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Es ist Winter. Ein kalter Tag folgt dem nächsten und überall liegt bereits Schnee, die Menschen sind draußen unterwegs. Eingepackt in Schals und dicke Jacken streifen sie durch die weißen Straßen und Wege, sie sind glücklich. Alle außer ihm.

Er läuft ebenfalls draußen herum, jedoch trägt er keinen Schal und auch keine dicke Jacke, das einzig winterliche an ihm ist seine etwas schief hängende Mütze. Er friert.

"Was mache ich hier nur?" Er spricht leise mit sich selbst, es wird ja doch keiner hören. Er läuft auf einem kleinen Fußweg neben alten Bahngleisen, auf denen aber nicht mehr so häufig Züge fahren. Hier befinden sich nicht viele Menschen, nur vereinzelt schleichen hier ein paar einsame Gestalten vorbei, die alle genauso auf sich fokussiert sind wie er.

"Wieso habe ich das nur gesagt?" Wiedermal ein Selbstgespräch, er fährt sich mit der Hand durch die von der Mütze plattgedrückten Haare. Seine Mütze setzt er danach gerade wieder auf.

Er hatte sich eben mit seinem Mitbewohner gestritten und ist nun heraus gerannt. Und er weiß nicht was er jetzt tun soll, er läuft einfach ziellos umher und überlegt, ob er nach Hause zurück kehren sollte. Oder ob er vielleicht nirgendwo mehr hin zurück kehren sollte. Nach einigen Minuten des Gehens sieht er von weitem einen Bahnsteig, vielleicht kommt ja bald ein Zug. Dann fahre ich einfach ganz weit weg, egal wohin, dachte er sich. Einfach weg.

Niemand sonst ist in der Nähe, es hängt auch kein Plan hier, wann der nächste Zug kommt. Vielleicht kommt ja auch keiner, aber dafür sehen die Schienen noch zu befahren aus.

Er fröstelt erneut, was wenn er erfriert, bevor der Zug kommt? Doch bei genauerem Nachdenken wird ihm klar, dass ihm das nicht einmal etwas ausmachen würde. Auch wenn er nicht unbedingt sterben wollte, leben wollte er ja doch genauso wenig. Insbesondere jetzt nach diesem Vorfall. Nach Hause zurück will er ja doch nicht, denn seinen Mitbewohner hatte er zu sehr verletzt. Er verschwendet allerdings keinen Gedanken daran, dass er ihn wohl nur noch mehr verletzt, wenn er einfach so nicht wieder kam. Aber er konnte es nicht, er konnte nicht zurück. Es ist als wären seine Füße am Boden festgefroren, nun vielleicht sind sie das ja auch, bei dieser Kälte ist alles möglich.

Da niemand in der Nähe ist, beschließt er einfach zu lauschen, ob ein Zug kommt. Wenn man seine Ohren ganz nah an das dreckige Metall der Schienen legt, kann man hören oder sogar spüren, ob ein Zug darauf fährt, das ist zwar ein wenig gefährlich, aber er hat keine Angst um sein Leben. Außerdem ist weit und breit kein Zug zu sehen, er wird es wohl noch schnell genug dort weg schaffen.

Nachdem er sich ein weiteres mal vergewissert hat, dass sich niemand in der Nähe befinden, setzt er vorsichtig einen Fuß vor den Bordstein, ein paar Zentimeter von den Gleisen entfernt. Er spürt wie Nässe in seine etwas schmutzigen Turnschuhe eindringt, der Schnee hier geht ihm fast bis zum Knöchel. Wäre er nicht so distanziert von sich selbst, würde ihm vielleicht sogar auffallen, dass ihm kalt ist.

Er tritt zwischen die Schienen, auf die vom Schnee bedeckten Betonsteine, die sich dort befinden. Er knickt sogar fast um, es ist so gut wie unmöglich, unter der Schneeschicht zu erkennen, was davon Beton und was nur der aufgeschüttete Kies ist. Er trat auf eine dieser Kanten, hält sich aber noch oben.

Nach einem Moment des Zögerns berühren seine Knie nun doch endlich den Boden, sie versinken genauso schnell wie seine Füße in der Masse aus Schnee. Er spürt die Nässe seiner alten Bluejeans, jedoch nicht die Kälte. Ihm wurde vielleicht sogar in dem Moment klar, dass er nicht mehr von dort aufstehen wird, er wird nicht mit diesem Zug fahren.

Er umfasst das Gleis mit seinen nackten Händen, diese sind ohnehin schon taub von der Kälte. Er spürt bereits dort schon ein leichtes vibrieren, es ist bestimmt ein Zug unterwegs. Sein Ohr kommt dem schon etwas rostigem Metall immer näher, bis es das kalte Eisen berührt. Er hört den Zug spürt das Vibrieren der alten Gleise. Doch es interessiert ihn nicht mehr.

Er wird sich nicht dort weg bewegen, er will nicht mehr. Ihm ist gerade zum ersten mal klar geworden, dass er doch sterben will. Es ist doch nicht nur der Unwille zu leben, es ist der Wille zu sterben, der ihn schon so lang belastet. Der Gedanke daran, dass der Zug ihn einfach überrollen könnte, löste so eine unfassbare Ruhe in ihm aus, dass er nichts daran ändern wird.

Ob er jetzt stirbt oder einfach verschwindet, es wird seinem Mitbewohner gleichermaßen weh tun, dachte er sich. Doch da liegt er falsch. Wenn er nur weg geht, besteht noch Hoffnung die einem niemand mehr nehmen kann, doch wenn er stirbt entreißt er allen die Hoffnung, teilt sie in Stücke und lässt sie mit sich vom Zug überrollen. Aber das realisiert er in dem Moment nicht, vielleicht hätte er es sogar in einer Normalsituation nie realisiert, wer weiß das schon.

Doch genau jetzt ist ihm nichts wichtiger als zu sterben, es ist einfach alles zu viel. Vielleicht hat er ja jetzt auch einmal das Recht, egoistisch zu sein und einmal alle selbst zu verletzen statt immer nut verletzt zu werden.

Er, der immer noch in der selben Position auf den Gleisen verharrt, sieht den Zug. Das Licht blendet seine Augen, jedoch hält er sie weiterhin geöffnet. Der Fahrer scheint ihn bemerkt zu haben, denn er hupt mehrmals, aber er wird es nicht mehr schaffen zu halten. Wenn ein Zug einmal an einer Haltestelle durchfahren will, dann passiert das auch, er wird so schnell nicht halten können, da war er sich ganz sicher.

Er verharrte einfach ganz ruhig weiter in der Position und wartete darauf, dass der Zug ihn überrollt.

-

Doch das passierte nie. Der Zug hielt ein paar Zentimeter vor seiner Nasenspitze an, der Fahrer kommt herausgestürmt und zieht ihn am Kragen hoch.

"WAS SOLL DENN DAS, WEIßT DU WIE KNAPP DAS WAR?!" Der Fahrer schrie ihn an. Sein Atem roch nach Zigaretten und Kaffee, er scheint auch nicht gerade ein entspanntes Leben führen zu können. Vielleicht hat er es ja genauso schwer wie er, das dachte er sich.

Doch er antwortete nichts, er wartete einfach nur darauf, dass der Fahrer aufhören würde ihn anzuschreien und ihn wieder auf die Füße setzen wird. Mehr will er gar nicht. Auch wenn er nicht hier stirbt, er wird es trotzdem irgendwie schaffen es zu beenden, davon ist er überzeugt.

"Komm mal mit, ich werde jetzt deine Angehörigen anrufen, wohnst du allein?" Er schüttelte den Kopf.

"Stehst du ihm Telefonbuch von diesem Stadtteil?" Er nickt erneut.

"Mein Gott, jetzt rede doch endlich mit mir, die Fahrgäste werden schon ungeduldig. Wie heißt du?"

"Kim Taehyung."

Train° ~ Taehyung FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt