3. Blau auf Grün

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Annas Sicht

Freudig schlenderte ich durch die engen Korridore. Überall erblickte man beschäftigte Mienen. Endlich durfte ich das Leben als Schülerin auskosten. Wir Schwestern konnten unsere Eltern überzeugen den Heimunterricht aufzugeben. Elsa wirkte skeptisch, doch letztlich willigte sie ein und ermöglichte mir somit die Erfüllung eines Traumes.

Fasziniert wendete ich den Blick und bestaunte den alten Hauptflügel. Im Augenblick der Unachtsamkeit prallte eine Gestalt an mir ab, brachte mich in gefährliches Wanken und letztlich zum Stürzen.

„Hey!", rief ich empört. Ein unangenehmes Pochen durchzog meinen Rücken.

„Es tut mir leid. Ist alles in Ordnung?" Die aalglatte sorgenumhüllte Stimme erfasste mich bei jedem seiner Worte. Schockiert blickte ich in die strahlenden Augen in welchen ich mich sofort verlor. Es war ein dunkles Grün. Vielleicht ein Hauch Braun. Das glänzende rostbraue Haar, die rosigen Wangen und das funkelumspielte Lächeln schöpften einen wunderschönen jungen Mann.

„Hey...", war plötzlich alles was ich zustande bringe, „Ja - äh, nein, nein."

„Bist du sicher?", fragte er und reichte mir die Hand.

„Ja, mir geht es gut. Sehr gut sogar.", lächelte ich.

„Hans.", stellte er sich vor.

„Anna Arendelle."

„Arendelle? Bist du die Tochter der Inhaber der Eiskunstschule?"

„Ähm. Ja, ja. Schön, dass du dich auskennst."

Ein makelloses Lächeln stahl sich auf seine spitzen sanften Lippen, die ich verzückt begutachte. Doch augenblicklich stolperte der junge Fremde, riss mich mitsich und fiel zu Boden.

„Ähm."

„Hallo nochmal. Das ist jetzt peinlich. Nicht du bist peinlich - nur weil wir - ich bin peinlich. Du bist toll. Warte was?"

„Entschuldige."

Ich spürte meine glühenden Wangen, die brodelnde Hitze. Wie ein Zunami der Glut breitete sich das Lauffeuer in mir aus. Bildete ich mir dieses Gefühl nur ein? Doch als er mir aufhalf und ich erneut in das tiefe Grün seiner Augen sah, wusste ich es.  Ich wusste, dass mir mein Kopf keinen simplen Streich spielte. Ich wusste, dass jede Tarotkarte im ganzen Land in diesem Moment für mich sprach.

Wir sahen uns an. Blau traf auf Grün. Wir lächelten. Und auf einmal befand ich mich in einer Blase aus Highschoolträumen, Cafédates und Zukunftsträumen. Irgendwie war ich mir sicher, dass dieses Klichee nicht ohne Grund überliefert wurde. Irgendwie wusste ich, dass es keine einfältigen Gedanken eines kleinen Mädchens waren. Irgendwie wusste ich alles, als Blau auf Grün traf.

Elsas Sicht

Nachdem ich das Sekretariat aufgesucht hatte, mich vergewisserte, Anna offensichtlich aus den Augen verloren zu haben und Wichtiges abklärte, betrachtete ich nun die emotionslosen Gesichter, die das Wort Langeweile besser beschreiben konnten als jeder Poet des 17. Jahrhunderts. Ob missbilligend, ungerührt oder fragend, sie alle bereiten mir Unbehagen. Eigentlich wollte ich nur noch verschwinden.

"Franny, das ist Ihre neue Schülerin Elsa.", rief die Empfangsdame, die mich begleitet hatte.

„Hallo zusammen! Ich habe dich schon erwartet, aber das ist ein perfektes Timing. Wir brauchen noch jemanden für die Maracas." Sofort drückte mir die Schwarzhaarige zwei der buntgefärbten Rasseln in die Hand. „Danke fürs Herbringen.", winkte sie zum Abschied und begann einen Stapel Notenblätter auszuteilen. „Wie versprochen, fangen wir mit dem Morgenimpuls an. Dann kommen wir zu einer kleinen Vorstellungsrunde. Viele von euch kennen sich sicher bereits - aber warum nicht? Ich will auch etwas über euch erfahren. Alle aufstehen bitte. Elsa, du setzt dich einfach irgendwohin. Und los geht's."

Die WinterroseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt