Kapitel 3 Lia

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Seit fast einer Stunde laufe ich nun schon durch die Straßen. Es ist kalt, ich hatte meine Jacke im Attentat vergessen. Wie konnte der Abend eine solche Wendung nehmen? Immer wieder denke ich daran, was Linn mir, bevor wir losgegangen sind gesagt hatte. Sie hatte die ganze Zeit recht, sie hatte nie ein gutes Gefühl bei Domenik. Immer wieder hat sie mich vor ihm gewarnt und ihre Bedenken geäußert. Und ich habe nie auf sie gehört, immer wieder habe ich ihn in Schutz genommen und vor ihr verteidigt, nur um die Augen geöffnet zubekommen. Er wird sich nicht ändern, das ist mir jetzt klar. Dennoch schmerzt es, er war nicht immer so. Als wir uns kennengelernt haben war er liebevoll und fürsorglich, er war charmant und hatte Humor, er war einfach perfekt für mich gewesen. Bis zu dem Tag vor ziemlich genau einem Jahr, als sein kleiner Bruder Joey von einem Auto erfasst wurde und ums Leben kam. Seine Familie wurde dadurch total zerrüttet, seine Mutter konnte den Verlust nicht verarbeiten, griff immer öfter zur Flasche, sein Vater hat dies nicht mehr lange ausgehalten und verließ seine Familie. Domenik stand alleine da, er hatte nur mich, ich war für ihn da und half ihm, wo immer ich konnte. Es war eine schwere Zeit, doch irgendwann ist das mit dem Verständnis vorbei. Als er anfing sich immer öfter zu betrinken und auf diversen Partys Schlägereien anzuzetteln, hatte ich die Nase voll davon. Ich sprach mit ihm, immer wieder und wieder. Doch es änderte sich nichts. Wir gerieten immer öfter aneinander, er wurde aggressiv und ich bekam Angst vor ihm. Ich gab ihm noch eine Chance, er musste aufhören zu trinken, sonst mache ich das nicht mehr mit. Und es sah auch alles danach aus, dass er es ernst meint, er hörte auf zutrinken und wir waren endlich wieder glücklich. Es ging wieder Bergauf, bis zu dem Todestag seines Bruders vor einer Woche. Ich wollte für ihn da sein, war bei ihm, um bei ihm zu übernachten, doch er kam einfach nicht nach Hause. Irgendwann mitten in der Nacht ging die Tür auf und ein stockbetrunkener Domenik stolperte zur Tür hinein. Wir fingen an zu streiten, warum ich bei ihm zu Hause bin, über seine Alkoholfahne, über sein Versprechen nicht mehr zu trinken. Als ich sagte, dass sein kleiner Bruder bestimmt nicht gewollt hätte das, dass aus ihm wird, schlug er mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Ich weiß noch genau wie ich anfing zu weinen und wie sehr meine Wange brannte. Ich verschwand aus seiner Wohnung und erzählte Linn zu Hause alles. Am nächsten Morgen kam dann seine Entschuldigung. Wieder das Versprechen, er würde nicht mehr trinken und natürlich auch das etwas in der Art nie wieder vorkommen würde. Ich verzieh ihm. Eindeutig ein Fehler.

Bei dem Gedanken an den früheren Domenik, den ich verloren hatte, kommen mir erneut die Tränen. Langsam begriff ich, dass ich den der er geworden ist, schon lange nicht mehr liebte oder nie geliebt habe. Ich hatte immer nur die Hoffnung das er und unsere Beziehung irgendwann wieder so werden wie früher. Das ich meinen alten Freund zurück bekomme, den ich so sehr vermisste. Doch nun gab ich die Hoffnung endgültig auf, ich kann mir nicht ständig weh tun lassen, während ich auf bessere Zeiten warte, die nicht kommen.

Plötzlich bemerkte ich wieder die schneidende Kälte, ich musste zurück nach Hause laufen, sonst erfriere ich an Ort und Stelle. Inständig hoffte ich das Linn bereits schlief, ich hatte wirklich keine Lust das unvermeidliche Gespräch heute noch zu führen. Als ich an meiner Wohnung ankam, schmerzten meine Hände bei dem Versuch den Schlüssel im Schloss umzudrehen. Leise trat ich in den Flur und schlich die Treppen hoch in mein Zimmer. Ich setzte mich vor meinen Spiegel und begann mich abzuschminken. Die Stelle, an der ich mit dem Kopf aufgeschlagen bin, zierte nun ein Bluterguss. Der Anblick machte mich unendlich traurig, doch ich zwang mich dazu jetzt nicht weiter darüber nachzudenken, ich war müde und musste unbedingt ins Bett. Ich zog meinen gemütlichsten Pyjama an, kuschelte mich ins Bett und schrieb Linn noch eine Nachricht das sie sich keine Sorgen machen müsse und ich jetzt im Bett liege. Ich wusste genau, dass ich ihr Morgenfrüh eine Erklärung schuldig bin und genau davor graute es mir am meisten.

Als ich auf wachte dröhnte mir der Schädel. Ich brauchte dringend eine Schmerztablette, ich stand auf und ging zur Tür, doch dann stockte ich mit der Türklinke in der Hand. Wenn ich jetzt runter gehe müsste ich mit Linn sprechen und ihr alles erzählen, was gestern Nacht passiert ist und dann wäre es endgültig vorbei mit Domenik. Niemals würde sie zu lassen, dass ich ihm ein weiteres Mal verzeihe. Ich nahm mir noch einen kleinen Moment um über alles Nachzudenken, bis ich dann entschlossen die Tür öffnete und eilig die Treppen hinunter in die Küche ging. Linn saß auf einem Stuhl am Küchentisch mit einer Tasse Kaffee in der Hand. Schnell ging ich an ihr vorbei zur Schublade, in der die Tabletten sind. "Guten Morgen.", sagte sie vorsichtig und warf mir einen besorgten Blick zu. "Guten Morgen", erwiderte ich. Mein Kopf dröhnt so, das war definitiv zu viel gestern versuchte ich das vorliegende Gespräch schon mal etwas aufzulockern. Ich drehte mich zu ihr um und sie erschrak. In ihrem Gesicht sah ich Wut und Trauer zugleich. "Was ist mit deinem Gesicht passiert? Was hat er getan?" Sie sprang auf und ging auf mich zu, um mein Gesicht zu begutachten. "Wir sind nach der Sache gestern Nacht noch zu ihm gefahren, wir haben gestritten. Eins führte zum anderen und er hat mich geschubst. Ich bin mit dem Kopf gegen den Tisch geknallt." Ich bemühte mich um einen möglichst beiläufigen Ton, doch meine Stimme brach inmitten des Satzes. Linn nahm mich fest in den Arm." Dieses Schwein! Wir rufen sofort die Polizei!" Ich drückte sie sanft von mir.  "Nein, machen wir nicht. Ich habe es beendet, ich möchte jetzt damit abschließen, ohne einen Rechtsstreit anzuzetteln." Ich wusste das, dass ein Fehler war, nur wollte ich Domenik so schnell nicht wieder sehen. "Hast du denn nochmal was von ihm gehört?Wie bist du überhaupt nach Hause gekommen?" Linn klang sichtlich besorgt um mich. "Ich bin gelaufen, ich wollte den Kopf etwas frei kriegen. Gehört habe ich nach gestern nichts mehr von ihm, er hat gesagt er wollte das nicht und das es ihm leidtäte, aber ich bin gegangen." Traurig setzte ich mich an den Tisch und legte den Kopf in die Hände." Du darfst dich jetzt nicht wieder von ihm einlullen lassen Lia! Das geht so nicht weiter, ich..." Ein Donnern an der Tür unterbrach sie." Lia, mach sofort die Tür auf!" Das Blut in meinen Adern gefror. "Ich mach das. Bleib sitzen." Mit schnellen Schritten lief Linn auf die Tür zu. "Sie macht dir sicher nicht die Tür auf und ich auch nicht. Du solltest verschwinden Domenik, bevor ich die Polizei rufe!" In meinem Kopf drehte sich alles. Trotz alledem stand ich auf und ging zur Tür. "Domenik, es ist endgültig vorbei mit uns. Du hast mir gestern gezeigt, dass du dich nicht ändern wirst." "Lia, hör mir zu. Es tut mir leid. Lass mich rein und wir reden darüber!" Seine Stimme wurde immer lauter. "Wir brauchen nicht mehr zu reden. Du hast mir wehgetan, schon wieder! Und jetzt verschwinde, sonst rufe ich die Polizei." Linn bestätigte meine Aussage mit einem Nicken. "Weißt du was, du kleine Schlampe? schrie er durch die Tür. Ich brauche dich nicht! Dann verpiss dich doch einfach!" Ein lauter Knall, wie als wenn er vor die Tür getreten hätte, halte durch die Wohnung, danach hörte ich nur noch wie sich seine Schritte von der Tür entfernten. Wie betäubt ging ich ins Wohnzimmer und setzte mich auf die Couch." Ich bin stolz auf dich", sagte Linn und setzte sich zu mir. "Danke, auch dafür das du mir geholfen hast und immer für mich da bist.", jetzt nahm ich meine beste Freundin in den Arm. Ich war froh darüber das Domenik nun endlich weg war und hoffte das er so schnell nicht wieder auftauchen würde. "Sag mal, wie bist du eigentlich nach Hause gekommen?" fragte ich sie. Ein schelmisches Grinsen kam über ihre Lippen. "Nachdem du weg warst, sind auch fast alle anderen abgehauen. Es war nur noch diese Clique aus dem Auto da. Justin hat angeboten mich nach Hause zu bringen." "Justin also?" Ich setzte mich auf und bedeutete ihr weiterzuerzählen. "Ja, das ist der süße Typ, der hinten im Auto saß. Aber ich habe nichts mehr von ihm gehört danach, wir haben nicht mal Nummern ausgetauscht." Sie zuckte mit den Schultern. "Na, vielleicht sieht man ihn ja wieder." "Vielleicht." erwiderte sie ein wenig niedergeschlagen. Unwillkürlich wanderten meine Gedanken zurück zu Jax. Ob es ihm wohl gut ging nach der Schlägerei? "Sag mal, hast du mit diesem Jax gesprochen?" Ich konnte meine Neugierde nicht in Zaum halten. "Nein, er hatte noch ein bisschen Ärger mit Robbie nach der Schlägerei und ist dann gegangen." Ich spürte einen Druck in meiner Brust und fühlte mich unheimlich schlecht, dass er meinetwegen Ärger bekommen hat. "Mach dir keinen Kopf Lia, das war bestimmt nicht der erste Ärger, den er je hatte." Und damit könnte sie wohl wirklich Recht haben. "Ich muss nachher nochmal dahin, ich habe meine Jacke vergessen und muss auch noch bezahlen.", fiel es mir wieder ein. "Okay, dann gehe ich in der Zeit ein bisschen was einkaufen und wir machen uns einen schönen Tag auf der Couch, einverstanden?" "Einverstanden." Ich habe wirklich glück mit Linn. Sie ist eine tolle Freundin und ich kann immer auf sie zählen, ich hoffe nur das ich ihr das irgendwann alles mal zurückgeben kann.

Poisen Love - Nicht mit mir.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt