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"Kim Taehyung also, Moment ich werde es suchen. Du wirst mir die Nummer ja doch nicht sagen, so wenig wie du sprichst." Er beginnt in dem Büchlein zu blättern, bis er es gefunden hat. Er gibt die Nummer in sein Telefon ein und lässt es klingeln. Taehyung hat sowohl Angst, was er gleich erzählen will, als auch Bedauern, dass es nicht geklappt hat. Er hätte jetzt seinen Frieden haben können.

"Park Jimin, guten Tag. Wer ist da?" Er hatte auf Lautsprecher gestellt. Jimins Stimme dringt aus dem Hörer und verpasst Taehyung fast eine Gänsehaut, wenn er nur daran denkt gleich mit ihm sprechen zu müssen, läuft es ihm kalt den Rücken runter.

"Guten Tag, ich bin Zugfahrer hier im Stadtteil. Sie kennen einen Herr Kim Taehyung?"

"J-Ja, wieso?" Jimin klingt nervöser als sonst, vielleicht ahnt er schon, was ihn erwartet.

"Er....er wollte eben sein Leben beenden. Zum Glück habe ich früh genug auf die Gleise geschaut, sonst hätte ich nicht mehr halten können. Würden sie bitte her kommen und ihn abholen, ich will ihn nicht allein nach Hause gehen lassen, aber muss nun mal meiner Arbeit nachkommen." Der Zugfahrer klingt ebenfalls ein wenig nervös, vermutlich wäre das jeder, wenn man gerade fast einen Menschen überfahren hat. Man hört sogar durch das Telefon, dass Jimin den Tränen nahe ist, Taehyung scheint es allerdings anders zu gehen. In ihm herrscht ein undurchdringlicher Sturm, er weiß es nicht einzuordnen. Er fühlt alles und nichts zur selben Zeit, ist traurig dass er nicht tot ist und gleichzeitig erleichtert, dass er Jimin keine Probleme macht. Er ist verzweifelt, da er nicht weiß wie er weitermachen soll und doch der Meinung dass er weitermachen muss. Er widerspricht sich selbst und der Sturm zwischen seinen beiden Ohren scheint auch erstmal nicht kleiner zu werden. Aber er ist froh über eines, er muss nicht weinen. Er verabscheut es zutiefst vor anderen Menschen zu weinen, er kann ja nicht einmal dabei in den Spiegel schauen ohne ihn zerschlagen zu wollen. Er trägt so viel mit sich herum, dass er langsam aber sicher unter der Last zusammenbricht, doch andere würden es nicht mal verstehen. Denn der ganze Ballast kommt letztendlich doch nur von sich selbst.

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Bereits nach ein paar Minuten kommt Jimin dort an, er war mit seinem Fahrrad gefahren und ist außer Atem, es bilden immer wieder kleine weiße Wolken vor seinem Gesicht wenn er ausatmet. Seine Augen wirken ein wenig feucht, er ist anscheinend den Tränen nahe, in Taehyung kommen langsam Schuldgefühle auf. Das hatte er wirklich nicht gewollt.

Dieser steht jetzt auf dem Bahnsteig, der Zug musste nach Protesten der Fahrgäste bereits weiter fahren, auch wenn der Fahrer sich anscheinend tatsächlich Sorgen um Taehyung gemacht hat, er konnte ja nicht einfach so seine Arbeit vernachlässigen.

Doch Taehyung konnte immer noch nicht weinen, er fühlt sich genauso leer wie eben. Er weiß einfach nicht was er fühlen soll, was fühlte denn ein Mensch in so einer Situation in der er eigentlich plante tot zu sein? Enttäuschung, dass er noch lebt? Freude, dass er noch lebt? Trauer? Verzweiflung? Er realisiert es nicht, doch vermutlich ist gerade dieser Sturm an Emotionen, das was man nach einem gescheiterten Suizid fühlen sollte.

Jimin rennt auf ihn zu und schließt den unterkühlten Jungen einfach in seine Arme ohne irgendwas zu sagen. Bei ihm ist endgültig der Damm gebrochen und er weint einfach Taehyungs Jacke nass, was dieser jedoch nicht einmal bemerkt. Er streicht ihm nur immer noch recht gleichgültig über den Rücken.

"Tae-" Er schniefte. "-wieso machst du sowas nur? Es tut mir so Leid, ich hätte so nicht reagieren dürfen." Jimin beginnt leise zu reden, schluchzt weiter in die Armbeuge seines Gegenübers. Er weiß nicht wie er mit der Situation umzugehen hat, weder Taehyung noch Jimin.

Taehyung lässt die Ereignisse des heutigen Tages noch einmal Revue passieren: Jimin hatte es herausgefunden, er kam an diesem Tag früher nach Hause, sodass er Taehyung überraschte. Dieser war gerade dabei Geschirr zu spülen und hatte dementsprechend seine Ärmel hochgekrempelt, seine Unterarme waren zu sehen. Er hatte doch stets penibel darauf geachtet, dass die Narben niemand sieht, doch durch so einen dummen Fehler war alles vorbei, Jimin hatte sie gesehen. Er war so überfordert, dass er ihn einfach nur angeschrien hat, leider nicht sonderlich nett. Er hatte sich eigentlich nur Sorgen um Taehyung gemacht, doch er war noch nie sonderlich gut in seelischem Beistand. Daraufhin war Taehyung aus dem Haus gelaufen, erst wollte er einfach nur ein wenig herumlaufen, bis Jimin sich beruhigt hatte. Doch je mehr er darüber nachdachte, wie sein weiteres Leben jetzt ablaufen wird, desto deprimierter und hoffnungsloser wurde er. Er hatte damit gerechnet, dass Jimin ihn herausschmeißt, dass er zur Therapie muss, allein dass er Jimin alles in Worten erklären muss, brachte ihn an die Grenze des Machbarem. Dann sah er die alte Bahnstation und es passierte das, was alles verändert hat. Erst hat er sich tatsächlich dazu entschlossen sein Leben zu beenden und hatte sich darauf schon eingestellt und seinen Frieden damit geschlossen und plötzlich überlebt er unverhofft. Das wirft alle existenten Pläne über Bord.

"Du bist ja ganz nass und kalt, so wirst du nur krank. Komm mit nach Hause, bitte." Jimin schaut ihm mit glasigen Augen an, woraufhin Taehyung nachgibt und nickt. Er lässt sich von Jimin auf den Gepäckträger des alten Fahrrads, dass sie sich mal zusammen auf einem Garagenverkauf gekauft hatten, verfrachten. Wackelig fahren sie los, es ist wirklich ein Wunder, dass sie so keinen Unfall gebaut haben. Sie wahren schließlich beide nicht unbedingt die Sportlichsten.

Angekommen bei ihrem Wohnhaus, es war ein altes aber schönes Gebäude in der Stadt, sie bewohnten eine Wohnung im zweiten Stock als WG, stellten sie das Fahrrad in den verbogenen Fahrradständer davor, Jimin gefestigte das Schloss daran, während Taehyung sich bemüht nicht so sehr zu zittern. Er zitterte jetzt seit dem ersten Schritt auf die Gleise und hörte die ganze Zeit nicht mehr auf, auch wenn er eigentlich ruhig und doch überwältigt zu gleich war. Es ist ein Gefühl, dass sich nicht mit Worten beschreiben lässt, man versteht es nur wenn man es mal erlebt hat. Es ist schrecklich. Als würde man nichts und alles zugleich fühlen.

Er wird weiterhin wortlos von Jimin hinter sich her nach oben gezogen, vermutlich wird er ihm gleich alles erklären müssen. Das zittern nimmt immer weiter zu und allein beim Gedanken daran wird ihm sogar ein bisschen schwindelig...

Train° ~ Taehyung FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt