Die Anwältin
Die folgenden Wochen laufen schon fast nach einem Schema ab: Jonas hat eine leidende Miene aufgesetzt, ich eine wütende. Wir reden nicht miteinander und ich blicke ihn nicht einmal mehr an, während er ab und zu versucht Kontakt aufzunehmen. Meine Geduld mit allem ist aber dermaßen am Ende, dass ich alles abblocke. Sein Leben geht weiter, wie er es sich vorstellt: Er baut sich sein neues Leben mit Bonni auf, sucht Wohnungen, die arbeiten an der Mission Kind bekommen während ich nach wie vor im Vakuum schwebe und versuche irgendwie wieder Boden unter die Füße zu bekommen.
Mein erster Schritt in die Richtung ist ein Termin bei einer Scheidungsanwältin. Fakten schaffen und die rechtliche Lage verstehen. Habe ich mich bisher nur telefonisch beraten lassen, steht nun sechs Wochen nach Beginn des Dramas für mich der persönliche Termin und die offizielle Beauftragung an. Mir war es wichtig zu einer Frau zu gehen und jemanden zu kontaktieren, der mir empfohlen wurde. Offenbar befinden wir uns mit Mitte 30 in der Altersgruppe, in der viele bereits auf anwaltliche Unterstützung zurückgreifen musste. Auch Scheidungen hat es im Freundeskreis schon gegeben. Deshalb war es ein Leichtes eine Empfehlung für eine Anwältin zu finden.
Relativ kurzfristig bekomme ich einen Termin in der Mittagspause. Als ich vor der Tür der Anwältin stehe steigt etwas Aufregung in mir auf. Selbst mit Mitte 30 gibt es Personengruppen, die mich einschüchtern und mir das Gefühl geben, immer noch nicht erwachsen oder mangelhaft zu sein: Fitnesstrainer, Finanzberater, Ärzte und Anwälte. Bei jedem Gespräch habe ich das Gefühl mich unter Beweis stellen zu müssen oder anderweitig in Erklärungsnot zu kommen. Warum esse ich Chips, warum hab ich nicht schon vor 20 Jahren mit einem Sparplan angefangen, warum bin ich mit meinen Beschwerden nicht schon vorher gekommen oder schlichtweg die selbstgestellte Frage, warum ich nichts „Vernünftiges" gelernt habe wie Jura, Medizin oder Lehramt. Und all das, obwohl ich keine negativen Erfahrungen mit Personen dieser Berufsgruppen gemacht habe. Ganz im Gegenteil. So auch dieses Mal.
Als ich mit schwitzigen Händen im Meetingraum der Anwältin Platz nehme, vermittelt sie mir das Gefühl von Sicherheit und „alles-wird-gut-werden". Zuerst möchte sie alle Eckdaten haben: Wann haben wir uns kennengelernt, seit wann verlobt und verheiratet, seit wann wir zusammen wohnen und seit wann die Trennung ausgesprochen ist. Wir kommen ein wenig ins Gespräch, sodass ich ihr von meinen vergangenen Wochen erzählen kann. Allmählich merke ich, dass ich müde davon geworden bin, meine Situation wiederzugeben, sowohl vor Freunden, Familie, als nun auch hier. Ich möchte die Emotionen nicht mehr spüren und all das hinter mir lassen und neu durchstarten. Die Anwältin reagiert einfühlsam und liebevoll. „Passen Sie auf Frau Goebel, wir machen nun einen Schlachtplan und arbeiten uns Stück für Stück vor. Der erste Schritt soll ihren Anspruch auf Unterhalt sichern." „Unterhalt? Aber eigentlich brauche ich doch gar keinen, ich komme ja selbst über die Runden." „Darum geht es nicht, Sie haben Anspruch darauf und den machen wir geltend. Damit uns der Juli nicht komplett flöten geht, schreiben Sie eine Mail an Ihren Mann mit Fristsetzung zum 24. Juli, in der Sie Ihn auffordern seine Einkünfte offenzulegen zur Berechnung des Unterhaltes. Bis dahin fordern Sie 1.500 Euro pro Monat." Ich stammele: „Das ist ja schon nächste Woche..." „Ja, viel Zeit haben wir nicht mehr. Tun wir das aber nicht, verlieren Sie den Anspruch auf den Unterhalt im Juli und dazu würde ich Ihnen als Ihre Anwältin nicht raten. Wie fühlen Sie sich damit?" „Es schüchtert mich ein und ich habe Angst, was Jonas macht, wenn er die Mail bekommt. Wir wohnen ja noch zusammen und er ist so unberechenbar geworden." „Im besten Fall beauftragt er selbst auch einen Anwalt und lässt die nächsten Schritte prüfen. Was haben Sie zu verlieren, als einen Monat Unterhalt?" „Die Hoffnung, dass Jonas und ich mal mehr waren als eine überstürzte Ehe. Die Hoffnung, dass doch noch nicht alles verloren ist." Die Anwältin nickt: „ Das kann ich verstehen. Es ist schmerzhaft, etwas als gescheitert zu betrachten, das einmal für den Rest des Lebens gedacht war. Aber leider ist das auch das Leben, es passiert andauernd. Mir geht es darum, Sie auf den Weg zu bringen und einen bestmöglichen Neustart zu ermöglichen."
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Ein 'Für immer' gibt es nicht
Non-FictionDieses ungute Gefühl: Als ich in meine Straße einbiege, bemerke ich ein Grummeln im Bauch, ein unangenehmes Ziehen. Ich will eigentlich wieder umkehren, zurück in Milenas Wohnung und mich verkriechen, mich vor dem notwendigen Gespräch verstecken, ab...