10. Flucht

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Takashi

Ich stockte, als ich die Worte vernahm. Ich kann euch zu ihr bringen. Diese Worte waren zu schön, um wahr zu sein. Dennoch wollte ich mir nicht zu schnell neue Hoffnung machen. Diese bodenlose Enttäuschung war eine Erfahrung, auf die ich alles andere als erpicht war. Und ohne große Hoffnung konnte man nicht allzu enttäuscht sein. Deshalb stand ich da, tat mein Möglichstes, um ungerührt zu wirken. Nur mein Herz, das einen wilden Tanz in meiner Brust aufzuführen schien, verriet meine Aufregung. Ich holte einmal tief Luft, um mich wieder in den Griff zu bekommen. Dann hob ich den Blick und sah in die beinahe schwarzen Augen der Frau. „Ist das wahr?" Die Worte verließen meinen Mund, ehe ich sie genügend durchdacht hatte. Machiko, die neben mir stand, versteifte sich. Mein Ton war fordernd, ja beinahe herrisch gewesen. Ein Ton, der einer solchen Frau gegenüber, die Autorität und Stolz wie die Sonne Licht ausstrahlte, nicht angebracht war. „Unterstellst du mir etwa, unehrlich zu sein?" Kalt und unberührbar wie eine frostige Nacht stand sie vor mir und schien mich mit ihren nun leicht verengten Augen zu durchbohren wollen. „N-Natürlich nicht.", erklärte ich hastig und senkte den Kopf demütig zu Boden. „Es ist nur so, dass es fast nicht zu glauben ist, unser Ziel so einfach erreichen zu können.", setzte ich noch hinzu, um ihr meine Worte zu erklären. „Nun, unter diesen Umständen kann ich diese Respektlosigkeit noch verzeihen." Ihr strenger Blick traf mich und löste in mir das unbändige Verlangen aus, einfach in der schwarzen Erde des Meido zu versinken und nie wieder aufzutauchen. Diese Frau war so furchteinflößend wie sie beeindruckend war. Dieser sehnliche Wunsch wurde etwas schwächer, als ihre strafende, autoritäre Miene von milder Belustigung erweicht wurde. „Und wer sagt, dass es einfach wird?", fragte sie niemand eindeutigen mit einer Spur Spott in der Stimme.

„Bevor ihr mich mit Fragen bestürmt, will ich euch ein paar Dinge über mich zu verraten, damit ihr eher gewillt seid, mir zu vertrauen und nicht jedes meiner Worte so schamlos zu hinterfragen wie vorhin. Mein Name ist Nioma, was in der Sprache meines Volkes so viel wie Dunkelheit oder Nacht bedeutet. Ich war die Anführerin einer Gruppe von Menschen, deren Kultur grundverschieden zu der euren ist. Wir haben andere Götter, andere Bräuche, eine andere Sprache. Diese Kultur ist das Erbe unserer angestammten Heimat, des Landes Rihuan auf dem Kontinent Aridea, der südlich des euren liegt." Nioma machte eine bedeutungsschwere Pause. In meinem Kopf ratterte es. Sie war tatsächlich von einem der südlichen Kontinente. Jedoch hatte sie, im Gegensatz zu meiner Annahme, keineswegs ihre Herkunft oder ihr Kultur vergessen. Ich wurde ganz aufgeregt bei dem Gedanken, über welches Wissen sie wohl verfügte, das die meisten für unwiderruflich verloren gehalten hatten. „Jetzt stellt sich euch wahrscheinlich die Frage, warum wir hier sind. Nun, nach einem Geschehnis vor tausend Jahren wurde jeder Kontakt zu eurem Kaiserreich abgebrochen. Die Vorfahren unserer heutigen Gruppe waren gerade auf einer Reise gewesen, um andere Kulturen kennenzulernen, als alles schieflief, was schieflaufen konnte. Seitdem sind wir in der Fremde gefangen. Doch wenngleich wir uns den Grenzen, die gezogen wurden, beugen müssen, so weigern wir uns zu vergessen. Wir weigern uns die Geschichte unseres Volkes, unserer Heimat zu vergessen. Aber im Gegensatz zu allen anderen vergessen wir auch nicht, was wirklich vor tausend Jahren geschah."

Es war klar, dass mir nach ihrer Ausführung die Frage, was denn damals wirklich geschehen war, unter den Fingern brannte. Ich wusste nur, dass vor tausend Jahren die sieben Kitsunes Orochi den Garaus gemacht hatten. Und das war nun wirklich keine plausible Erklärung, warum sich die Welt von uns abgewandt hatte. Oder etwa doch? War das damals Grund genug gewesen? Die Wahrheit war, ich hatte nicht den leisesten Schimmer. Ich wagte einen Blick zu Machiko hinüber. Ihr Gesicht war ebenfalls ein einziges Fragezeichen. Es erfüllte mich mit Erleichterung, dass ich wenigstens mit meiner Ahnungslosigkeit nicht allein war. Meine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf Nioma. So sehr ich auch meine Fragen stellen wollte, ich wusste, dass sie mir ihr kostbares Wissen nicht so schnell anvertrauen würde. Deshalb wartete ich darauf, dass sie weitersprach. Doch bevor sie das Wort an uns richten konnte, zog in unnatürlicher Geschwindigkeit Nebel auf. Zwar hatten wir schon einige der typischen Nebelfelder passiert, aber noch nie war dieser mysteriöse Schleier so schnell aufgetaucht. Zum Glück wirkte Nioma wie ein mächtiger Schatten in dieser trüben, grauen Suppe, sodass man sie noch einigermaßen erkennen konnte. Als sie erneut versuchte zu sprechen, wurde sie wieder unterbrochen. Aber diesmal von einem tiefen, bedrohlichen Knurren. Einem Knurren, das beunruhigend nahe klang.

Die letzte Prüfung [wird neu geschrieben]Where stories live. Discover now