Der 15. Juni 2015, da waren wir gerade einmal viereinhalb Monate zusammen, ist bis heute in mein Gedächtnis gebrannt. Am Vorabend seines Geburtstags kamen wir aus Schweden zurück, wo wir zehn Tage verbrachten und die Hochzeit guter Freunde von mir feierten. Wir kamen an einem Sonntag Abend zurück und Jonas fragte noch, ob ich nicht Montag auch noch frei nehmen wollte. Ich hatte aber wirklich Lust wieder zur Arbeit zu gehen.
Montag früh, 9 Uhr, Jonas hat frei, ich nicht. Ich verabschiede mich von ihm und mache mich los ins Büro. Es ist ein sonniger Tag. Während ich am S-Bahn-Gleis stehe und in die Sonne blinzele, mich auf das Wiedersehen mit den Kollegen freue, ziehe ich mein Handy aus der Tasche. Facebook hat mir eine Notification geschickt: „Jonas hat heute Geburtstag." Ich runzle die Stirn und schaue ungläubig aufs Handy. „Nein, das kann nicht sein. Ach du Scheiße. Wirklich?!" wirbeln meine Gedanken durcheinander. Mir schnürt sich der Hals zu, mein Puls rast, Tränen steigen auf und mir wird speiübel. In meiner Panik rufe ich meine Mutter an: „Mama, hilf mir, ich hab richtig Mist gebaut." „Was ist denn passiert?" „Ich bin gerade auf dem Weg ins Büro und merke gerade, dass ich Jonas Geburtstag vergessen habe. Ich bin so ein Vollidiot! Ich habe doch noch nie einen Geburtstag vergessen. Wie kann mir das nur passieren?" „Oh je, lass mich mal überlegen. So ad hoc kann ich dir gerade nichts sagen. Gib mir einen Moment. Ich melde mich gleich zurück."
Während ich den Rückruf meiner Mutter abwarte, schreibe ich allen Freundinnen im blinden Aktionismus und bitte um Ratschläge, um das Ruder irgendwie herumzureißen. Ich bin fassungslos und verstehe nicht, wie mir das passieren konnte. Im Büro angekommen, mit rot verheulten Augen, werde ich von einer Kollegin begrüßt: „Oha, du siehst ja fertig aus, habt ihr gestern ordentlich reingefeiert?" Es ist offiziell, jeder hat an Jonas Geburtstag gedacht, nur ich nicht. Meinen Teamkollegen unterbreite ich sofort das Desaster und nehme mir den restlichen Tag frei, den Folgetag gleich mit. Ich setze mich an meinen Arbeitsplatz und überlege fiebrig weiter, was ich tun kann. Die Freunde liefern Vorschläge im Akkord. Meine Mutter ruft zurück und sagt: „Da hilft nur noch eins: Zieh dir einen Leinensack über, besorg dir Asche. Da kommst du nur noch in Sack und Asche durch." Danke Mama, ich gehe dann mal zum nächsten Kostümshop...
Ich buche ein Hotel in Charlottenburg. Es kann nur helfen unseren Kiez zu verlassen. Ich reserviere einen Tisch, ordere einen Limousinenservice zu mir nach Hause, während ich noch Blumen, Champagner, Kuchen und ein Geschenk besorge. Vollkommen verschwitzt und mit den Nerven am Ende lande ich in der Tramhaltestelle an der Warschauer Straße und fahre nach Hause. Ich schaue auf die Uhr, bis 14:30 Uhr sollte ich daheim sein. Dann bleiben mir etwa eineinhalb Stunden um zu packen, mit Jonas anzustoßen und das Geschenk zu verpacken, bis die Limousine uns abholt. Zuhause angekommen sitzt ein gekränkter, trauriger Jonas im Sessel, den auch die roten Rosen nicht so recht aufmuntern wollen. Der Kuchen schafft es, die Stimmung ein wenig zu heben und die Regenwolken verziehen sich endgültig, als der Champagnerkorken knallt. Ich weiß nicht, wie oft ich sage: „Es tut mir so leid! Ich weiß nicht, wie mir das passieren konnte" und Jonas versucht die Enttäuschung herunterzuschlucken. Während wir in der Sonne auf meinem Balkon sitzen und uns den Kuchen schmecken lassen, blicke ich immer wieder nervös auf die Uhr, denn in weniger als einer Stunde soll die Limousine kommen. Bis dahin muss ich noch packen für die Hotelnacht, Jonas Sachen gleich mit, sein Geschenk noch hübsch verpacken und noch einmal im Hotel anrufen. Denn dort sollen noch Blumen für Jonas platziert werden und ein Gruß aus der Küche, ein Kuchen, vollkommen gleich was, hauptsache da steht noch eine Überraschung. Ich hoffe, dass wenigstens das nun noch klappt. Gleichzeitig reserviere ich in einem schnieken Restaurant um die Ecke noch einen Tisch, denn das Restaurant im Hotel hat leider ausgerechnet heute geschlossen. In meinem Kopf sind alle Lampen an und blinken wie verrückt.
16 Uhr, pünktlich wie ein Uhrwerk, steht der Limo-Fahrer vor der Tür. Jonas weiß von nichts und blickt mich erstaunt an, als ich seine Reisetasche in der Hand halte und sage: „Komm, wir haben was zu feiern." Ich klemme mir die offene Champagnerflasche unter den Arm, schnappe die Reisetasche und gehe die Treppe runter. Vor der Haustür steht der Fahrer, mit Fahrermütze auf dem Kopf und dem iPad mit Jonas Namen drauf vor der Brust. Da huscht doch direkt ein Lächeln über Jonas Gesicht.
Wir steigen in die Limo. Der Fahrer rückt den Rückspiegel zurecht und raunt verschwörerisch: „Ich nehme an, ich verrate nicht, wo wir hinfahren?" Ich antworte: „Da liegen Sie völlig richtig." Unser Ziel ist der fancy Westen Berlins, ein Hotel, das Jonas schon lange mal besuchen wollte. Das Stue.
So langsam schwindet mein schlechtes Gewissen und weicht der Vorfreude auf den restlichen Tag und Abend. Im Hotel angekommen zeigen die Mitarbeiter, dass meine flehenden Worte angekommen sind: Sie gratulieren Jonas überschwänglich. Im Zimmer angekommen, steht nicht nur einer der schönsten Blumensträuße auf dem Tisch, den ich je gesehen habe. Sie haben auch noch einen Kuchen ins Zimmer gestellt mitsamt Schokoschriftbotschaft auf dem Teller: Happy Birthday. Nun strahlt auch Jonas über beide Ohren. Endlich lasse ich ihn mein Geschenk auspacken: Laufklamotten. Denn wenn Jonas ein Hobby hat, dann ist es das Laufen.
Nach den letzten Schlucken Sekt beschließen wir eine Runde zu drehen. Raus aus dem Hotel und nichts wie auf zum Kudamm. Wir flanieren ein wenig umher und lassen uns schließlich im Bikini auf der Dachterrasse nieder: Cocktails. Angetüdelt und offen gestanden auch ein wenig erschöpft, geht's auf zum Abendessen. Keine Kosten und Mühen gescheut habe ich es geschafft, meinen Mega-Fauxpas auszubügeln. Alles in allem ein Tag, auf den ich bis heute noch mit gemischten Gefühlen zurückblicke. Mir ist es bis heute ein Rätsel, wie ich seinen Geburtstag vergessen konnte. Ein bisschen stolz auf das, was ich innerhalb von drei Stunden organisiert habe, bin ich aber dennoch.
Dieser folgenschwere Tag wurde im darauffolgenden Jahr mit noch mehr Bedeutung aufgeladen. Jonas Plan beginnt kurz vor meinem Geburtstag am 6. Januar 2016. Sein Geschenk an mich ist ein Countdownzähler zu seinem Geburtstag. Als Rache sozusagen, wenn auch mit einem Augenzwinkern. Vom 6. Januar 2016 zählt der Countdowntimer hinunter zum 15. Juni 2016.
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Ein 'Für immer' gibt es nicht
No FicciónDieses ungute Gefühl: Als ich in meine Straße einbiege, bemerke ich ein Grummeln im Bauch, ein unangenehmes Ziehen. Ich will eigentlich wieder umkehren, zurück in Milenas Wohnung und mich verkriechen, mich vor dem notwendigen Gespräch verstecken, ab...