Eine einsame Woche

8 1 1
                                    

Sonntag, 16.06.2019

Als ich wach werde, hat Jonas seine Sachen schon gepackt und ist abmarschbereit. Er hat seinen Zug rausgesucht und den Eltern seiner Ex-Freundin Bescheid gegeben, dass er kommt, denn er muss den Schlüssel für die Datsche noch abholen.

Die Tür fällt ins Schloss. Ich bin allein. Ich gehe langsam ins Arbeitszimmer. Setze mit auf den Schreibtischstuhl. Gucke aus dem Fenster und drehe mich auf dem Stuhl. Ich stehe auf, öffne die Tür zum kleinen Balkon. Heute ist es nicht so heiß. Ich gehe wieder rein und setze mich aufs Sofa. Die innere Unruhe macht mich wahnsinnig und ich merke, dass ich es nicht ertrage allein zu sein. Ich schreibe ich Matze, einem guten Freund: „Bock auf nen Spaziergang?" Er antwortet augenblicklich: „Klar, wann? Jetzt?" „Jau, ich mach mich los."

15 Minuten später klingel ich an seiner Tür und gehe die drei Stockwerke hoch. Oben angekommen werde ich von einem „Naaaa, Süße!" begrüßt - und breche direkt in Tränen aus. Liebevoll und erst einmal unbeeindruckt nimmt er mich in den Arm: „Och herrje, och herrje, was ich denn los, Süße?" lacht er warm. Ich schluchze: „Jonas betrügt mich mit Bonni." Er lacht schallend auf: „Dein Ernst? Jonas? Mit Bonni?" Er kriegt sich gar nicht mehr ein und lacht immer weiter und signalisiert mir, ihm in die Küche zu folgen. Er gibt mir ein Glas Wasser und fragt: „Samma, wie lang soll das schon gehen?" „Wohl so seit 3-4 Wochen. Ging auf Toms Abschiedsfeier los, während ich im Nachbarzimmer war." Wieder lacht er und schüttelt den Kopf. Irgendwie tut es gut, ihn lachen zu hören. Wir beschließen mit seinem Auto an den Tegeler See zu fahren für einen Spaziergang. Lange sind wir aber nicht spazieren, denn wir kehren direkt beim ersten Café ein und bestellen Weißweinschorlen. Dann noch eine Runde. Ich habe seit Tagen nicht mehr richtig gegessen, sodass mir die mickrigen Schorlen direkt in den Kopf steigen. Matze besteht aber drauf, dass wir noch etwas spazieren sollten. Matze geht los, ich torkel hinterher und bin mir sicher, dass ich mittlerweile schiele und lalle. Wir gehen und gehen und gehen, bis wir irgendwann wadentief im Unterholz stehen und keinen Weg mehr sehen. Ich blicke mich um: „Das sind hier doch Wanderwegmarkierungen, oder?" lalle ich und zeige wankend mit ausgestrecktem Arm auf ein paar Bäume. Matze schaut mich an: „Ne, das sind Markierungen für Bäume, die gefällt werden müssen." „Ups, ich glaube, wir haben uns verlaufen." Matze schaut mich an und schüttelt den Kopf: „Ach nee, was du nicht sagst. Falls es dir nicht aufgefallen ist, du stehst bis zu deinen Waden in Gestrüpp." Ich blicke an meinen Beinen hinunter und versuche meine Füße aus den Ästen zu befreien. Auf einmal sehe ich etwas im Augenwinkel, etwas bewegt sich im Unterholz. Ich schreie laut auf und werde panisch. Matze guckt mich entgeistert an: „Was'n los? Was schreist du denn so?" Ich gucke mich um. Meine Schienbeine sind aufgekratzt von den Ästen, ich hab Tannennadeln im Schuh und das, was mich so schrill aufschreien ließ war ein kleiner Frosch. Spazieren gehen im Unterholz verträgt sich offensichtlich nicht mit Übermüdung und Weißwein.

Nach fünf Stunden beschwippstem Spazierengehen setzt mich Matze zuhause ab: „Meld dich, wenn was ist. Ich bin erreichbar." Ich nicke müde und freue mich gerade vor allem auf mein Bett und das um 18 Uhr. Ich gehe hoch in die Küche, schnappe mir wider besseren wissens noch ein Bier, setze mich auf die Dachterrasse und schaue dem Sonnenuntergang zu. Dann döse ich für ein paar Stunden ein.

Nachdem ich etwas ausgenüchtert bin, telefoniere ich mitten in der Nacht mit meinem Ex-Freund Holger. Ich hatte ihn angeschrieben, ob wir mal sprechen könnten. Es war einfach ein Impuls. Wir telefonieren zwei Stunden lang und ich stelle ihm all die Fragen, die ich noch nie gestellt habe: Warum haben wir uns eigentlich getrennt? Was fandest du an der Beziehung mit mir besonders schlimm? Was war schön? Welche Eigenschaften an mir mochtest du, welche so gar nicht? Was hat uns zusammengehalten, miteinander verbunden? Warum hast du dich entschieden zur Hochzeit zu kommen, obwohl Melanie nicht wollte? Wir löchern uns gegenseitig mit Fragen. Nur eine Frage können wir uns beide nicht beantworten: Warum haben wir noch nie zuvor so offen über unsere Beziehung und Trennung gesprochen? Denn tatsächlich bringt uns beiden das Gespräch viel Klarheit, nicht so sehr über unsere damalige Beziehung, sondern eher über uns als Individuen.

Ein 'Für immer' gibt es nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt