1. Hoffnung

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Der Regen ließ allmählich nach. Noch immer saß ich wie betäubt am Boden und hoffte darauf, dass Takashi doch noch aufwachen würde. Yusei beobachtete mich stumm. Mein Blick war auf Takashis Brust gerichtet, die sich gleichmäßig hob und senkte. Er lebte, also musste er irgendwann aufwachen. Es konnte gar nicht anders sein. Das Schicksal würde doch nicht so grausam sein und mir ihn nehmen, obwohl wir uns gerade erst gefunden hatten. „Yuna.", begann Yusei und legte mir sanft seine Hand auf die Schulter. „Nicht!", schnitt ich ihm barsch das Wort ab. „Sag nicht, dass er nicht mehr aufwachen wird. Er atmet, also wird er auch aufwachen. Und solange bleibe ich auch an seiner Seite!" Trotz der vielen Tränen, die ich heute schon vergossen hatte, bemerkte ich erneut, wie meine Sicht verschwommen wurde und Tränen sich ihren Weg über mein Gesicht bahnten. „Das meinte ich nicht. Aber wenn wir herausfinden wollen, was mit ihm los ist, sollten wir ihn in die Krankenstation bringen. Die befindet sich auch im Tempel, neben dem Büro des Tempelleiters."

Ich nahm vage wahr, wie er mir sagte, dass er Hilfe holen würde, um Takashi transportieren zu können. Bitte, mach die Augen auf und sieh mich an!, flehte ich Takashi in Gedanken an. Mit dem Regen verschwanden auch die von Aria geschaffenen Wolken, die den Mond und die Sterne verdeckt hatten. Nun konnte ich Takashi besser sehen. Zwar besaß ich die Nachtsicht eines Fuchses, aber in einer bewölkten Nacht konnte auch ich nicht viel sehen. Nun sah ich alles. Sein Gesicht, das im Mondlicht blass wie ein Gespenst erschien, sein zerfetztes Hemd, das nun mehr rot als weiß war. Um ihn herum war sein Blut in den schlammigen Boden eingesickert, was einen grässlichen, dunkelbraunen Matsch ergab. Obwohl er atmete, sah er wie tot aus. Doch ich weigerte mich, das zu glauben. Solange er nicht seinen letzten Atemzug ausgehaucht hatte, würde ich um ihn kämpfen und alles Erdenkliche unternehmen, um ihn zu retten. Wen kümmerte die bescheuerte Prüfung der Kitsunes? Sollten sie doch selbst versuchen, Hoshoku-sha zu besiegen.

Eine kleine, leise Stimme in meinem Hinterkopf meinte, dass ich nicht vor meiner Verantwortung davonlaufen könnte. Und mir war klar, dass sie recht hatte. Takashi lag jetzt nicht da, damit ich mich in Selbstmitleid verlor. Aus meiner tiefen Trauer wurde grimmige Wut. Hoshoku-sha würde bezahlen. Und wenn es das letzte war, was ich tat.

Ich hörte die Schritte mehrerer Personen näherkommen. Stimmen begannen auf mich einzureden. Takashi wurde hochgehoben. Ich registrierte all das, doch die Worte vermischten sich zu einem unverständlichen Gemurmel und als Takashi schon außer Sichtweite war, saß ich immer noch auf dem aufgeweichten Boden und starrte ins Leere. Mein Blick fiel auf meine Hände, an denen noch immer das Blut von Takashi klebte.

Wie hatte all das geschehen können? Wie hatte ich nur einer völlig Fremden mein Vertrauen schenken können? Hätte ich Aria nicht vertraut, wäre all das nicht geschehen. Takashi wäre noch wohlauf und sie hätten nicht diese machtvollen Artefakte in die Hand bekommen. Wer wusste schon, was Hoshoku-sha und Aria damit anstellen würden? Auf jeden Fall nichts Gutes, das war jedem klar.

Die Wut von vorhin kochte wieder in mir hoch. Ich war wütend auf mich selbst, weil ich so naiv gewesen war, Aria zu vertrauen. Ich war wütend auf Takashi, weil er sich gleichermaßen töricht und heldenhaft auf Aria gestürzt hatte, in dem Wissen, dass sie im Gegensatz zu ihm über Magie verfügte. Aber vor allem war ich wütend auf Hoshokus-sha, ohne den all das nie passiert wäre. Ohne den noch alles in Ordnung wäre. Ich musste mein Bestes tun, um ihn aufzuhalten. Für meine Großmutter, meine Mutter, Takashi und all die anderen Menschen, deren Leben durch ihn zerstört wurden. Ich würde ihn töten. Er hatte mich am Leben gelassen, in dem hochmütigen Glauben, dass ich keine Bedrohung war. Doch Hochmut kam immer vor dem Fall. Und mich am Leben zu lassen war das, was schlussendlich zu seinem Fall führen würde. Dafür würde ich sorgen.

Grimmige Entschlossenheit erfüllte mich, als ich mich vor neuer Kraft strotzend erhob. Mit forschen Schritten begab ich mich zu Yusei, der gerade aus dem Tempel kam. Er sah mich an, Mitgefühl und Sorge lagen in seinem Blick. Scheinbar wusste er nicht, was er zu mir sagen sollte. Deshalb nahm ich ihm die Bürde ab und meinte geradeheraus: „Bring mir bei zu kämpfen. Ich will sobald es geht in den Flüsterwald aufbrechen!" Meine Stimme klang zu meinem eigenen Erstaunen ruhig und fest. Yusei schien etwas einwenden zu wollen, aber ich sah ihn eindringlich an. Seufzend gab er nach. „Wie du willst, dann fangen wir morgen an." „Jetzt.", forderte ich knapp. Yusei legte die Hand an den Kopf und sah mich zweifelnd an. Doch ich machte keinen Rückzieher. Ich wollte trainieren, um so schnell wie möglich stärker zu werden. Und damit ich nicht die ganze Zeit an Takashi denken musste.

Die letzte Prüfung [wird neu geschrieben]Where stories live. Discover now