlich die Stände erkunden", beschließt Rafael kurzentschlossen. Erneut legt er seine Hand auf meinen Rücken und schiebt mich vorwärts. Dieses Mal mache ich es ihm allerdings nicht so leicht.

Ich schüttele den Kopf und bleibe stehen, bevor ich mich zu ihm umdrehe. Es dauert einen Moment, bis er merkt, dass ich stehengeblieben bin und ich sehe mich schon mit heißem Wein auf meinem Mantel konfrontiert. Aber der erwartete Zusammenstoß bleibt aus. Im letzten Moment bremst er sich.

„Was ist los?", fragt er belustigt. Er sieht auf mich herab und trotz dem schwachen Licht kann ich das Glitzern in seinen Augen erkennen. Im Gegensatz zu vorhin, wo uns seine Freunde umringt haben, sind seine Gesichtszüge nun wesentlich entspannter. Auch seine Haltung hat an Spannung verloren. Er sieht aus wie ein anderer Mensch, jetzt, wo es nur noch wir beide sind.

Die ernsten Züge um seinen Mund haben einem Lächeln Platz gemacht, das mich an unseren gemeinsamen Abend erinnert.

„Hast du es wirklich ernst gemeint als du gesagt hast, dass du mich begleiten möchtest?", hake ich unsicher nach. Ich bin davon ausgegangen, dass er meinen Fluchtinstinkt als Ausrede genutzt hat, um sich ebenfalls verziehen zu können.

Nachdem ich fast den halben Tag in seiner Wohnung gehangen und die Küche für meine Zwecke missbraucht hatte, habe ich nicht damit gerechnet, dass er in der nächst besten Situation wieder nach meiner Nähe suchen wird. Eigentlich habe ich sogar fest damit gerechnet, dass sich unsere Wege wieder voneinander entfernen und wir uns, wenn überhaupt, nur noch ab und an im Café über den Weg laufen. Und das auch nur, bis alles wieder in Ordnung ist.

„Ja, das habe ich. Ich möchte gemeinsam mit dir über den Weihnachtsmarkt gehen", bestätigt er mir so ehrlich, dass ich nicht anders kann, als das kleine Lächeln auf meinen Lippen zuzulassen. Irgendwie freut es mich, dass er mich tatsächlich begleiten möchte, aber innerlich schlage ich mir mit der Hand gegen die Stirn.

Ich habe gelernt, dass in seiner Gegenwart nichts einfach ist. Ich kann mich schlechter konzentrieren, bin unnachsichtig und lasse mich von ihm durch seine Spielchen provozieren. In der einen Sekunde habe ich vorsichtige Schmetterlinge in meinem Bauch, die verschlafen mit den Flügeln schlagen, und im nächsten Moment wird mir klar, dass wir in zwei völlig unterschiedlichen Welten leben. Trotzdem kehrt dieses nervöse Kribbeln immer wieder zurück und ich kann mir keinen Reim darauf machen, warum ich es durch logisches Denken nicht einfach ausschalten kann.

Während der vergangenen Tage habe ich versucht, den Abstand zwischen uns zu halten. Ich wollte nicht, dass wir uns annäherten und eine Grenze überschritten, die uns zu mehr als Fremden macht. Seit unserem ersten Treffen bin ich davon ausgegangen, dass er den Abstand früher oder später suchen wird und ich wollte in diesem Fall nicht Gefahr laufen, geschwächt aus dieser Situation hervorzugehen. Ich wollte keinen Herzschmerz und keine Wut spüren. Das Alles kann ich nicht gebrauchen, wenn die Backstube wieder meine volle Aufmerksamkeit fordert.

Andererseits wird mir immer deutlicher, dass nur ich diejenige bin, die sich zurückhält und verkriecht. Es ist nicht er derjenige, der Unterhaltungen scheut.

Zimtherzen ₂₀₂₁ | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt