ᶜᴴᴬᴾᵀᴱᴿ ¹⁰

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Bereits beim Frühstück merkte er, dass irgendwas nicht stimmte. Immer mal wieder sah er zu Levi, doch konnte nicht deuten, was nicht richtig war. Der Schwarzhaarige war stiller als sonst, wirkte nachdenklicher und seine ganze Körperhaltung war anders. Warum Eren dies so genau auffiel wusste er auch nicht. Doch schien er der Einzige zu sein, denn keiner der anderen sprach Levi darauf an, gar achtete auf ihn.
"Tolle Familie, so 'n Dreck.", murmelte Eren leise zu sich selbst. Er nahm sich ein Brötchen und begann es zu beschmieren. Dabei lag sein Blick unbewusst auf den Schwarzhaarigen, der ebenfalls aß. Doch er schien konsequent an etwas denken zu müssen. Etwas besschätigte ihn so sehr, dass er seine Umgebung gar nicht mehr warnahm. Selbst nicht, als er von Emma gefragt wurde, ob er ihr die Erdebeermamelade reichen könne. Darauf zuckte er auf, schien erstmal versuchen zu verstehen, was dieses Kind überhaupt von ihm wollte, reichte dann aber schließlich den süßen Aufstrich dem Mädchen. Eren kaute nachdenklich.

Er kannte Levi nicht mal sonderlich, doch lag es gewissermaßen in seinem Interesse, woran er dachte. Hing es vielleicht mit ihrem gestrigen Gespräch zusammen?, so dachte Eren. Doch er kam nicht darauf. Dann fiel ihm Anna ein. Vielleicht lag es ja wirklich daran, dass er seine Eltern vermisste und immer noch nicht mit ihrem Tod klar kam. Dies war gar nicht mal so unwahrscheinlich für Eren. Es war durchaus nachvollziehbar. Doch irgendwas an diesem Gedanken passte nicht rein. Eren konnte nicht bestimmen was es war. Er wusste nicht wie es war, seine Eltern verloren zu haben. Er war noch sehr jung, als er ins Heim kam. Nichtmal 3 Jahre alt war er da gewesen.
Und als auch nach der ganzen Zeit niemand kam, um ihn abzuholen, hatte er den Glauben ganz aufgegeben. Niemand würde jetzt noch einen Jugendlichen adoptieren, der nur Mist baute. Und ganz ehrlich: Eren brauchte auch niemanden, der ihm Regeln vorschrieb. Das auf gar keinen Fall.

Durch ein Pochen und Drücken in seinem Kopf wurde er aus den Gedanken gerissen. Er hielt sich sein Haupt. Er hätte letzte Nacht wirklich nicht so viel trinken sollen. Das zahlte sich jetzt damit aus, dass er Kopfschmerzen bekam. Doch wenn es jemanden auffiel, so konnte er sich auf etwas gefasst machen. "Kein Alkohl!", das war eine der strengsten Hausregeln. Und er wollte sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn Anna davon Wind bekäme. Von alkoholischen Getränken sollte er sich die nächste Zeit fern halten.

In einen recht kurzen Augenblick, als er wieder zu Levi schaute, trafen sich ihre Blicke. Noch bevor Eren weg sehen konnte, hatte Levi dies bereits für ihn getan. Eren blieb die Luft im Halse stecken. Auch wenn es nur kurz war, er konnte genau in seine Augen sehen. Sie sahen ganz anders aus als Gestern. Sie hatten nicht dieses spiegelnden Schein oder dieses helle Grau-Blau. Sie waren matt und dumpf. Es wirkte, als würde man vor einem Eisblock stehen. Einfach nichts. Einfach nichts konnte Eren in ihnen erkennen. Als hätte Levi einen Schalter umgelegt, der seine Emotionen blockierte.
In gewissermaßen war es auch so. Levi wollte nicht daran denken. Er wollte an seine Feigheit. Und wenn er Eren ansah, schmerzte ihn dieses Zögern umso mehr. Er hatte die puren Flügen der Freiheit quasi persönlich am selben Tisch wie ihn sitzten. Und das dieser Junge auch noch zu ihm rüber sah, machte diese ganze Situation für ihn nicht unbedingt besser. Und selbst wenn er sich jemanden öffnen würde... dieser jemand würde es eh nicht verstehen, gar nachvollziehen können. Er bezweifelte, dass irgendjemand an diesem Tisch das durchmachen musste, wie er.
Als er diesem Druck nicht mehr stand hielt, stand er ruckartig auf, nahm sein Brettchen und brachte es in die Küche. Ganz ignorierend die Blicke der anderen, welche davon mehr als überrascht waren. Verwundert sah Anna ihm hinterher, wollte aufstehen und nach ihm sehen, doch Tim, welcher gleich neben ihr saß, hielt sie am Handgelenk fest. "Was ist--" - "Nichts für Ungut, aber ich denke, wir sollten ihn alleine lassen. Er braucht sicher noch etwas, bis er sich eingewöhnt hat und sich öffnet. Wir sollten ihn zu nichts zwingen.", meinte er. Anna nickte verständlich und klopfte sachte mit der Hand auf Tims Arm. "Du hast Recht. Wir sollten ihn lassen.", sagte sie, doch sah trotzdem dem eben rausgestürmten Jungen hinterher.

Eren saß mehr als verwirrt auf seinem Stuhl und sah ebefalls Levi hinterher. Er zog etwas seine Augenbrauen zusammen. Er verspürte den leichten Drang, aufzuspringen und zu ihm zu laufen. Doch zügelte er sich. Er würde sicher nicht mit ihm reden wollen. Dafür standen sie sich nicht nah genug. Er würde sich auch nicht dem nächstbesten Typen öffnen, der gerade da war. Das wäre unverantwortlich. Ausgerechnet er sagte sowas. Und doch saß er hier, zerbrach sich den Kopf über eine Person, die er vor ein paar Tagen das erste Mal gesehen und gesprochen hatte. Das war doch vollkommen widersprüchlich. Er sollte sich nichtmal für interessieren. Jedoch hatte er das Gefühl, dass sie durch etwas verbunden waren, was nur die beiden wussten.

Und diese Unwissenheit machte Eren nervös. Er wusste nicht, was als nächstes geschah. Er wusste nicht, was  er als nächstes tun gar denken würde. Er wusste jedoch eine Sache: Er war nicht so unantastbar, wie er dachte. Denn dies ging ihm deutlich näher, als es seiner Meinung eigentlich sein durfte.

Als Levi in seinem Zimmer war, die Tür ruckartig zuknallte und seinen Kopf in ein Kissen drückte, ließ er einen gedämpften Schrei raus. Es war seiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, diesen Druck seines Innereren frei rauszulassen. Eine idiotische Annahme, so dachte er. Warum nahm ihm dies so sehr mit? Es war doch eigentlich gar nicht so schlimm. Also warum reagierte er so heftig da drauf?
War es so, weil es für ihn ein komplett neues Gebiet war? Nein, es war viel mehr die Angst. Die Angst, nach dieser Freiheit allein zu sein.

Und er hasste es.

Stay With Me [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt