4 - Zusammenbrüche

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Die Gemeinschaftsräume auf der Polus II Bodenstation waren ein bisschen wie ein altes Paar Turnschuhe: muffig und zu eng, um noch gemütlich zu sein. Zwei kleinere Räume ließen sich nämlich einfacher beheizen als ein großer; es kam im Endeffekt aber quasi auf's selbe raus, weil die Verbindungstüren trotzdem immer offen standen. Muffig war es, weil die Belüftungsanlage eine Macke hatte, aber nirgends Ersatzteile zu finden waren, um sie zu reparieren.

Im ersten Raum standen ein Tisch mit einer Sitzecke und ein paar Stühlen, und ein Regal, in dem sich Brett- und Kartenspiele stapelten. Die Pappschachteln der Spiele waren zerfleddert, die Sitzpolster verschlissen und der Teppich abgenutzt. Über die Zeit hatten sich helle Flecken in den Boden gegraben, dort, wo die Möbel standen.

Vlesk konnte schon aus dem Flur sehen, wie Kutcher mit dem Stuhl kippelte. Die Lampe im Raum warf einen langen Schatten von ihm in den dunklen Flur und seine Silhouette hob sich vor dem hellen Viereck zwischen den Türrahmen ab.

Sofort hatte Vlesk vor Augen, wie der Stuhl durch die Gewichtsverlagerung in diesem ungünstigen Winkel zusammenbrach und überlegte, mit welchem Werkzeug der Stuhl repariert werden konnte. Es war nämlich nicht so, dass sie besonders viele hatten, und die meisten waren schon etwas marode. Viele hatten den Umzug nicht überlebt, als die Station das letzte Mal verlegt worden war.

Jemand polterte in der Küche, etwas klirrte und eine Schranktür fiel zu. Vlesk warf einen Blick in den Raum. Es war Baso. Sie hielt ein Glas unter den Wasserhahn und als sie Vlesk in der Tür stehen sah, füllte sie noch ein zweites auf und reichte es ihm.

»Danke.« Er lehnte sich neben sie an die Arbeitsplatte und nahm einen großen Schluck. »Es ist merkwürdig, oder? Dieses Virus...«

Erst reagierte sie nicht – sie starrte abwesend auf den Boden ihres Glases, bis sie leise erklärte, was ihr durch den Kopf ging. »Shantao hat schon Recht, es ist... so viel unwahrscheinlicher, dass er es ist. Wir sind zusammen aus Specimen gekommen und ich hab ihn kurz vorher noch gesehen, bevor ich an der Lifeline war. Und da war Shorty schon ganz sicher tot.« Sie rieb sich mit der Hand über die Schläfe. »Das haut zeitlich irgendwie nicht hin.«

Vlesk tippte nachdenklich mit den Fingern gegen das Glas, ehe er innehielt und noch einen Schluck nahm. »Du denkst es ist Karuzo?«

»Nein!«

Erschrockene Stille, bis Baso vorsichtiger fortfuhr. »Ich weiß nicht. Wirklich- ich... Wir können einfach nicht noch jemanden verlieren.«

»Wir werden Shorty alle vermissen.«

Baso nickte erst und schüttelte den Kopf, als Vlesk die Hand nach ihr ausstreckte. Mit belegter Stimme machte sie einen Schritt Richtung Tür. »Ich brauch mal ein bisschen Ruhe, allein.«

Schweigend sah er ihr nach wie sie in den Flur verschwand. War sie in Sicherheit, wenn sie alleine in ihrem Raum war? Hoffentlich – wo sonst?

Er seufzte. Eigentlich freute Vlesk sich immer darauf, nach Feierabend endlich ohne den anstrengenden Anzug rumlaufen zu können, weil die Schlafräume gesichert und belüftet waren. Aber heute fehlte ihm der Schutz, den der Anzug gab. Die Bedrohung war nicht länger eine Chemikalie oder schlechte Umweltbedingungen, sie kam von innen. Und sie fühlte sich verdammt beschissen an.

Im Gemeinschaftsraum saß Kutcher mit Bart und Gnu am Tisch und sie spielten stillschweigend eines der Gemeinschaftsspiele, bei dem sie sich normalerweise alle mit größtem Vergnügen in die Haare kriegen konnten. Gnu schniefte ständig und konnte keinen geraden Satz hervorbringen, Bart stieß alle Gläser um. (Nur) Kutchers Stuhl brach nicht zusammen.

Als Vlesk sich ihm gegenüber setzte, hörte Kutcher auf zu kippeln und wechselte ein paar Blicke mit ihm. Nicht mehr als eine Begrüßung; Vlesk gab sich nicht der Illusion hin etwas tiefergehendes nur mit hochgehobenen Augenbrauen kommunizieren zu können und trotzdem bedeutete er ihm mit einem kleinen Nicken durch die offene Durchgangstür zu schauen.

fast schon Blutmond // Among UsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt