OkameDas Erste, was ich wahrnahm, als ich erwachte, war der dominante Geruch nach zahlreichen Duftölen und Kräutern, der schwer in der Luft hing. Ein Geruch, der mich an längst vergangene Zeiten erinnerte. An einen Traum, der sich vor meinen Augen in einen Alptraum verwandelt hatte. Ich öffnete die Augen und blinzelte gegen das helle Sonnenlicht an, das sich in den Raum ergoss. Kyokos Heim hatte sich in den sieben Jahren, die ich bereits fort war, kaum verändert. Das gesamte Mobiliar war aus dunkelbraunem Holz und an den Wänden standen Regale, die vor uralten Büchern und Kristallen beinahe überliefen. Dazwischen säumten sich in Gläser, in denen Kerzen Tag und Nacht den Raum in flackerndes Licht tauchten. Auf den Fensterbänken wucherten Kräuter, die wie ein kleines, verwildertes Stück Wiese aussahen. An ihren Wänden hingen Naturgemälde, die sie selbst gemalt hatte, als sie noch jünger war. Weiter bestand ihre Einrichtung aus einer kleinen, an die Wand gedrängte Küche, einem gemütlich wirkenden Sofa vor einem Kamin, einem Schreibtisch und einem Bett. Da Kyoko schon seit jeher alleine lebte und die meiste Zeit nur über ihren Büchern hing, war ihr ganzes Heim ein einziger großer Raum. Neben dem Bett befand sich sofort der Schreibtisch, der vor Krempel schon fast überquoll. Zusammengefallene Papierstapel lagen quer über dem Tisch verteilt neben halbwegs ordentlich sortierten Büchern. Auf ihrer Arbeitsfläche lag ein aufgeschlagenes Buch und ein teilweise beschriebenes Blatt Papier, auf dem eine Schreibfeder lag, an deren die Spitze noch feuchte Tinte schimmerte. Der Rest des Tisches war bedeckt mit Edelsteinen und alt anmutenden Schmuckstücken. Inmitten all des Chaos brannte einsam eine violette Kerze in einem Glas.
Unweigerlich musste ich grinsen. Für Kyoko war Violett die Farbe der Inspiration und Spiritualität, weshalb sie diese Farbe für ihren Arbeitsplatz ausgewählt hatte. Als ich noch in diesem Dorf gewohnt hatte und manchmal ein paar Stunden bei ihr verbracht hatte, war sie immer ganz angetan von meinen hellvioletten Augen gewesen. Ich war ihr heute noch dankbar dafür, dass sie meine Augen als schön empfunden hatte, und nicht als dämonischen Makel wie alle anderen. Obwohl, außer ihr hatte noch jemand... Nein! Harsch verbot ich meinen Gedanken, weiterzugehen. Es war schon genug, an diesem Ort voller Erinnerungen zu sein. Da musste mein Kopf nicht mehr vergangenen Schmerz als nötig ausgraben.
Zum Glück betrat in dem Moment Kyoko die Hütte und verhinderte somit, dass meine Gedanken doch noch in eine falsche Richtung abdrifteten. Sie lächelte breit, als sie mich erblickte, und ihre weißen Zähne bildeten einen starken Kontrast zu ihrer dunklen, von feinen Falten gezierten Haut. Wie immer hingen jeweils zwei große, tropfenförmige Silberplatten von ihren Ohrläppchen herab und wackelten bei jeder Bewegung ihrerseits. Ihr ergrauendes Haar war so kurz geschnitten, wie ich es in Erinnerung hatte, und sie trug ein Stirnband, das mit seinem olivfarbenen Ton perfekt zu der ebenfalls olivgrünen Gewandung passte, die sie im Moment trug. Auch an ihren dunklen Augen hatte sich nichts geändert. Noch immer betrachteten sie mich liebevoll und waren voller Wärme und Weisheit. Kyoko war die Einzige, die ich wirklich vermisst hatte in all den Jahren. Zumindest wollte ich mir das selbst glauben machen.
„Sei gegrüßt, Okame. Es ist schön, dass du noch etwas im Reich der Lebenden verweilst.", eröffnete Kyoko das Wort an mich. Ihre Stimme war rau, aber dennoch sanft. „Finde ich auch.", murmelte ich, immer noch entkräftet von meiner Nahtoderfahrung. Ich zog mein Hemd hoch und wagte einen Blick. Dort wo mich Yunas Katana durchbohrt hatte, war nun großflächig ein Leinenverband um meinen Unterleib gewickelt. Da Kyoko keine so mächtige Magierin war, sondern vielmehr auf spirituelle Unterstützung spezialisiert war, hatte sie meine Wunde wohl nicht vollständig heilen können, weshalb noch etwas Blut durchgesickert war und nun in roten Flecken den Verband zierte. Aber es hätte schlimmer enden können. Ohne Kyoko wäre ich gestorben. Bei dem Gedanken, dass die dunkle Yuna mich tatsächlich getötet hätte, schauderte ich. Die echte Yuna zurückzubringen würde sich als schwieriger Gestalten als ich angenommen hatte. Aber ich würde es versuchen. Ich würde die erste Freundin, die mich akzeptierte, wie ich war, nicht kampflos aufgeben. Vielleicht konnte ich Kyoko um Hilfe bitten, wo ich schon einmal hier war.
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Die letzte Prüfung [wird neu geschrieben]
FantasyBand zwei Es ist Hoshoku-sha gelungen, sich von dem Fluch, der auf ihm lag, zu befreien. Nun, auf der Höhe seiner Macht, hält ihn nichts mehr davon ab, seine Ziele zu verwirklichen. Yuna lässt derweil schweren Herzens Takashi, der schwer verwundet u...