Jimin weinte. Nicht nur Jimin, auch Namjoon und seine anderen Freunde. Auch Taehyungs Kollegen und seine Familie waren dort. Es regnete.
Sie standen alle verteilt um das Grab auf dem Friedhof, der Regen wurde immer mehr und einige der Menschen gingen bereits. Sogar Taehyungs Familie war bereits gegangen, sie standen ihm nicht sonderlich nah. Er war ausgezogen sobald er konnte und wandte sich nach und nach von ihnen ab, er dachte er würde es ihnen nur schwer machen. Er liebte seine Familie, doch er wollte nicht, dass sie sich Sorgen um ihn machen würden. Seine Familie war selbstverständlich traurig, aber sie haben irgendwo geahnt, dass es so enden würde. Sie wussten, dass er als Teenager depressiv war, doch sie sagten nie etwas. Sie wussten nicht, was.
Inzwischen waren nur noch Jimin und seine Freunde dort, alle standen mit den Köpfen zu Boden gerichtet vor dem Grab, nur Jimin hockte auf Knien davor. Sein Gesicht verdeckt von seinen Händen weinte er, zuerst still für sich allein, doch nach einer Zeit fing er an zu schreien.
"WIESO? WIESO ER? WIESO HABE ICH IHM NICHT HELFEN KÖNNEN?" Namjoon ging ein paar Schritte auf ihn zu und legte eine Hand auf seine Schulter. Jimin wurde ein wenig leiser, stoppte jedoch nicht.
"Ich...Ich habe gedacht, es würde ihm besser gehen. Ich dachte er ist fröhlicher, er hatte sich ja sogar einen zweiten Job gesucht und war mehr mit uns zusammen. Ich dachte wirklich es würde ihm jetzt leichter fallen, nachdem wir es wissen, doch wir- nein ich habe es ihm vermutlich nur noch schwerer gemacht. Wie sehr er gelitten haben muss in den letzten Wochen, vielleicht wäre es für ihn sogar besser gewesen, wenn er...beim ersten mal schon gestorben ist. Taehyung, das tut mir alles so Leid." Nachdem er fertig gesprochen hatte, weinte er lautlos weiter, die Tränen vermischten sich mit dem Regen und tropfen vor dem Grabstein auf den Boden. Namjoon und die anderen ließen ihn bereits allein. Jimin blickte hoch zu dem Grabstein.
Kim Taehyung
1995 - 2021
"He fought. He fought more than we could ever imagine. But in the end, he lost the battle"
Es war ein kleines, recht schlichtes Grab. So wie Tae es wollte. Jimin fand nachdem Taehyung bereits gestorben war, eine Art Testament auf seinem Schreibtisch, es war kein Brief oder so etwas dabei, das einzige was neben den sachlichen Dingen enthalten war, war der Satz, dass er ein schlichtes Grab wollte. Doch erst jetzt viel Jimin auf, dass abgesehen von ein paar Stiften und seinem Laptop, welcher ohnehin verriegelt war, noch ein USB-Stick auf dem Schreibtisch lag. Er dachte sich nichts dabei, als er ihn damals sah, doch jetzt kam ihm ein Gedanke.
Er sprang auf und lief los, der Friedhof war ganz nah an ihrer Wohnung, sodass er hin laufen kann. Die Tränen benebeln ihm schon die Sicht, doch er musste es jetzt wissen. Angekommen in der Wohnung holte er den Stick von Taehyungs Schreibtisch und steckte ihn in seinen Laptop. Darauf war nur eine Datei enthalten mit dem Titel Goodbye. Er hatte also recht. Er öffnete die Datei und es erschien ein Tab in Word. Er ließ sich alles durch und die Tränen wollten gar nicht mehr aufhören.
"Hallo Jimin, hier ist Taehyung. Wenn du den USB-Stick gefunden hast, bin ich wahrscheinlich schon nicht mehr da. Und das erste was ich dir sagen möchte ist, dass es mir unfassbar Leid tut. Allein während ich das hier schreibe, tropfen die Tränen unweigerlich auf meinen Laptop.
Es war egoistisch mich einfach so umzubringen, aber ich hielt das alles nicht mehr aus. Ich werde jetzt auch schonungslos ehrlich sein, da es mir ja doch nichts bringt zu lügen. Ich verletze dich hiermit wahrscheinlich ohnehin schon.
Jedenfalls, ich habe die letzten Jahre durchgehalten, da ich dich -inzwischen auch Namjoon und die anderen- nicht verletzen wollte. Das war eigentlich der einzige Grund, wieso ich es so lange ausgehalten habe. Ich habe nicht für mich gelebt, ich hatte nichts wofür ich leben könnte. Einen Sinn im Leben allgemein habe ich nie gesehen, außerdem viel mir alles immer schwerer. Ich fühlte mich schlecht, wenn ich unter Menschen war, aber auch wenn ich allein war. Ich machte mir die ganze Zeit Sorgen, ob ich euch vielleicht nerven könnte, doch gleichzeitig war ich mir irgendwo auch bewusst, dass ihr mich mögt. Es war ein innerer Kampf bei eigentlich allen Dingen, dieser Konflikt war nur ein Beispiel. Und das wurde mir dann letztendlich zu anstrengend.
Und bitte denk jetzt nicht, dass du ein Ballast warst. Es war das Gegenteil. Du warst und bist vermutlich immer noch der einzige, bei dem ich mir je sicher war, dass du mich wirklich gern hast. Bei dir war ich mir immer sicher, habe mir nie Sorgen gemacht. Deshalb hing ich auch früher schon so an dir, du warst immer da um mich aufzuheitern, vermutlich hast du das nicht mal gemerkt. Das geriet allerdings ins Wanken nachdem du über alles Bescheid wusstest. Es war immer mein größtes Ziel im Leben, dass niemand jemals herausfinden, wie es mir wirklich geht, ich wollte niemals mit jemandem drüber reden. Und als du es dann doch herausgefunden hast, begann mein Verstand zu zweifeln. Obwohl ich wusste, dass dem nicht so war, war da immer der Hintergedanke, dass du mich vielleicht doch nervig finden könntest, oder dass du es für lächerlich hältst. Ich weiß eigentlich auch, dass das nicht der Fall ist und du dir mit Sicherheit große Sorgen um mich machst, aber diese Hintergedanken wollten einfach nicht weggehen. Das war vermutlich der schwerste innere Konflikt, da damit das letzte Vertrauen, das ich wirklich in eine Person hatte, zu Bruch ging. Und das ist nicht deine Schuld, sondern einzig und allein die Schuld meiner psychischen Probleme, also mach dir keine Vorwürfe. Unterbewusst war mir ja sowieso klar, dass es über kurz oder lang jemand herausfinden wird und du konntest nichts dafür. Vermutlich war es von vorn herein klar, dass ich so ende.
Es war dennoch egoistisch von mir, mich umzubringen. Ich wollte es euch nicht noch schwerer machen, als ihr es eh schon mit mir habt. Ich weiß ja auch irgendwo, dass ich euch wahrscheinlich wirklich Sorgen um mich macht. Wirklich von ganzem Herzen daran glauben kann ich zwar nicht, aber das habe ich ja gerade schon erklärt. Und jetzt hat dieser Teil meines Verstandes gewonnen und ich habe es nicht mehr ausgehalten. Das alles war einfach auf Dauer zu viel.
Auch der zweite Job mit dem ich mich eigentlich ablenken wollte, hat mich nur noch mehr fertig gemacht, jeden Abend war ich doppelt so müde und kraftlos wie sonst und ich fühlte mich noch leerer als sonst.
Also im Prinzip habe ich mir das alles selbst zuzuschreiben, wäre dieser eine Tag nicht gewesen, wäre es nicht so schlimm geworden. Hätte ich an dem einen Tag mit dem Zug-Vorfall nicht so über reagiert, hättest du ja nie rausgefunden, dass es so ernst mit meinen Suizidgedanken ist. Vielleicht wäre es dann nicht so weit gekommen. Zumindest nicht so früh. Es war also in mehrerlei Hinsicht ich, einzig und allein ich, der mich umgebracht hat.
Ich kann mich nur wiederholen, es war wirklich nicht eure Schuld, ihr habt euch auch nicht falsch verhalten oder sonstiges. Eher im Gegenteil, ihr habt sogar genau das gemacht, was für mich am besten war. Ihr habt nicht ständig nachgeschaut ob ich mich noch schneide, das hätte mich nur noch mehr gestresst. Außerdem habt ihr auch nicht versucht mich mit merkwürdigen Sprichwörtern oder ähnlichem aufzuheitern, das hätte ohnehin nichts gebracht. Es hätte nichts gegeben, was ihr hättet sagen können, daher ist es gut so, dass ihr Nichts gesagt habt.Ihr wart...nein ihr seid die besten Freunde die man sich wünschen kann, also gebt euch bitte nicht die Schuld daran, ihr hättet ohnehin nichts daran ändern können. Und es tut mir unfassbar Leid, ich liebe euch wirklich. Euer Taehyung."
Jimin rührte sich nicht, nachdem er den Brief zu Ende gelesen hatte. Irgendwas in ihm war erleichtert. Er wusste jetzt, dass es für Taehyung wirklich das beste war diese Welt zu verlassen. Er fühlte, dass Taehyung in diesem Brief vermutlich das erste mal in seinem Leben in keinem einzigen Detail log. Er gab ihnen wirklich nicht die Schuld daran, sondern war sogar in so einem Moment noch in der Lage positive Dinge zu sagen. Taehyung hatte es mit diesen paar zusammengereihten Buchstaben vermutlich geschafft, Jimin davor zu bewahren sein Leben lang Schuldgefühle mit sich herumgetragen zu haben.
Jimin glaubte Taehyung, es war nicht seine Schuld. Es war aber auch nicht Taehyungs Schuld, er hat es versucht. Er hat versucht sich ein wenig zu bessern, er hat wirklich versucht zu kämpfen. Doch vielleicht war es wirklich das beste für ihn den langen, schweren Kampf endlich zu beenden.
Er hoffte nun einfach, dass Taehyung jetzt glücklich war. Er versuchte sein Leben ab jetzt doppelt so gut zu leben, er musste für Taehyung leben...
-End-
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Train° ~ Taehyung FF
FanfictionNach einem Moment des Zögerns berühren seine Knie nun doch endlich den Boden, sie versinken genauso schnell wie seine Füße in der Masse aus Schnee. Er spürt die Nässe seiner alten Bluejeans, jedoch nicht die Kälte. Ihm wurde vielleicht sogar in dem...