Die ganze Nacht lang habe ich gebraucht, um mich einigermaßen zu beruhigen. Kai half mir zwar sehr, aber trotzdem zitterte ich noch am ganzen Laib und wollte mich einfach nur unter der Decke verkriechen, was ich auch mehr oder weniger tat. Fast die ganze Nacht lang lagen wir beide nun wach, da ich bei jedem Donnerschlag aufschrie oder anfing zu wimmern und das schlimmste war; Ich konnte es nicht kontrollieren. Ich hatte jegliche Kontrolle über meine Gedanken, mein Handeln und meinen Körper verloren.
Gerade habe ich die Decke bis zu meinem Hinterkopf gezogen. Ich und Kai lagen beide auf unseren Seiten, aber ich lag etwas tiefer, sodass die Decke meinen Kopf fast komplett verschlingt, während Kai vorsichtig mit meinen Locken spielte, welche wahrscheinlich wirr auf meinem Kopf herumlagen.
Der Wecker piepste. Das tat er immer, wenn er eine volle Stunde anzeigt. Ich drehte leicht meinen Kopf und sah auf das Teil, welches gerade die Uhrzeit 07:00 anzeigte.
Draußen regnet es nur noch leicht, aber ich hatte Angst, dass es jederzeit wieder stark zu stürmen anfangen könnte. Ich erinnerte mich an jene Nacht, als wär es gestern gewesen. Kai wollte ich davon nichts erzählen, aber er konnte sich schon denken, dass ich nicht oft von meiner eigenen Mutter missbraucht und geschlagen wurde. Wir lebten mit vielen Umständen, da war ich ihr nicht einmal mehr sauer.
Kinder erlangen schnell Traumas und auch ich war Opfer davon. Immer wieder krochen diese bösen Erinnerungen aus der hintersten Ecke meines Wissens. Warum dies unter anderem bei stürmischen Nächten geschah, wusste ich nicht.
„Felix", hörte ich die raue Morgenstimme von Kai und sogleich galt meine volle Aufmerksamkeit nur ihm. „So gemütlich es gerade auch ist, wollen wir uns nicht langsam aufrappeln? Ich habe nämlich Hunger."
Zuerst wollte ich widersprechen, da es so angenehm war. Einfach in seinen Armen zu liegen und an gar nichts anderes mehr denken zu müssen, das regelmäßige Heben und Senken seiner Brust und seine Finger in meinen Locken zu spüren. Seit ich klein war, hatte ich mich nie mehr so sicher gefühlt, wie gerade. Ich würde am liebsten einfach so stehen und dieses unfassbar schöne Gefühl der Aufmerksamkeit genießen.
Trotzdem richtete ich mich leicht auf und setzte mich gerade hin, sodass ich meinen Rücken durchstrecken konnte. Anschließend gingen ich und Kai getrennte Wege. Er ging duschen, während ich uns Frühstück kochte. Danach setzten wir uns gemeinsam an den Tisch und begannen unsere Mahlzeit zu essen. „Kai", begann ich meinen Satz „könntest du mir bitte helfen, wegen des Andrologen?", fragte ich ihn mutig, aber trotzdem wurde meine Stimme gegen Ende des Satzes immer leiser. Ich hörte, wie Kai anfing leise zu lachen. „Das ist nicht lustig!", sagte ich und probierte ernst zu bleiben, aber als ich in das Gesicht des älteren blickte, schlich sich – wenn auch ungewollt – ein amüsantes Grinsen auf mein Gesicht. „Du bist einfach zu süß", sagte der schwarzhaarige, als er sich wieder beruhigt hatte und sah mir in die Augen. Das heißt, er wollte mir eigentlich in die Augen sehen, aber nach diesem Kommentar senkte ich erneut meinen Blick und könnte die Wärme in meinen Wangen deutlich spüren.
„Felix, sieh mich an. Natürlich werde ich dir helfen."
Und so kam es. Wir vertrieben uns die Zeit damit, einen Arzt in der Nähe aufzusuchen, bei welchem wir dann möglichst bald einen Termin vereinbarten. Es kam dann so, dass wir sogar noch am selben Tag zusammen mit einer Kutsche, welche mehrmals durch den starken Niederschlag fast in der matschigen Erde stecken blieb, in ein Dorf, welches ein wenig weiter entfernt war, fuhren.
„Mir ist das ganze so peinlich", sagte ich während ich zusammen mit Kai in einer Kutsche saß. Ich blicke aus dem Fenster, während ich die Anwesenheit des schwarzhaarigen ganz deutlich neben mir spüren konnte. „Vielleicht, aber glaub mir, das geht so schnell, dass es sich für die daraufhin folgende Nächte lohnt. Oder freust du dich nicht?", hörte ich Kais stimme auf einmal ganz nah an meinem Ohr und auch seine Hand konnte ich auf meinem Oberschenkel spüren. Ich lief rot an, probierte aber trotzdem nicht zurückzuziehen. Stattdessen blickte ich Kai in seine hellen Augen und probierte nicht in Gelächter auszubrechen, da diese Situationen einfach alle viel zu neu und total peinlich für mich waren.
Jedoch musste ich schon gestehen, dass die Lippen des anderen unglaublich anziehend und verführend aussahen. Felix konnte aus eigener Erfahrung bestätigen, dass sowohl Kais Berührungen, seine Lippen, aber auch allein schon seine Anwesenheit sich unglaublich toll anfühlten. Die Angst vor dem, was bevorsteht versteckend, erwidert Felix sanft den zärtlichen Kuss, welcher Kai eingeleitet hatte. Es war ein liebevoller Kuss, welcher schon nach wenigen Sekunden sein Ende gefunden hatte, aber trotzdem spürte Felix die Schmetterlinge, welche wie ein Sturm in seinem Bauch wühlten, klar und deutlich.
„Ich kann gar nicht beschreiben, wie fest ich mich darauf freue."
Kaum hatte ich den Satz beendet, lagen Kais Lippen erneut auf meinen und küsste mich. Auch dieses Mal war es kein Kuss, welcher Lust mit sich brachte, aber er war deutlich intensiver, als der erste. Minuten lang waren die beiden beschäftigt mit küssen, Luft holen und die Mundhöhle des jeweils anderen zu erforschen. Kais Hände krallten sich gerade besitzergreifend in Felix' Hüfte, nachdem dieser seine beiden Hände in dessen Haare vergraben hatte, als Felix den Kuss schwer atmend löste. „Nicht jetzt", sagte Felix, bevor Kai wieder, diesmal jedoch sanfter, seine Lippen in Anspruch nahm und sich schlussendlich komplett löste.
„Langsam hast du den Dreh raus", schmunzelte Kai, bevor die Beiden auch schon ankamen und in das Gebäude gingen, in welchem Felix' erster Arztbesuch stattfinden sollte.
Schon nach kurzer Zeit wurde Felix aufgerufen und folgte dem Arzt, welcher seine Praxis fast komplett allein führte, in sein Zimmer. Am Anfang war Kai noch dabei und übernahm größtenteils für Felix das Reden, sagte genau, was er wollte und verließ anschließend jedoch das Zimmer, damit der Arzt Felix auf jegliche Geschlechtskrankheiten überprüfen konnte.
Felix tat dies nicht sehr gerne, aber Kai hatte recht gehabt und nach wenigen Minuten war es auch schon vorbei. Die Ergebnisse hatten die Beiden nach einer langen Wartezeit im Wartezimmer auch bekommen. Felix ging es prima, da er nun auch wusste, dass er keine einzige Geschlechtskrankheit oder sonst irgendetwas Auffälliges in seinem Intimbereich hatte.
Er kann es die ganze Heimfahrt kaum glauben, dass er nun endlich diesen schrecklichen Arzttermin, vor welchem er sich so lange Zeit gedrückt hatte, hinter sich hatte und wollte einfach nur noch unter die Dusche springen.
Dies tat Felix auch, nachdem Kai ihm noch einen kurzen Kuss gegeben hatte und nun sicher auch froh war, endlich wieder in der Waldhütte zu sein. Regnen tat es immer noch, aber nur noch leicht, weshalb das Abendessen mit Kai schließlich auch eine romantische und gemütliche Aura bekam. Das leichte Prasseln des Regens auf dem Dach war wunderschön anzuhören und Felix ließ es sich zusammen mit Kai gut gehen. Sie lachten zusammen, aßen und erzählte sich gegenseitig Witze oder lustige Ereignisse die in ihrem Leben stattgefunden hatten.
Zu guter Letzt, landeten die Zwei, eng aneinander gekuschelt, in einem Bett und schliefen schon nach kurzer Zeit ein.
Und in all dieser Zeit merkte Felix gar nicht, wie er sich immer mehr und mehr in diesen Typ verliebte, welche eigentlich einmal seine Geisel gewesen war.
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Freedom.
RomantizmOb wir Überlebende sind? Diese Frage kann ich mir bis heute nicht wirklich beantworten. Alles was ich weiß, dass unsere Gesellschaft, welche täglich um ihr Leben kämpft, unverschämt gute Lügner sind. Man munkelt, dass es etwa 50 % sind, welche sich...