Er schleicht sich rein in deine kleine, heile Welt und macht sich breit: Der Alltag. Auch wenn er Ruhe mit sich bringt, hat er ein paar unangenehme Kumpanen im Gepäck. Mangelnde Wertschätzung, Bequemlichkeit, Unachtsamkeit. Lautlose Liebeskiller. Auch Jonas und ich bleiben davon nicht verschont. Bei Jonas sind es Jobwechsel und stressige Jobs, die ihn auslaugen, bei mir die Höhen und Tiefen der Selbstständigkeit. Zuhause wollen wir beide nur noch unsere Ruhe haben, chillen. Routinen halten Einzug. Bei Jonas ist es Serien bingen und Tiefkühlpizza, bei mir Verabredungen mit Freunden. Date Nights gibt es nicht mehr, weil immer einer zu müde oder schon verplant ist. Doch wenn man sich keine Zeit mehr füreinander nimmt und den anderen für selbstverständlich hält, bekommt man irgendwann Schieflage. Dass wir schon eine ganze Weile Schieflage hatten, hatten wir unterbewusst gespürt.
Jonas verkroch sich zunehmend in sein Arbeitszimmer und blendete mich mit seinen Noise-Cancelling-Kopfhörern aus, selbst als meine Familie zu Besuch ist. Er sagte mir bei unsere letzten gemeinsamen Trip in die Sächsische Schweiz: „Ich kann dein Gerede nicht mehr ertragen. Du redest zu viel und es nervt mich, wenn du nur den Mund aufmachst." Ich erwidere: „Hast du dich nie gefragt, warum wir keinen Sex mehr haben? Schau dich mal an, was dein Dauersaufen und die unzähligen Tiefkühlpizzen mit dir gemacht haben. Anziehend finde ich das nicht mehr." Seit zwei Jahren schlafen wir nicht mehr miteinander. Jupp, wir steckten tief in einer Krise. Doch unser alter Bekannter, der Alltag, lässt uns den Streit vergessen und wieder reden wir nicht miteinander, lösen nicht unsere Probleme. Stattdessen gab es viel Arbeit, Jonas steckt im Streit mit seinem Vater und ich nahm einen Freelance-Auftrag nach dem anderen an, denn irgendwie muss man doch 60 Arbeitsstunden in eine Woche reinquetschen können. Das war im April.
Im Mai planen wir eigentlich einen gemeinsamen Urlaub nach Bali. Doch wie schon unzählige Urlaube zuvor sagt Jonas mir auch diesen Trip ab. Sonderlich enttäuscht bin ich schon gar nicht mehr, ist ja das gleiche Spiel wie schon die letzten 3 Jahre. Was anders ist: er ermutigt mich, dennoch zu fliegen und es mir schön zu machen. Obwohl ich mich freuen wollte, werde ich stutzig. Das passte irgendwie nicht. Das klingt nicht nach Jonas.
Als wir kurz darauf zu meiner Agenturparty wollten und Jonas zwei Stunden später ankommt, als vereinbart, macht sich das ungute Gefühl breit, dass etwas so ganz und gar nicht stimmt. Er taucht bei der Party auf, bei der er außer mir nahezu niemanden kannte und begrüßte mich nicht einmal. Stattdessen greift er sich ein Bier und mischt sich unter das Partyvolk. Verdattert bleibe ich im Hof der Agentur stehen, während Jonas an mir vorbeizieht. Irgendwann fragt ein Kollege ihn: „Wer bist du eigentlich? Wir kennen uns ja noch gar nicht." „Ich bin Jonas", sagt er und reicht seine Hand zum Gruß. Ich ergänzt: „Mein Mann. Jonas ist mein Mann." Mein Kollege bekommt große Augen und sagt: „Ach du bist Svenjas Mann?! Ich hab schon viel von dir gehört, freut mich." Ich allerdings gehe ins Büro rein und nehme meine Wut mit. Die weitere Stunde sehe ich nichts mehr von Jonas. Während drinnen die Stimmung ausgelassen ist und nach Alkohol und Schweiß riecht, alle im Karaoke-Taumel grölen, sinkt meine Laune langsam auf den Nullpunkt. Während ist schlecht gelaunt auf einem Stuhl in der Agenturküche sitze, lässt sich Anna, eine Kollegin, breit grinsend neben mit plumpsen und sagt: „Dein Mann ist voll super, hab mich gerade ewig mit ihm unterhalten. Der ist voll toll." Ich blicke sie stumm an, stehe auf, und muss raus hier. Meine Geduld für den Tag ist vorbei und ich schaffe es gerade noch aus dem Büro herauszugehen, bevor mich die Tränen überwältigen. Nicht die Tränen der Trauer, sondern unbändiger Wut. „Dieser verdammte Pisser, kommt hier zu meiner Bürofeier, begrüßt mich nicht, stellt sich nur als Jonas vor, dampft danach ne Stunde mit Anna ab und vergeigt mir vollkommen die Feier" schimpfe ich vor mich hin. Ich tigere unruhig auf und ab auf dem dunklen Industriegelände, auf dem das Büro liegt. Ich brodele und möchte am liebsten Gläser zerschmeißen. Dann kommt mein Kollege Flo um die Ecke und erkundigt sich vorsichtig: „Hey, ist alles ok?" Ich will eigentlich nur eine wütende Hasstirade über Jonas rausbrüllen, stattdessen schüttele ich stumm den Kopf und fange ich hemmungslos an zu weinen, bis mich Flo in den Arm nimmt und tröstet. Er hält mich einfach nur fest, während ich zur noch heule. Ich verstehe die Welt nicht mehr und weiß nur, dass mein Bauchgefühl mich warnt, dass dieser Abend noch nicht alles war.
Als ich mich gerade wieder etwas eingekriegt habe, kommt Jonas um die Ecke. Die Enttäuschung über sein Verhalten am Abend weicht augenblicklich der unbändigen Wut. Flo tritt den Rückzug an und flüstert mir im Gehen noch zu: „Ich bin da, wenn du mich brauchst." Ich drücke ihn noch einmal. Dann gucke ich Jonas an: „Geh einfach. Ich kann dich gerade nicht ertragen. Ich bin so unendlich wütend. Wir kannst du einfach hierher kommen und mir nicht einmal hallo sagen? Geh bitte, ich muss mich abreagieren und möchte nichts sagen, was ich später bereue." Er möchte einen Schritt auf mich zugehen, doch ich blocke ab. „Bitte geh einfach." Er geht. Ich tigere noch eine halbe Stunde auf und ab, sehe dann aber ein, dass der Abend gelaufen ist. Es hat keinen Zweck mehr wieder reinzugehen und guter Dinge zu sein. Ich hole meine Jacke und Tasche, signalisiere meinen Kollegen, dass ich gehe und verlasse das Büro. Jonas springt mir nach und fragt: „Nehmen wir ein Taxi?" „Von mir aus."
Als wir zuhause ankommen, gehe ich ins Bad und sehe, wie verquollen ich aussehe. Das Heulen hat Spuren hinterlassen. Ich wasche die verbleibenden Mascara-Reste ab, putze die Zähne und schmeiße mich erschöpft aufs Bett. Ich will nur noch schlafen. Dann kommt Jonas ins Schlafzimmer: „Wo ist denn mein Handy? Kannst du mich mal anrufen?" Entnervt schnaufe ich, schon wieder hat er sein Handy verloren. Ich rufe auf seinem Handy an, es tutet, aber in der Wohnung ist kein Klingeln zu hören. Stattdessen wird der Anruf angenommen und eine sonore Stimme antwort: „Ja, hallo?" „Hi, hier ist Svenja. Wer ist denn da?" „Hier ist euer Taxifahrer. Ich glaube, ich habe euch eben zuhause abgesetzt und der nächste Fahrgast hat euer Handy auf der Rückbank gefunden und mir gegeben. Ich bin gerade auf dem Weg nach Steglitz, würde aber nach der Tour vorbeikommen und das Handy bringen." Steglitz... na das ist ja um die Ecke. Es ist mittlerweile das ich-weiß-nicht-wievielte-Mal, dass Jonas sein Handy in einem Taxi verliert. Ich bin genervt. Er hat manchmal mehr Glück als Verstand und kriegt seine Wertsachen einfach immer wieder. Jonas zieht sich wieder an und setzt sich auf die Fensterbank vor unserem Haus, um auf den Taxifahrer zu warten. Ich gehe schlafen.
Am nächsten Morgen bin ich noch immer so unendlich wütend, dass ich das alles noch nicht mit Jonas besprechen kann. So ruhig wie möglich schlage ich ihm vor, dass ich in die Wohnung einer Freundin gehe für eine Nacht, um mich zu sortieren und wir am nächsten Tag in Ruhe reden sollten. Jonas hält das für eine gute Idee. Ich packe meinen Schlafanzug und meine Zahnbürste ein und verlasse die Wohnung. Das ist an einem Samstag. Am Sonntag sind wir mit unseren Müttern verabredet zum Brunchen, deswegen sollte die eine Nacht Abstand helfen, zumindest für das Brunch eine heile Fassade aufzubauen. Am Sonntag komme ich nach Hause, ziehe mich um und wir gehen gemeinsam zum Nolas. Die Stimmung ist eiszeitlich und wir versuchen uns zumindest für zwei Stunden zusammenzureißen. Natürlich merken unsere Mütter sofort, dass etwas nicht stimmt, aber sagen nichts. Nach dem Sonntagsbrunch sage ich Jonas, dass ich noch einen Moment brauche, ob wir morgen reden wollen. Also ist der Deal, dass wir uns am nächsten Abend treffen.
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Ein 'Für immer' gibt es nicht
SaggisticaDieses ungute Gefühl: Als ich in meine Straße einbiege, bemerke ich ein Grummeln im Bauch, ein unangenehmes Ziehen. Ich will eigentlich wieder umkehren, zurück in Milenas Wohnung und mich verkriechen, mich vor dem notwendigen Gespräch verstecken, ab...