Samstag, 22.06.2019
Der Tag ist gekommen. Heute soll Jonas zurückkommen. Wann, weiß ich nicht genau. In der Nacht bin ich oft wach geworden, zu groß ist die Anspannung. Ich fühle mich unausgeschlafen und sehe auch genau so aus. Ein Blick ins Arbeitszimmer erinnert mich an meine Meditations- und Yogaübung, die mich wenigstens halbwegs bei Verstand gehalten haben: Direkt in der Zimmerecke neben der Balkontür habe ich mir mein kleines Yoga-Refugium eingerichtet mit meiner Yogamatte, einer Kerze, meinen Büchern und aufgrund der Hitze auch einen Ventilator.
Dank Youtube habe ich ein paar Meditationsvideos gefunden, die selbst für einen Rookie für mich umsetzbar waren. Den Rest haben Yogaeinheiten und Tagebuchschreiben erledigt, damit zumindest einmal für wenige Minuten am Tag Ruhe in meinen Terroroapparat einkehrt, um meinen Therapeuten zu zitieren.
Die Unruhe der Nacht beschließe ich auf der Yogamatte zu lassen: Ich zünde mir eine Duftkerze an, ziehe die Jalousien zu, starte ein Meditationsvideo und setze mich im Schneidersitz auf den Boden. Heute schaffe ich sogar 10 Minuten, ohne dass meine Gedanken mich wieder auf Wanderschaft mitnehmen wollen. Für Meditationserfahrene eine Kleinigkeit, für mich nach einer Woche bereits ein Quantensprung.
Ich habe diese Woche gelernt, wie gut mir kleine Rituale tun. Sei es zu meditieren, laufen zu gehen oder es zu zelebrieren, mir einen Smoothie oder das leckerste Mittagessen zu zaubern. Aber auch in absoluter Stille auf den Balkon zu sitzen und den Mauerseglern bei ihren Flugmanövern zuzusehen: diese bewusste Stille als Ausgleich zum hektischen Tag ist mein Anker geworden. Noch dazu merke ich, dass ich zwar seit vielen Jahren Yoga mache, aber eben als Sportprogramm, das wiederum mit Resultaten und Druck verbunden ist. Tja, Lektion nicht verstanden. Setzen, sechs. Ich habe mir nie Ruhe gegönnt, meinen Gedanken bewusst gelauscht und mir Zeit für Reflexion genommen. Das kann ein paar Jahre gut gehen, aber meine mentale Gesundheit ist dabei ganz schön unter die Räder gekommen.
Nach der Meditation beschließe ich, zu Jonas Lieblingsbäcker zu gehen und ihm das Teilchen zu besorgen, über das ich immer die Augen gerollt habe: Makronentörtchen. Laut ihm können das nur die Ostbäcker richtig gut. Von denen gibt es allerdings nicht mehr viele. Was ein Glück, das direkt in unserem Kiez so einer ist. Nur ausgerechnet heute sind sie ausverkauft. Ich kaufe stattdessen ein Kastenweißbrot, das er auch mag. Aber ist halt kein Makronentörtchen.
Wieder zuhause schaue ich auf die Uhr: 9 Uhr. Ich rechne damit, das Jonas gegen 11 Uhr auftaucht. Das heißt, er kommt bestimmt noch früher.
Um 10 Uhr höre ich Schritte auf der Treppe und erkenne: Jonas Schritte. Er kommt in die Wohnung, als ich wieder in meiner Yogaecke sitze und Kekse esse. Ich weiß nicht, was ich tun soll: Aufstehen und ihn begrüßen? Sitzen bleiben und abwarten? Ich lasse ihn in die Wohnung komme. Blass ist er und guckt mich nur flüchtig an. Kein Lächeln. Nur bleierne Schwere. Ich merke, wie es mir den Hals zuschnürt und gebe mein Bestes, ihn anzustrahlen mit den Sätzen des Coaches im Kopf: „Jede Sekunde mit mir soll angenehm sein."
Ich frage: „Wie ist es dir ergangen?"
„Mh, ganz ok, komisch ohne Laptop und Handy, aber war ok." Wir reden stundenlang, über unser Innenleben, was wir gerne rückgängig machen würden, die unsägliche Hitze des Sommers und neue Routinen der Woche. Dann meldet sich Jonas Neugierde, er möchte seine E-Mails und Nachrichten auf dem Handy checken. Ich verlasse den Raum und schlage vor, dass wir einen Spaziergang machen könnten im Anschluss. Er stimmt zu.
Als er alles gecheckt hat, unterbreitet er mir: „Ich würde mich dann morgen mit Bonni treffen." Ich merke, wie mir die Farbe aus dem Gesicht schwindet. „Naja, ich hab mich eine Woche nicht mehr gemeldet und muss ja auch mit ihr reden." Ich versuche alles an Selbstbeherrschung zusammenzukratzen, was noch in mir schlummert, aber meine Nerven sind hauchdünn und ich merke die Tränen wieder aufsteigen und nicke nur stumm und drehe mich weg. Ich merke meinen hektischen Atem, der nur noch mehr Unruhe in mir auslöst. Sie hat immer noch Priorität. Ich merke, dass ich mich bedroht fühle, von dem, was sie alles kontrolliert. Sie hat Jonas fest im Griff und ich merke, dass ich weder Jonas noch ihr traue. Mein Bauchgefühl weiß überhaupt nicht mehr, was als Nächstes passieren könnte geschweige denn, was Jonas als nächstes tut. Ich gucke ihn an und sage ihm: „Entweder wir haben drei Jahre verloren, oder wir gewinnen gerade 50."
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Ein 'Für immer' gibt es nicht
Não FicçãoDieses ungute Gefühl: Als ich in meine Straße einbiege, bemerke ich ein Grummeln im Bauch, ein unangenehmes Ziehen. Ich will eigentlich wieder umkehren, zurück in Milenas Wohnung und mich verkriechen, mich vor dem notwendigen Gespräch verstecken, ab...