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"Willst...willst du drüber reden?" Taehyung hatte es geahnt, er wusste dass Jimin neugierig werden würde. Naja, übel nehmen konnte er es ihm dennoch nicht, wer würde nicht gern wissen was los ist wenn der beste Freund sich fast von einem Zug überrollen ließ. Aber er wusste einfach nicht wie er es in Worte fassen sollte, er wusste es einfach nicht. Daher schwieg er einfach zu Jimins Bedauern.

"Wieso machst du das?" Er deutet auf Taehyungs Arme und generell seinen Oberkörper, in Jimins Augen sieht man nichts als Traurigkeit, sodass der andere sich von ihm abwenden muss. Er kann dem Blick des kleineren einfach nicht standhalten. Er versucht es innerlich in Worte zu fassen, doch er kann es einfach nicht.

"Ich....ich weiß nicht wie ich das erklären soll, tut mir Leid." Mehr bringt er nicht hervor, seine Stimme zittert wie Espenlaub im Wind, aber den Tränen nahe ist er immer noch nicht, er ist wie ausgetrocknet.

"Wie hat das denn angefangen? Vor allem wann, wie lang geht es dir schon so?" Das konnte Taehyung immerhin halbwegs beantworten.

"Naja eigentlich schon seit ich ein Teenager bin, also circa seit ich so 12 oder 13 bin. Natürlich war ich da noch nicht depressiv, aber da fing alles an. Ich wurde ja wie du weißt in der Schule oft gehänselt wegen meinen guten Noten, das hat mich gestresst. Da fing es zumindest an, dass ich eine Art Hass auf diese Gesellschaft entwickelt habe, ich verstand einfach nicht wieso man für so etwas gehänselt wird. Das verstehe ich um ehrlich zu sein bis heute nicht so richtig." Er legte eine kurze Pause ein und schaute durch das große Fenster nach draußen, es beginnt schon zu dämmern obwohl es erst so früh ist. Jimin ließ ihm seine Zeit, bis er weiter sprechen konnte.

"Und....und dann wurde ich immer öfter mit sowas konfrontiert, ich habe oft mitbekommen wie Menschen gemobbt werden, oder ausgegrenzt oder diskriminiert werden, all die ganzen Dinge die in unserer verkorksten Gesellschaft scheinbar normal sind. Ich habe das schon seit damals gehasst, ich tue es immer noch. Es ist offen gesagt einfach anstrengend ein Teil dieser Gesellschaft sein zu müssen. Und die Depression kam dann erst später dazu, als ich so um die sechzehn war glaube ich. Da kamen wir ja immer wieder auf Zukunftspläne zu sprechen und ich fand einfach keinen Grund zu leben, ich begriff nicht was daran Spaß macht. Arbeiten um zu überleben und mit seiner Freizeit nichts anfangen zu können, da einen währenddessen diese ganzen Sorgen plagen. Ich hatte keine Lust mehr zu leben, habe es nur noch für andere durchgehalten. Ich dachte mir die ganze Zeit, wenn ich mich umbringe würde ich Menschen Probleme machen, vielleicht wäre sogar jemand traurig. Daher habe ich es nicht gemacht, bis heute nicht. Und vor ein paar Jahren fing es dann an aufzuhören, ich dachte die Depression wäre vorbei da ich nicht mehr so oft traurig war oder mich schlecht fühlte, doch es stellte sich heraus, dass ich nur ein anderes Stadium erreicht habe. Und zwar jenes, in dem man einfach nichts mehr so richtig fühlt, die ganzen Dinge die einem durch den Kopf schwirren nicht mehr einordnen kann und dann einfach nur noch lebt ohne darüber nachzudenken. Man verdrängt einfach alles und lebt weil man muss. So geht es mir momentan, ablenken von dieser...Leere sage ich mal konnte ich dann nur so." Er zeigte mit zittriger Hand auf seine Arme, bevor er weiter spricht. Inzwischen konnte er Jimin auch wieder so halbwegs anschauen, er wirkte nicht mehr ganz so verzweifelt wie eben.

"Als ich Teenager war, habe ich es nur manchmal gemacht, nur wenn ich mich wirklich traurig gefühlt habe, doch jetzt.....mache ich es immer um mich von diesem Gefühlschaos und gleichzeitig dem nichts fühlen - ich kann das kaum noch unterscheiden, manchmal ist es auch beides gleichzeitig - abzulenken, da man da endlich mal etwas fühlt, was man einordnen kann. Schmerz, endlich mal physischen statt psychischen und danach Erleichterung, es überkommt einen immer das Gefühl dass man das bekam, was man verdient. Und da dieser Zustand momentan eigentlich fast immer da ist, habe ich es so oft gemacht, daher sind meine Arme jetzt so voll. Vor zwei oder drei Jahren sah das noch anders aus, aber jetzt.... Jimin das alles tut mir so unfassbar Leid, dass ich dich jetzt damit belaste. Ich wollte da allein durch, ich habe gehofft dass es besser wird!" Taehyung hoffte, dass er es ihm glaubte. Denn das war nicht seine Hoffnung, er wollte einfach weiter kämpfen bis sich ihm die richtige Gelegenheit ergab einfach zu sterben. Doch Jimin war immer noch ein wenig misstrauisch und traurig.

Taehyungs Augen blieben die ganze Zeit leer, erst war er nervös doch nachdem er alles erzählt hatte, war er wieder leer. Man konnte rein gar nichts von seinen Augen ablesen und er hoffte innigst, dass dies so blieb. Er wollte nicht vor Jimin in Emotionen ausbrechen, nicht noch mehr als er es eh schon tut.

"Und wieso bist du dann....wieso bist du dann heute doch auf die Bahnschienen gestiegen? Was hat dich dann so weit gebracht, dass du aufgeben wolltest?" Jetzt wollte Taehyung lügen, er konnte ihm nicht sagen, dass er es dieses mal einfach als passenden Moment empfunden hatte.

"Es war eher eine Tat aus dem Affekt, du hast meine Narben gesehen und ich war vollkommen überfordert. Ich wollte da allein durchstehen und dir nicht auch noch Sorgen und Probleme damit machen und dann passiert sowas. Ich wollte auch eigentlich nur raus gehen und wiederkommen, wenn du das verarbeitet hast und ich das erklären kann, doch dann kam mir der spontane Gedanke, besser gesagt der starke Drang mich einfach umzubringen. Ich dachte mir nichts besonderes dabei, ich wollte einfach aufgeben und mir erschien dies als der beste und einzige Weg davor wegzulaufen. Aber...zum Glück hat der Zug gehalten, ich hätte dich so unfassbar traurig gemacht....Das hätte ich nicht machen dürfen, es tut mir so Leid." Taehyung brachte ein paar gespielte Emotionen in seine Augen, ihm tat es zwar wirklich Leid aber die Hälfte von dem war nun mal gelogen. Außerdem hatte er reale Emotionen über die letzten Jahre aus seinen Augen verbannt, es war zu seinem eigenen Schutz. Er musste das allein schaffen, das allein durchstehen.

Jimin war einfach immer noch zu überwältig und überfordert von dieser ungewohnten Situation, dass er dies nicht bemerkte. Vielleicht hatte er sich auch einfach zu sehr an den gespielten Tae gewöhnt, dass es ihm schon gar nicht mehr auffiel. Taehyung versteckte sich schließlich schon sehr lange vor seinen Emotionen, bereits als früher Teenager war er wirklich geübt darin, Freude vorzutäuschen, Trauer und Angst zu verstecken und sich nichts anmerken zu lassen. Jimin, den er seit klein auf kannte, schob diese Veränderung in seinen Augen und seiner Art einfach immer nur auf die Pubertät, sodass ihm nie auffiel wie sehr er eigentlich litt. Erst jetzt wurde ihm das alles klar, aber der Fakt, dass er inzwischen jede einzelne Emotion spielte wurde ihm nicht klar. Gut für Taehyung, er wollte ihm nicht noch mehr Sorgen aufhalsen, als er es eh schon tut. Er will nach wie vor allein weiter kämpfen, bis er endlich aufgeben darf.

Die Hoffnung auf Besserung hat er über die Jahre verloren...

Train° ~ Taehyung FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt