Kapitel 14: "So sind die Regeln"

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Noah


Es ist eine schlaflose Nacht für mich. Ständig wälze ich mich hin und her. Bekomme kein Auge zu. Folge stattdessen dem Mond in seiner Umlaufbahn und muss ständig an diesen Mann denken und an Lexas Worte. ‚Bitte lass nicht zu, dass er mir wieder wehtut'. Immer und immer wieder wiederholen sich diese Worte in meinem Kopf. Es ist es das erste Mal, dass ich Lexa so gesehen habe und ich habe nicht gedacht, dass sie sich jemals so zeigen wird.

Mein Handy zeigt fünf Uhr in der Nacht an und ich bin noch hellwach. ‚Kindesmusshandlung. Versuchter Todschlag'. Was sie wohl durchgemacht haben muss. Und wenn hat ihr Vater versucht umzubringen? Unruhig stehe ich auf. Wie hat er Lexa gefunden und was spricht dagegen, dass er hier noch einmal auftaucht? Hat er sie zwei Jahre misshandelt? Ist deswegen ihre Mutter verschwunden? Zu viele Fragen und zu wenig Antworten. Wenn ich könnte, würde ich jetzt Josh oder Nayla anrufen. Sie nach Rat fragen, aber ich habe es versprochen. Gestern hat sie mir vertraut. Das will ich nicht sofort wieder zerstören.

Ich ziehe mir ein einfaches Oberteil über und tapse leise die Stufen runter. Schlaf kann ich jetzt sowieso vergessen, da kann ich mir auch was zu trinken holen. Je weiter ich hinunter schreite, desto mehr sieht man das Licht, welches in der Küche brennt. Mein Herz wird schneller. Er wird nicht da sein. Wieso sollte er auch jetzt hier sein? Ich biege um die Ecke und erkenne den Hinterkopf meiner Mutter. „Du bist wach", stelle ich ernüchternd fest und hole mir ein Glas aus dem Schrank. Sie zuckt bei meinen Worten zusammen. Wahrscheinlich hat sie mich nicht gehört. Wahrscheinlich ist sie in Gedanken.

„Solltest du nicht auch schon längst schlafen?", stellt sie als Gegenfrage. Anstatt ihr zu Antworten setzte ich mich ihr nur Gegenüber. „Du doch auch." Ertappt sagt sie nichts dazu. Nippt stattdessen nur an ihrem Kaffee. „Ich denke, dass ihr heute aus der Schule bleiben solltet. Die werden Verständnis dafür haben." „Glaubst du wirklich, dass es Lexa besser gehen wird, wenn sie, statt in der Schule zu sitzen, den ganzen Tag allein in ihrem Zimmer ist?", bezweifle ich. „Ich weiß es nicht Schatz. So eine Situation ist doch auch neu für mich. Ich habe schon im Heim angerufen, um zu fragen, wie es sein kann, dass ihr Vater hier aufgetaucht ist." „Und?" „Nichts. Sie wissen es selbst nicht und überprüfen jetzt irgendwie alles", erklärt sie und streicht sich erschöpft die Haare aus dem Gesicht.
„Ich will gar nicht daran denken, was passiert wäre, wenn du nicht dagewesen wärst." Zitternd umschließt ihre Hand wieder die Tasse. „Ich war aber da. Die Polizei ist informiert und sie werden ihn bestimmt bald bekommen. Der taucht hier nicht mehr auf", muntere ich meine Mum auf und lächle sie ermutigend an. „Was würde ich nur ohne dich tun?" „Jetzt allein hier sitzen?", scherze ich, was ihr ein leichtes Schmunzeln entlockt.

„Hast du es Dad erzählt?" „Natürlich. Es wäre nicht fair es vor ihm zu verheimlichen. Er wollte schon loslaufen und ihn selber suchen", erzählt die Frau vor mir. „Typisch." Bestätigend nickt sie. Dann herrscht Stille. „Versuch noch etwas zu schlafen, ja? Ich ruf in der Schule für euch beide an." Ich nicke ergeben, trinke mein Glas leer und begebe mich langsam wieder die Treppe hoch. Soll ich es Lexa jetzt sagen? Oder erst wenn sie aufsteht. Wenn sie überhaupt aufsteht, so wie sie gestern ausgesehen hat. Leise, um besagte Person nicht zu wecken, begebe ich mich zurück in mein Zimmer.

Draußen ist es noch immer dunkel, aber bald wird die Sonne aufgehen und dann ist offiziell ein neuer Tag angebrochen, an dem irgendetwas schief gehen kann. Erschöpft werfe ich mich auf mein Bett, richte mich aber sofort wieder auf, als ich eine Silhouette draußen sehe. Ich begebe mich zum Fenster und sehe, wie Lexa am Rand des Vordaches sitzt und ihre Beine runterbaumeln. Gedankenverloren guckt sie ins nichts. Sie wird erfrieren, so wie sie dort sitzt.

Ich nehme mir eine Decke aus meinem Schrank und öffne leise das Fenster, nur um aus ihm heraus zu klettern. Vorsichtig klettere ich das Schräge hinunter, auf das grade Vordach und lege ihr die Decke um die Schultern. Merklich zuckt sie zusammen und dreht sich zu mir um. Kurz scheint sie zu überlegen, was sie machen soll, bis sie die Decke nimmt und sie fester umschließt. Vorsichtig setze ich mich neben sie. Merke schon, wie sich die Kälte durch meine Hose brennt.

Not quite humanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt