11. Begleiter

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„Und, wohin gehen wir?", fragte mich ein übermäßig motivierter Okame, während ich gerade unser Nachtlager aufräumte. „Wir folgen weiter dem überwucherten Weg. So lange bis wir das Ende des Waldes erreicht haben.", antwortete ich ihm. „Was ist eigentlich der Sinn dieses ungewöhnlichen Ausflugs? Wegen der ruhigen Umgebung bist du ja wohl nicht gekommen." „Das könnte ich dich genauso fragen." Gerade hatte ich die letzte Decke in meine Tasche gepackt, daher richtete ich mich auf und sah ihn direkt an. „Nun, ich bin meiner erbärmlichen Existenz als Geächteter, als Dämonenbastard entflohen. Verdammt zu einem Leben in Einsamkeit." Er zog das Ganze theatralisch auf und grinste dabei. Jedoch konnte seine überzogene Schauspielerei nicht den Hauch von Bitterkeit in seinen Worten verstecken. Okame hatte schlimme Dinge durchmachen müssen, dessen war ich mir sicher. Wahrscheinlich war das der Grund, warum ich das Gefühl hatte, dass er mich verstand. Und zwar wirklich.

Besorgt sah ich ihn an. Seine Wunden hinter Scherzen und Witzen zu verstecken konnte auf Dauer auch nicht gesund sein. Aber wie konnte ausgerechnet ich ihm das vorhalten? Immerhin trauerte ich selbst immer noch um meine Großmutter. Ich sorgte mich um Takashi. Es machte mich krank, nicht zu wissen ob er je wieder aufwachen würde. Und obwohl ich Takashi einmal geraten hatte, seine Gefühle zuzulassen, da sie ihn später sowieso einholen würden und dann heftiger als erwartet, verbot ich der Trauer mich in Beschlag zu nehmen. Es gab Wichtigeres zu tun. Ich konnte mir nicht erlauben, zusammenzubrechen. Zu viel stand auf dem Spiel.

„Aus deinem Blick schließe ich, dass dich meine Worte beunruhigt haben. Wie gesagt, wenn du willst kann ich dir meine ganze traumatische Lebensgeschichte erzählen, du erzählst deine und danach flechten wir Armbänder, um unsere ewige Freundschaft zu besiegeln." Aus meinen Gedanken gerissen starrte ich ihn an. Er verzog enttäuscht das Gesicht. „Nicht? Dann verschieben wir eben unser Gespräch und das Armbänder flechten.", meinte er mit einem Schulterzucken. „Also, wer hat Lust auf einen tollen Spaziergang in einem verfluchten Wald in dem uns selbst die Eichhörnchen an den Kragen wollen und wahrscheinlich eine finstere Bedrohung auf uns lauert?", fragte er, mit einem breiten Grinsen auf den Lippen und die Arme ausgestreckt. Resigniert sah ich ihn an. „Perfekt!", rief er aus und klatschte die ausgestreckten Hände zusammen. „Auf in ein Abenteuer!", trällerte er, ehe er sich auf dem Absatz umdrehte und strotzend vor Energie voranmarschierte. Hastig folgte ich ihm.

Während wir uns unseren Weg durch den überwucherten Pfad schlugen, beobachtete ich mit Erstaunen, wie elegant sich Okame durch das Unterholz schlängelte. Als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht. Und es war ebenso erstaunlich, dass er nie mit seinen Hörnern irgendwo hängen blieb. Ich wusste nicht ob das einfach nur glücklicher Zufall war, reines Geschick oder eine mir unbekannte Magie am Werk war. Wahrscheinlich einfach nur Geschick. Immerhin schaffte ich es ja auch, mit meinen Fuchsohren nirgends hängen zu bleiben. Obwohl die auch wieder flexibler waren als starre Hörner. Eigentlich war es ja auch egal.

Ich überlegte, wie diese Prüfung wohl mit Takashi als Begleiter ausgesehen hätte. Wahrscheinlich wären wir nach einem Jahr noch nicht aus diesem Wald heraus, da er alle fünf Schritte stolpern würde. Sich in der freien Natur zu bewegen, ohne sich dabei ernsthafte Verletzungen zu holen zählte sicher nicht zu seinen Stärken, als adeliger Junge der sein Leben lang nur Luxus gekannt hatte. Wie sehr er sich doch verändert hatte seit dem Tag, als ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Von einem arroganten und verwöhnten Jungen in einen selbstlosen und mutigen Mann, der sein Leben für mich riskiert hatte. Vielleicht sogar gegeben, wenn er nicht mehr aufwachte. An die Option wollte ich gar nicht denken. Nicht nur, dass ich den Rest meines Lebens ohne den Menschen, der mir in den letzten Wochen so ans Herz gewachsen verbringen würde müssen. Nein, auch die Verantwortung seines Todes würde auf meinen Schultern lasten. Ich war es, die er zu beschützen versucht hatte. Und ich war es, die ihn erst von seinem Zuhause weggeholt hatte. Alles was ihm widerfahren war, hatte ich zu verantworten. Denn obwohl es Arias Hand gewesen war, die das Schwert seines Todes geschwungen hatte, war er erst wegen mir überhaupt in der Reichweite eben jenes Schwertes gewesen.

Die letzte Prüfung [wird neu geschrieben]Where stories live. Discover now