Ich war am Ende. Ich merkte es sofort, als ich am nächsten Morgen aus dem Bett stieg. Etwas stimmte nicht. Besser gesagt, das etwas in mir, dass mich bisher am Leben gehalten hatte war erloschen. Es regte sich nicht mehr. Ich war eine Hülle. Leblos, verloren in irgendwelchen Weiten. Irgendwie fühlte es sich an wie eine bedrückende Lehre, eine erschreckende Stille, die alles um mich herum taub und stumpf machte. Ich aß nichts zum Frühstück, weil ich sowieso keinen Hunger hatte. Ich glaubte sogar, dass ich gar keinen Magen mehr hatte. Also jedenfalls hatte ich das Gefühl, als wäre da nichts mehr. In mir war nichts, außer meinem Herzen, das gemächlich in mir irgendwo kloppfte. Ich band meine Haare mit einem blauen Haarband zurück, das hatte ich ewig nicht mehr gemacht. Ich zog mir irgendwelche Klamotten an und machte mich auf den Weg. Meine Jacke vergaß ich zu Hause. Der kalte Wind machte mir nichts aus. Ich spührte ihn nicht, selbst als er an meine Kleidern zog und mir die Haare ins Gesicht bließ. Die Zeit verging wie im Flug. Im ersten Moment schloss ich noch das eiserne Tor hinter mir, im nächsten sah ich schon das Willkommensschild meiner Highschool in der Ferne. Ich hatte noch nicht mal geblinzelt. Ein Augenschlag fühlte sich wie Stunden an. Mein Atem dröhnte mir in den Ohren. Ich glaube irgendjemand hatte mich innen mit Helium gefüllt. Alles fühlte sich Federleicht an. Wie Watte.
In der ersten Stunde viel mir auf, dass ich die Hälfte meiner Bücher vergessen hatte. Es war mir egal. Ich legte meinen Kopf auf den Tisch und ließ mein Haar wie einen schützenden Vorhang über mein Gesicht fallen. Das Licht, das durch das Fenster schien, brach sich in den einzelnen, dunkelbraunen Strähnen und ließ sie schokofarbend erstrahlen. Mein Gehirn war wie lehr gesaugt. Ich fühlte nichts, war erleichtert, dass ich nichts mehr fühlte. Wie Finger, die man zu lange ins Eiswasser taucht. Am Anfang kommt Kälte, dann Schmerz und letzendlich die Taubheit, die alles einfacher machte. Die Taubheit, die den Tod ankündigte. Ich träumte über das Ende der Stunde hinaus. War es denn schon das Ende? Ich war mir nicht sicher. In meinen Ohren klingelte es. War das die Schulglocke oder nur meine Fantasie, die mir einen Streich spielte. Jedenfalls blieb ich einfach sitzen, den Kopf auf dem Tisch, in meinem eigenen kleinen Cocon. Jemand rüttelte mich. Ich blinzelte und hob den Kopf. Ganz langsam. Wie in Zeitlupe. Eine Frau stand vor meinem Tisch, die Arme vor der Brust verschränkt. Der restliche Klassenraum war lehr. Anscheinend hatte die Pause schon längst begonnen. Die blonde Frau öffnete ihren Mund und sprach Worte, die ich nicht verstand. Ich sah sie nur durch einen Schleier aus Nebel. Wer war sie? Eine Lerherin? Eine Schülerin? Ich erkannte sie nicht wieder. Ich erinnerte mich auch nicht mehr daran, in welcher Stunde, geschweige denn, welcher Klasse ich gesessen hatte. Mühsam erhob ich mich. Meine Beine wollten mich kaum noch tragen, trotzdem versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen. Der zunächst böse Gesichtsausdruck der Frau wich einer Besorgnis, die sich zuerst in ihren Augen bemerkbar machte. Sie hatte bemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmte. Doch sie durfte mir keine Aumerksamkeit schenken. Ich wusste endlich, was ich zu tun hatte. "Es geht mir gut." Der Klang meiner Stimme belustigte mich. Er war so anders. Irgendwie leicht und weich. Wie Sonnenstrahlen nach langem Regen. Ich schaffte sogar meinen ausdrucklosen Blick zu einem Lächeln zu verziehen, bevor ich ihr den Rücken zuwandte und aus dem Klassenzimmer verschwand.
Vom Strohm der Schüler getragen, gelangte ich in die Cafeteria. Ich war seid Ewigkeiten nicht mehr hier gewesen. Normalerweise aß ich mein Mittagessen immer in einer der Mädchentoilleten, damit ich meine Ruhe hatte. Es gab auch schlimmeres. Jedenfalls stand ich jetzt im Eingang des großen Essraumes und fragte mich gerade abwesend, wie ich dort hingekommen war. Schüler drängten sich an mir vorbei, rämpelten mich an, schubsten mich aus dem Weg. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, ihnen aus dem Weg zu gehen. Es kam mir irgendwie unwichtig vor. Ich holte mir irgendetwas von der Essensausgabe und sezte mich an einen Tisch. Es war mir egal, ob mich Leute sahen, ob Ashley mich vielleicht fertig machen würde, weil ich in ihr Territorium eingedrungend war. Das waren nur noch banale Dinge, die mich nicht mehr zu stöhren schienen. Ich hatte abgeschlossen. Mein Kopf war frei von der Angst vor dem kommenden. Ich hatte die Lösung gefunden und wartete nur noch auf eine passende Gelegenheit. Frei wie ein Vogel. Frei wie ein Vogel. Meine Mutter hatte mir das Kinderbuch früher immer vor dem einschlafen vorgelesen, damit ich schöne Träume hatte. Es war mein lieblings Buch gewesen. Jedenfalls waren das nun die einzigen Wörter, die noch in meinem Geist verankert waren. Irgendwann ertappte ich mich dabei, wie ich verloren auf meinen Teller starrte, auf dem nichts weiter lag, als ein Apfel. Diese merkwürdige Ruhe in mir machte mich verrückt. Ich kippte mein Tablett, sammt Teller, Besteck und Becher in einen Apfalleimer. Den Apfel steckte ich in meine Tasche. Ich wusste nicht wieso, aber es schien mir richtig. Alles ergab einen Sinn oder zumindest glaubte ich das. Die Gemeinheiten, die Schläge, der Schmerz. Sie führten mich zur Erlösung. Ich musste fliegen und frei sein, wie der Vogel in dem Bilderbuch.
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Lifesaving Lovestory (Liam Payne Fanfic, Deutsch)
FanfictionAmey Joung war mal glücklich. Bevor alles passiert ist hatte sie Freunde, eine intakte Familie, ein Leben. Doch nach dem Tod ihrer Mutter stürzt alles zusammen. Ihr Vater versinkt im Alkohol, ihre Freunde wenden sich von ihr ab. Sie sieht keinen Aus...