Takashi
Eilig schritt ich voran, um mit Machiko mitzuhalten. Kaum waren wir in die Richtung des Mannes, der vielleicht Hinweise auf den Verbleib meiner Mutter hatte, aufgebrochen, hatte sie begonnen, regelrecht zu rennen. Man könnte glatt glauben, sie wäre diejenige, die unter Zeitdruck stand. Zielsicher navigierte sie uns beide über die endlosen Dünen und an den schwarzen Baumskeletten vorbei. Ich kam nicht umhin sie zu bewundern. Immerhin sah die Landschaft immer nahezu gleich aus und es war unglaublich schwierig, einen Weg zurückzuverfolgen. „Wie kommt es, dass du den Weg so spielend leicht findest?", erkundigte ich mich leicht außer Atem, während ich meine Schritte beschleunigte, um zu ihr aufzuschließen. „Früher hat mich mein Vater oft in seine Mienen mitgenommen, wenn er Aufsicht hatte. Da lernt man schnell, selbst auf winzigste Details zu achten. Sonst geht man sehr leicht verloren.", tat sie ihren erstaunlichen Orientierungssinn schulterzuckend ab. Ohne sich auch nur nach mir umzuwenden marschierte sie in ihrem rasanten Tempo weiter. Mir blieb nichts anderes übrig, als mitzuziehen.
Zu meiner Erleichterung verringerte sie nur kurze Zeit später ihr Tempo. Vielleicht, weil sie bemerkt hatte, dass ich kaum mithalten konnte. Dennoch waren wir immer noch zügig unterwegs. Für eine ganz schön lange Zeit gingen wir nebeneinander her, ohne auch nur ein Wort zu wechseln. Irgendwann, als ob ihr die absolute Stille, die nur von dem Knirschen des Sandes unter unseren Füßen durchbrochen wurde, zu viel wurde, richtete sie das Wort an mich: „Woher kommst du eigentlich?" „Aus Nishi, und du?" „Tori.", kam prompt die knappe Antwort. Tori, die Hauptstadt von Umi, nahe des Grenzgebirges. Da ihr Vater Minen besaß, erschien es mir nur logisch, dass sie daher kam. „Du gehörst nicht zum einfachen Volk, nicht wahr?", stellte sie fest und sah mich durchdringend an. „Das ist richtig, aber woher weißt du das?", erkundigte ich mich verdutzt. Denn mein teures Gewand hatte ich schon längst gegen einfach, aus Leinen gefertigte Kleidung eingetauscht. Es war mir zu unangenehm geworden, dermaßen herauszustechen. Machiko sah mich noch kurz an, dann senkte sie den Blick zu Boden. „Es ist dein Gang. Deine Körperhaltung. Das Selbstbewusstsein in deinen Schritten, Deine aufrechte, stolze Haltung. Ich möchte dir nicht zu nahetreten, aber es würde mich interessieren, wer deine Eltern sind." Unsicherheit schimmerte bei der Frage in ihren Augen. „Nein, wenn du mir zu nahetreten würdest, würde ich dir das sagen. Mein Vater ist Kokatsu, der Statthalter der Provinz Oka.", erklärte ich. Gegen Ende des Satzes wurde meine Stimme leiser. Heiße Scham erfüllte mich bei dem Gedanken an meinen Vater. Dem Scheusal von Menschen, dem ich so lange die Treue gehalten hatte. Dessen wahre Natur zu erkennen es einer mutigen, selbstlosen Kitsune bedurft hatte, um mir vor Augen zu führen, wem ich da eigentlich diente.
Vor Überraschung weiteten sich Machikos Augen kurz. Ihr Mund öffnete sich, als wollte sie etwas sagen. Jedoch drang kein Laut über ihre Lippen. Nicht fähig, Worte zu finden, schloss sie ihren Mund wieder. „So schlimm?" Die Frage hing wie Nebel zwischen uns in der Luft. Machiko schluckte, ehe sie anfing zu sprechen: „Es gibt Gerüchte über ihn. Edelleute reden viel, wenn der Tag lang und der Wein gut ist. Und eines davon, nun ja." Sie hielt inne. Ihr Blick war in den tristen, grauen Himmel gerichtet und sie biss sich auf ihre Unterlippe, als würde sie gerade fieberhaft nach Worten suchen. Momente später richteten sich ihre braunen Augen wieder auf mich. „Bevor ich dir dieses Gerücht erzähle, möchte ich dir eine Frage stellen: Wie ist deine Mutter gestorben?" Unsicherheit flackerte in ihren Augen, als sie die Frage stellte. Nun ich war ich es, der nach Worten rang. Ihre Frage erinnerte mich wieder an diesen schrecklichen Verdacht, den ich erfolgreich in die hintersten Winkeln meines Gehirns verbannt hatte. Rief mir die Begegnung mit Tsukiko wieder in Erinnerung, bei dem dieser Verdacht das erste Mal wirklich Gestalt angenommen hatte. Das erste Mal, dass dieser Gedanke nicht nur omnipräsent in meinem Geist schlummerte.
„Jahrelang habe ich geglaubt, dass sie bei meiner Geburt gestorben sei. Aber nun werden die Hinweise darauf, dass eben das nicht der Fall war, immer mehr." Mehr brachte ich nicht heraus. Mehr wollte ich mir nicht eingestehen. Ich wollte diesen Verdacht nicht äußern. Denn sobald er in die Welt losgelassen wurde und nicht mehr nur in meinen Gedanken sein Unwesen trieb, musste ich mir ihn eingestehen, ihn als wirklich reelle Möglichkeit betrachten. Ich sah Machiko an, mein Blick ein stummes Flehen, mir die Bürde, die Worte, die mir bereits auf der Zunge lagen, die in meinen Gedanken wie ein wildes Tier rebellierten, auszusprechen. Die Möglichkeit zu formulieren, die ich nicht wahrhaben wollte.
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Die letzte Prüfung [wird neu geschrieben]
FantasyBand zwei Es ist Hoshoku-sha gelungen, sich von dem Fluch, der auf ihm lag, zu befreien. Nun, auf der Höhe seiner Macht, hält ihn nichts mehr davon ab, seine Ziele zu verwirklichen. Yuna lässt derweil schweren Herzens Takashi, der schwer verwundet u...