s e c h z e h n

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Ich schlüpfe in meine Stiefeletten und ziehe auf beiden Seiten den Reißverschluss zu, bevor ich mich vom Küchenstuhl erhebe.

Prüfend sehe ich mich um, versuche herauszufinden, ob ich alles Nötige in meine Tasche gesteckt habe. Danach schließe ich den Mantel über meinem Strickkleid und hänge mir meinen Schal um. Anschließend mache ich mich auf den Weg zur Haustür.

Gerade öffne ich diese, als ich weibliche Stimmen wahrnehme und sich ein Lächeln auf meinen Lippen ausbreitet. Ich husche nach draußen auf den Flur und sehe Paula und Madison die Treppe nach oben steigen. Das kleine Mädchen erkennt mich zuerst. Ihre Augen weiten sich und ein Lächeln erhellt ihr Gesicht.

„Corinn!“, ruft sie freudig, was ihre Mutter dazu bringt, zusammenzuzucken. Nur wenige Sekunden braucht sie, bis sie sich wieder gefangen hat. Jetzt hebt auch ihre Mundwinkel ein Lächeln.

Die Siebenjährige nimmt zwei Stufen auf einmal und ich strecke ihr die Arme entgegen. Zum einen möchte ich sie in die Arme schließen und an mich drücken, zum anderen habe ich Angst, dass sie die Höhe der Stufen nicht schafft und diese stattdessen nach oben fällt. Sie wirft sich mir lachend in die Arme und ich drücke sie liebevoll an mich. „Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, nicht wahr?“, frage ich schmunzelnd. Ich senke den Blick und streiche ihr eine ihrer blonden Haarsträhnen hinter das Ohr. Es ist verblüffend, wie sich die Haarfarben von Mutter und Tochter ähneln. Als würde die eine eine Perücke von den Haaren der anderen tragen.

Paula umklammert mich noch immer, als sie den Kopf in den Nacken legt und mich aus ihren kindlichen Augen betrachtet. Sanftes Grün schimmert mir entgegen und ich seufzte leise. Noch nie habe ich jemanden mit so schönen Augen gesehen, wenn ich die ihrer Mutter außer Acht ließ. Auch in diesem Punkt gleichen sich die beiden stark. Wenn ich recht darüber nachdenke, kann ich ein dutzend Merkmale aufzählen, in denen sie sich ähneln. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich deswegen frage, was sie überhaupt von ihrem Vater vererbt bekommen hat. Wenn ich Madisons Erzählungen glaube, soll das nicht viel sein. Und darüber ist sie mehr als erleichtert.

„Nur gestern, als du nach unten gestürmt bist. Ich habe nach dir gerufen, aber du hast nicht gehört.“ Sie schiebt die Unterlippe nach vorne und ich streiche ihr sanft mit den Fingern über die Wange. „Das tut mir leid, Kleines. Aber ich musste ganz dringend nach draußen.“ Ich schenke ihr ein entschuldigendes Lächeln, das sie für den Moment versöhnlich zu stimmen scheint.

Sie nickt und gibt mich schließlich aus ihrer Umarmung frei. Ich streiche ihr noch einmal mit der Hand über den Kopf, während sie sich neben mich stellt und ihre Mutter betrachtet, die gerade die letzten Treppenstufen zu uns aufschließt. In ihren Händen trägt sie zwei Einkaufstüten, die sie erschöpft am Treppengeländer anlehnt.

„Hatte das mit den Arbeiten in deinem Café zu tun? Ich habe gestern einige Männer gesehen, wie sie dort ein und aus gegangen sind. Brie war auch anwesend, wenn ich mich nicht irre.“ Madison richtet sich auf und streicht sich die langen blonden Haare über die Schultern. Sie klingt ein wenig außer Atem und ich ärgere mich darüber, dass ich nicht eher in den Flur gekommen bin. Ich hätte ihr beim Tragen helfen können.

„Ja, ich habe ein Unternehmen eingestellt, dass sich um den Wiederaufbau der Backstube kümmert. Sie haben gestern angefangen und da ich anderweitig zu tun hatte, hat Brie die Aufsicht übernommen“; erzähle ich. Als ich am frühen Morgen in das Café gegangen bin, um den Fortschritt zu betrachten, bin ich beinahe vom Glauben abgefallen. Schutt und Asche waren beseitigt und die Decke geschlossen. Sie hatten bereits jetzt fantastische Arbeit geleistet.

„Das freut mich zu hören. Ich hoffe, dass du so bald wie möglich wieder öffnen kannst. Paula liegt mir schon in den Ohren, sie vermisst deine Nussecken.“ Madison lacht und ich stimme in ihr Lachen mit ein, während Paula heftig nickt. „Das stimmt. Die von Mama sind auch gut, aber deine sind einfach besser“, versichert sie mir leise. Verschwörerisch blickt sie mich an, als rechne sie damit, dass ihre Mutter sie nicht hören könnte. Ich zwinkere der Kleinen zu.

Zimtherzen ₂₀₂₁ | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt