Kapitel 19

366 18 3
                                    

5. März 2021

Steff:

Heute war es soweit. Ich musste mir heute besonders viel Mühe geben und bei der Visite glänzen, denn wenn die Ärzte mich für stabil genug befinden würden, dann dürfte ich heute mein Baby das allererste Mal sehen und vielleicht sogar in den Armen halten. Thomas saß wie immer an meiner Seite und hielt meine Hand. Er war die letzten Tage verdammt stark gewesen, aber ich merkte, dass der Verlust unseres Kindes nicht spurlos an ihm vorbeigegangen war. Wir beide hatten immer noch damit zu kämpfen.
Das Einzige, was mich aufmuntern konnte war Tara. Doch leider hatte ich sie bis jetzt nur auf Fotos sehen können, aber vielleicht würde sich das ja heute ändern.
„Scheiße Steff ich bin so aufgeregt!", sagte Thomas und zappelte aufgeregt auf seinem Stuhl umher. „Es wird schon alles gut gehen. Ich fühle mich super. Ich bin mir sicher, dass ich den Wurm heute sehen kann. Unseren Wurm.". Ich versuchte ihn zu beruhigen.
Nun lächelte er mich an und beugte sich zu mir um mir einen Kuss zu geben. Als wir uns lösten verharrte seine Stirn noch an meiner. Ich genoss diesen Moment unglaublich.
Aber genau in diesem Moment wurden wir von den hereinkommenden Ärzten unterbrochen. Jetzt wurde es ernst. Ich musste mich jetzt mal zusammenreißen, denn ich wollte ja unser kleines Mädchen endlich mit eigenen Augen begutachten.
„Stefanie, wie geht es Ihnen heute?", fragte mich der Arzt. „Ich fühle mich super!", sagte ich mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Er kam zu mir und fing an mich zu untersuchen. Er tastete unter anderem meine Narbe am Bauch ab, was zugegebenermaßen ein wenig zwickte. Ich ließ mir aber nichts anmerken. Er schaute mich prüfend an.
„Na gut. Ich muss sagen, ich bin wirklich zufrieden mit Ihnen. Von meiner Seite aus steht dem Kennenlernen nichts mehr im Weg!", sagte er.
In diesem Moment fiel eine riesengroße Last von meinen Schultern. Thomas fiel mir weinend um den Hals und ich musste natürlich auch weinen und die Situation realisieren.

Ein Krankenpfleger brachte einen Rollstuhl, in den ich mich setzte. Thomas schob mich die langen Krankenhausgänge entlang, bis er irgendwann rechts in einen Raum ab bog.
Ich sah unzählige Inkubatoren, in denen jeweils ein Kind lag. Er schob mich weiter, bis er an einem anhielt. Das war sie. Das war mein Baby. Sie war so wunderschön. Genauso wie ich sie mir vorgestellt habe. Mir schossen Freudentränen in die Augen. Ich erkannte sie sofort, denn sie hatte Thomas' Augen.
„Tara ist heute in einem sehr guten Zustand. Wollen Sie sie hochnehmen?", fragte mich eine Krankenschwester. Ich nickte natürlich ohne zu zögern. Thomas half mir mich auf einen Sessel zu setzten. In der Zeit nahm die Krankenschwester Tara aus dem Inkubator und legte sie mir vorsichtig unter mein T-shirt, damit sie es auch schön warm hatte. Ich spürte ihre weiche, dünne Haut auf meiner. Ich hatte noch nie in meinem Leben ein so kleines, zartes Baby gesehen. Immerhin war sie 3 Monate zu früh auf die Welt gekommen. Es war ein Wunder, dass sie es in der 28. Ssw überhaupt geschafft hat. Eine kleine Kämpferin eben.
„Sie ist uns gut gelungen oder?", lächelte Thomas. Ich nickte nur schmunzelnd, da ich unfähig war zu sprechen, weil ich so überwältigt war.
Thomas saß neben uns und hielt der Kleinen einen Finger hin. Sie umgriff ihn. Wir strahlten uns über beide Ohren an.
„Ich möchte ihr den Zweitnamen Marleen geben. So hat sie ihre Schwester immer bei sich und sie kann in ihr wenigstens ein bisschen weiterleben.", flüsterte ich ihm ins Ohr, nachdem ich mich wieder etwas gesammelt hatte.
„Das ist eine schöne Idee Steff.", antwortete er ruhig.
Wir saßen noch eine ganze Weile da, bis die Schwester wieder kam und uns mitteilen musste, das Tara jetzt zurück in ihren Inkubator müsste, damit sie nicht unterkühlt. Schweren Herzens gab ich sie ab.
Ich schleppte mich zurück in den Rollstuhl und Thomas brachte mich zurück auf mein Zimmer.
Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, hatten mich diese paar Stunden unendlich geschafft. Es war das erste Mal, dass ich nach dem Unfall und der Operation mein Bett verlassen hatte. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und schloss meine Augen.
„Schlaf ruhig Steff. Ich gehe nach Hause und kümmere mich mit den Jungs um Levin. Ich komme morgen wieder. Ruf mich an wenn was ist.", sagte Thomas mit gesenkter Stimme. Ich glaube er war genauso erleichtert wie ich, dass es der Kleinen so gut ging. Er beugte sich zu mir und gab mir einen Abschiedskuss. „Ich liebe dich.", sagte er leise. „Ich dich auch.", erwiderte ich lächelnd.
Nachdem er die Tür geschlossen hatte schlief ich schnell ein.

simply the best - neue Herausforderungen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt