Takashi
Die Worte der Kitsune hallten in meinem Kopf wider. Willkommen im Meido. Dem Reich zwischen Leben und Tod. Schweigend sah ich sie an. Sie sah genauso aus, wie Yuna sie mir beschrieben hatte. Ihr Fell schimmerte in einem sanften blau. Sie saß aufrecht da, während ihre drei Schweife hinter ihr hin und her pendelten. Mit ihren blauen Augen sah sie mich eindringlich an. Als würde sie darauf warten, etwas von mir zu hören. Doch ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Zu viele Fragen schossen mir durch den Kopf. In einem Moment waren sie da und im nächsten hatten sie sich schon wieder verflüchtigt. Doch eine beschäftigte mich immer wieder. Deshalb fragte ich Tsukiko: „Bin ich tot?" Sie blinzelte langsam und schüttelte den Kopf. „Was bin ich dann?", hakte ich weiter nach. Dabei schlich sich eine Spur Frustration in meine Stimme. Doch wenn sie es bemerkt hatte, ließ sie sich nichts anmerken. Vollkommen ruhig fing sie an zu erzählen: „Du wärst fast gestorben. Deine Seele hat deinen Körper bereits verlassen. Doch bevor auch dein Körper seinen letzten Atemzug ausgehaucht und dein Herz seinen letzten Schlag getan hatte, wurdest du gerade rechtzeitig geheilt."
Vor meinem inneren Auge sah ich wieder jene Nacht. Wie Yuna vor Hoshoku-sha gestanden war, die Augen vor Angst geweitet und ihr Körper angespannt, um bei einem möglichen Angriff schnell reagieren zu können. Aria hatte über sie gespottet, sie als töricht und naiv bezeichnet. Ich hatte in der Dunkelheit nicht viel sehen können und somit hatte ich auch nicht erkannt, dass sie Yuna nicht angreifen wollte. Doch so hatte ich mich auf Aria gestürzt, in der Hoffnung, so Yunas Leben zu retten. Das nächste, was ich wahrgenommen hatte, war ein schneidender, brennender Schmerz in meinem Bauch, der mich schier um den Verstand gebracht hatte. Benebelt war ich zu Boden gesunken. Kurz darauf hatte ich verschwommen mitbekommen, dass mich Yuna in ihre Arme geschlossen hatte. Trotz meines Zustandes hatte ich vergeblich versucht, mich aufzurichten. Mein Blick hatte zum ersten Mal meine Wunde gestreift. Ab da war mir klar gewesen, dass ich sterben würde. Obwohl ich bei Weitem keine Todessehnsucht verspürt hatte, war in dem Moment eine Art Frieden in mir eingekehrt. Yuna hatte mich verzweifelt angeschrien, doch auf meine Lippen hatte sich ein Lächeln gelegt. Wenn ich schon sterben sollte, dann in ihren Armen. „Ist schon gut.", hatte ich ihr gesagt. Und ich hatte es so gemeint. Solange es ihr gut ging, war alles gut. Danach hatte sie noch geschrien, doch ich war schon zu müde, zu weit weg gewesen, um sie zu hören. Die Schmerzen waren immer weiter in die Ferne gerückt. Dann hatte mich plötzlich ein Gefühl der Energie durchzogen und ich war wieder komplett klar im Kopf gewesen. Allerdings hatte dieses Gefühl nicht lange angehalten. Schon kurze Zeit später war ich wieder in einen Dämmerzustand gedriftet. Zwar hatte ich noch mitbekommen, wie Yuna mit Hoshoku-sha geredet hatte, doch die Worte hatten sich mit dem tosenden Regen zu einem unverständlichen Rauschen vermischt. Ich war immer schwächer geworden, bis ich schließlich von Dunkelheit umhüllt gewesen war. Als nächstes hatte ich mich in dieser schwarzen Einöde liegend wiedergefunden.
Mich durchfuhr ein jähes Gefühl der Sorge. Allerdings sorgte ich mich nicht um mich, sondern um Yuna. Ich betete, dass sie die Nacht überlebt hatte. Mir fiel mit ungeahnter Heftigkeit auf, wie sehr ich mich durch Yuna verändert hatte. Bevor ich sie getroffen hatte, hätte ich mich um niemanden außer mir selbst gesorgt. Und nun war ich hier, nicht tot, aber auch nicht lebendig, und kümmerte mich nur um Yuna. Belustigt schüttelte ich den Kopf. Dann hob ich den Blick und sah wieder Tsukiko an. Es war schon etwas skurril, dass ich mich gerade mit einem Fuchs unterhielt. Aber seit ich in die Welt der Magie getreten war, sollte mich so etwas wohl nicht mehr überraschen. „Also, wie komme ich hier wieder raus?", fragte ich fordernd. Ich hatte bereits genug Zeit damit vergeudet, meinen Gedanken nachzuhängen. Nun musste ich so bald wie möglich hier raus.
Tsukiko sah mich ernst an, ehe sie anfing zu sprechen: „Hier wieder rauszukommen gestaltet sich nicht einfach. Zwar gibt es eine Grenze zur Welt der Lebenden, aber du wirst sie nicht überschreiten können. Allein die Tatsache, dass du hier bist, und nicht im Reich der Toten, lässt darauf schließen, dass eine bewusste oder auch unbewusste Blockade dich daran hindert, weiter zu ziehen. Um hier dem Ort hier zu entfliehen, musst du diese Blockade lösen." Entgeistert sah ich sie an. Obwohl, wahrscheinlich war es naiv gewesen, anzunehmen, einfach mir nichts, dir nichts aus einem übernatürlichen Nimbus heraus zu spazieren. Allerdings hatte ich gehofft, dass wenigstens einmal etwas einfach sein konnte. Doch das war wohl zu viel verlangt.
„Und wie löse ich diese Blockade?", verlangte ich zu wissen. „Du schießt über das Ziel hinaus, junger Mann.", mahnte Tsukiko und schlug mit ihren Schweifen. „Zuerst musst du die Blockade finden. Erst dann kannst du daran arbeiten, sie zu lösen." Frustriert knurrte ich. Natürlich war es keine Überraschung, dass das alles nicht so einfach war. Dennoch würde dieses ganze Prozedere meine ohnehin schon unterdurchschnittliche Geduld strapazieren. In meinem Kopf hörte ich die Stimme meines Vaters, wie er mir wie so oft sagte, dass Geduld eine Tugend sei. Diesen Satz hatte ich schon so oft gehört, dass er sich mir auf ewig in mein Gedächtnis gebrannt hat. Und trotzdem war ich dieser Tugend immer noch nicht Herr. Und das würde ich aller Wahrscheinlichkeit nach auch niemals sein. Noch nie hatte ich geduldig etwas erwarten oder langwierige Aufgaben problemlos bewältigen können. Doch da musste ich wohl durch.
„Also, wie finde ich diese Blockade?", formulierte ich meine Frage um. In meiner Stimme schwang leichte Gereiztheit mit, ein Ergebnis besagter Geduld. Oder besser gesagt, deren Nicht-Vorhanden-Sein. Tsukiko ließ sich wieder Zeit mit der Antwort, was allmählich ebenfalls anfing, mir auf den Geist zu gehen. Wenn sie in dem Tempo weitermachte, würde auch meine Seele sterben. Und zwar vor Langeweile.
„Blockaden können aus vielerlei Gründen entstehen. Die Weigerung, das Leben loszulassen. Unerledigte Dinge im irdischen Reich. Ein gewaltsamer oder auch früher Tod. Auch unterbewusste Dinge, wie ungeklärte Geschehnisse in der Vergangenheit können einen daran hindern, wahrhaft Frieden zu finden. Du weißt, was dich hier festhält. Du musst nur deinem Unterbewusstsein erlauben, sich dir mitzuteilen." Nach ihrer Erläuterung war ich nicht sehr viel schlauer als vorher. Ich hatte mich mit meinem Tod abgefunden, auch wenn er früh, sowie gewaltsam gewesen war. Und ich wusste über meine Vergangenheit Bescheid.
Das erklärte ich auch kurz und knapp Tsukiko. Diesmal musste ich nicht erst auf eine Antwort warten: „Bist du dir sicher?" „Ja!", rief ich entnervt und strich mir energisch eine verirrte Haarsträhne aus der Stirn. Aufgebracht redete ich weiter: „Mein Vater hat mich aufgezogen und darauf vorbereitet, einmal selbst Statthalter zu sein. Von Hisho wurde mir alles andere beigebracht. Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben." Ich wollte weiterreden, aber aus einem mir noch unbekannten Grund stockte ich. Meine Mutter. Sie ist bei meiner Geburt gestorben. Doch etwas daran fühlte sich falsch an. Mein Blick suchte Tsukiko. Sie nickte zustimmend, als könnte sie meine Gedanken lesen. Wer weiß, vielleicht konnte sie es ja wirklich?
„Meine Mutter?", meinte ich fragend. Tsukiko nickte, dann fing sie an zu sprechen: „Dir wurde erzählt, dass sie bei deiner Geburt gestorben sei. Aber du hast öfter daran gezweifelt, nicht wahr?" Ich nickte, während ich mich an ein Gespräch mit meinem Vater zu erinnern versuchte. Ich war noch klein gewesen, höchstens fünf Jahre. Ich hatte sie gefragt, ob meine Mutter jetzt an einem anderen Ort ist und auf uns aufpasst. Er hatte mich angesehen, ein verblasstes, längst vergangenes Gefühl von Liebe in seinen Augen schimmernd. Dann hatte er seinen Blick abgewandt, aus dem Fenster gesehen und mit einem seltsamen Unterton in der Stimme gemeint: „Auf dich passt sie ganz sicher auf. Doch auf mich wird sie nur mit Scham und Wut herabsehen." Mir waren diese Worte schon damals merkwürdig vorgekommen, doch mit fünf hatte ich nicht weiter darüber nachgedacht.
Eine Ahnung beschlich mich, und sie war zu grauenhaft, um sie ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Doch Tsukiko sah mich an und neigte leicht ihren Kopf. Bevor ich sie jedoch etwas fragen konnte, kam sie mir zuvor: „Finde deine Mutter. Sie ist hier, in der endlosen Einöde der Zwischenwelt. Finde heraus was damals passiert ist. Doch beeil dich. Dein Körper wird ohne die Essenz deines Seins immer schwächer werden."
Tausende Fragen schossen mir gleichzeitig durch den Kopf. Doch bevor ich auch nur eine festhalten konnte und Tsukiko stellen konnte, zog dichter Nebel auf. Als er sich wieder lichtete, war Tsukiko verschwunden und ich stand allein da. Rund um mich herum war nichts als der schwarze Boden, wabernde Nebelschwaden, die umherzogen und diese gespenstischen Baumskelette. Allein in dieser toten, fremden Welt, allein mit meinen umherschwirrenden Gedanken, überlegte ich, was ich nun machen sollte.
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Mal wieder ein neues Kapitel! Und das, obwohl einen ganzen Tag lang arbeiten echt anstrengend ist. Aber es gibt einen sehr großen Vorteil daran. Wenn man stundenlang vor dem Schredder sitzt und Akten schreddert, hat man sehr viel Zeit zum nachdenken. Dabei sind mir einige sehr gute Ideen für diese Trilogie gekommen. Also seid gespannt! ;)
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Die letzte Prüfung [wird neu geschrieben]
FantasyBand zwei Es ist Hoshoku-sha gelungen, sich von dem Fluch, der auf ihm lag, zu befreien. Nun, auf der Höhe seiner Macht, hält ihn nichts mehr davon ab, seine Ziele zu verwirklichen. Yuna lässt derweil schweren Herzens Takashi, der schwer verwundet u...