13. Zusammenbruch

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Ich schlug die Augen auf. Die Erinnerung an den Traum, der leider nur zu real gewesen war, war immer noch präsent. Die Erinnerung daran, wie Hisho in eben diesem Wald unter eben diesen Sternen sein Ende gefunden hatte. Aufs Neue hatte Hoshoku-sha mir einen wichtigen Menschen geraubt. Und dafür würde ich ihn büßen lassen. Auch wenn es nicht in meiner Natur lag, sich der Wut hinzugeben und zu töten, würde dieses Scheusal die nächste Begegnung mit mir nicht unbeschadet überstehen. Die Vorstellung, wie ich ihn mit meinem Katana mitten in der Brust traf und langsam das Licht in seinen grausamen roten Augen erlöschen sah, sandte heiße Flammen durch meinen Körper. Hoshoku-sha würde schon bald sein erbärmliches Ende finden und Orochi für immer in den Tiefen des Jigoku verrotten. Obwohl es noch mitten in der Nacht war, rappelte ich mich geschwind auf und packte meine Sachen. Heftiger als nötig stopfte ich die Decken in meinen Beutel. Als ich fertig war, weckte ich Okame. „Aufstehen!", befahl ich mit eisernem Tonfall. Verschlafen blinzelte er und seine violetten Augen sahen sich verwirrt um. „Was? Wieso?", nuschelte er, während er sich mehr schlafend als wach hoch hievte. „Fragen später.", erklärte ich knapp. „Gut.", brummte er widerwillig. Nachdem er nach einer gefühlten Ewigkeit endlich aufrecht dastand, schob ich ihn bestimmt beiseite, damit ich seine Decken auch noch einpacken konnte. Dann packte Okame am Arm und zog ihn regelrecht mit mir. Mittlerweile schon etwas wacher meinte er: „Ist es nicht etwas leichtsinnig, nachts durch den Wald zu trampeln?" „Das ist mir schon bewusst, danke!" Meine Antwort kam schärfer als gewollt über meine Lippen. „Wohin gehen wir?", fragte er weiter. „Keine Ahnung. Wir gehen einfach weiter. Solange, bis ich diesen verdammten Steinaltar gefunden habe oder tot bin." Ich spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Meine Augen wurden feucht. Ob ich aus Wut oder Trauer den Tränen nahe war wusste ich nicht. Verbissen kniff ich die Lippen zusammen und brachte alle Selbstkontrolle auf, um nicht in Tränen auszubrechen. Ich konnte, ich durfte nicht zusammenbrechen. Einfach weitergehen. „Aber...", kam es wieder von Okame, der etwas hinter mir war. Rasend vor Wut drehte ich mich zu ihm um und funkelte ihn an. „Nichts „aber"!", fauchte ich ihn an. „Wenn es dir zu gefährlich ist, dann geh!" „Das meinte ich nicht Y..." „Was dann? Dass ich nicht mein Leben aufs Spiel setzen sollte?", unterbrach ich ihn. Ein verbittertes Lachen entrang sich meiner Kehle. „Es ist mir egal, ob ich sterbe, solange ich diesen rotäugigen Dämon mit ins Grab nehmen. Denn wenn er gewinnt, ist sowieso alles egal. Dann können wir genauso gut unsere Grabrede schreiben." „Yuna, lass mich dir...", fing Okame wieder an, Verzweiflung hatte sich in seine Stimme geschlichen. Auch diesmal schnitt ich ihm das Wort ab: „Du kannst mir nicht helfen. Entweder kommst du jetzt mit und hältst endlich den Mund oder du haust ab. Deine Entscheidung." Mit diesen Worten drehte ich mich auf dem Absatz um und ließ ihn stehen. Nur das leise Rascheln der Blätter verriet mir, dass er mir folgte. Und obwohl in mir gerade ein Sturm aus Hass, Wut und Trauer wütete, konnte ich den Funken Erleichterung darüber, dass Okame mir weiter folgte, nicht leugnen.

Zielstrebig und von dem Feuer in meinen Adern angetrieben drang ich immer weiter in den Wald vor. Ohne Ergebnis. Kein Altar, kein Hisho. Irgendwann verrauchte die Wut und ließ nur Trauer und eine bleierne Erschöpfung zurück. Ich blieb stehen, zu ausgelaugt, um weiterzugehen. Okame, der sich die ganze Zeit still hinter mir gehalten hatte, blieb ebenfalls stehen und sah mich besorgt an. „Tsukiko hatte recht, es bringt sich nichts.", sagte ich mehr zu mir selbst als zu Okame. „Ich werde den Altar nicht finden und ich werde Hoshoku-sha nicht aufhalten können." Hektisch lief ich auf und ab. Okame hielt sich ruhig im Hintergrund und beobachtete mich genau. „Man könnte glauben, dass ich endlich dazugelernt und meine törichte Naivität hinter mir gelassen hätte." Meine Stimme hallte einsam durch die Nacht. „Aber immer wieder lasse ich Hoffnung zu, nur damit sie niedergeschmettert wird!", stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Es gibt keine Hoffnung!" Diese Feststellung war erfüllt von Bitterkeit. „Es hat nie Hoffnung gegeben und es wird nie Hoffnung geben. Niemals!" Das letzte Wort schrie ich förmlich heraus. Dabei trat ich vor Frustration gegen einen der harten Baumstämme. Sofort durchzuckte Schmerz meinen Fuß. Ich keuchte auf. Kurz flammte erneut Wut hoch, aber sie wurde von den Tränen weggespült, die nun ohne, dass ich es wollte hemmungslos über meine Wangen strömten. Ich sank zu Boden und begann zu schluchzen. Nur am Rande nahm ich Okame wahr, der sich neben mir niederließ. Sanft legte er den Arm um mich. „Ich verstehe dich." Drei Worte, schlicht und einfach. Und doch hatten sie eine so große Wirkung auf mich. Noch immer heulte ich, aber ich wehrte mich nicht länger. „Ich wollte diese Verantwortung nie.", hauchte ich kraftlos. Okame antwortete, in dem er mich fester an sich heranzog, um mir Halt zu geben.

Irgendwann versiegten meine Tränen und der Sturm in meinem Inneren hatte sich aufgelöst. Als Okame merkte, dass ich mich beruhigte, lockerte er seinen Griff. Ich sah ihn an so gut ich konnte. „Danke.", flüsterte ich mit meiner vom Weinen rauen Stimme. „Wie gesagt, ich verstehen ich. Irgendwann bist du bereit, über das was passiert ist zu reden. Und dann bin ich da." „Warum bist du geblieben?", fragte ich ihn, ohne wirklich vorher darüber nachzudenken. Ich war durchgedreht, hysterisch gewesen. Und trotzdem war er mir gefolgt. Ein kleines Lächeln schlich sich auf Okames Lippen, als er antwortete: „Wie sollen wir den Freundschaftsarmbänder flechten, wenn ich einfach verschwinde?"

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Heute mal ausnahmsweise ein etwas kürzeres Kapitel. Das nächste wird wieder länger, versprochen! 

Je suis impatiente de savoir ce que vous pensez sur ce chapitre!

Ich kann es kaum erwarten zu erfahren, was ihr über dieses Kapitel denkt.

Alors, au revoir, mes dames!

Un/e bon/ne jour/après-midi/soir/nuit!


(Ich habe in zwei Tagen Französisch-Schularbeit, falls sich jemand fragt warum ich hier französisch schreibe. Ist zwar kein Grund, aber: EGAL!)

Die letzte Prüfung [wird neu geschrieben]Where stories live. Discover now