Kapitel 18: "Nein, ich hätte dich nicht gefressen"

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Noah

Ich betrete das Zimmer, wie ich es schon das ein oder andere Mal in den letzten Wochen gemacht habe, um Lexa zu Wecken oder um zu gucken, ob sie noch da ist. Aber es ist das erste Mal, dass ich mich auch wirklich umsehe. Abgesehen von drei Bildern und wenigen Büchern ist nichts Persönliches an diesem Raum. Nichts was darauf schließen lässt, dass hier tatsächlich einer wohnt. „Anomolis also. Dann hast du mich das letzte Mal vor den Dingos gerettet?", unterbreche ich die Stille, sehe sie aber nicht an, starre jeglich auf die beiden Bilder auf der Kommode.

Sie schweigt. „Ich habe dich nicht gerettet, ich habe nur mein Revier verteidigt", behauptet sie und im Augenwinkel sehe ich, wie sie auf ihrer Zunge rum kaut. Automatisch muss ich grinsen. Dafür, dass sie schon ihr ganzes Leben lang lügen müsste, kann sie unglaublich schlecht in Drucksituationen lügen.

Das erste Bild zeigt drei Personen. Ich nehme an ihre Eltern und Lexa als kleines Kind. Vielleicht war sie da 9. Sie stehen glücklich vor einem Haus. Grinsen in die Kamera. Ich höre wie das Bett quietsch. „Wieso hast du das Bild behalten?", stelle ich meine erste Frage. Ja es sind ihre Eltern, aber nach der Aktion von ihrem Vater neulich. Wieso behält sie dieses Bild, wenn sie nur noch schlechte Erinnerungen an ihn hat?

Sie stellt sich neben mich, jedoch noch mit genug Abstand zwischen uns. Ebenfalls starrt sie das Bild an. „Nachdem meine Mutter nicht mehr da war, hat mein Vater alles von ihr verbrannt. Wollte nichts mehr sehen, was ihn an sie erinnert. Das war das letzte Bild was ich von ihr retten konnte. Es erinnert mich an bessere Zeiten", gibt sie ehrlich zu. „Und dein Vater...?", beginne ich vorsichtig. Ich weiß, dass sie nicht gerne über ihre Vorgeschichte spricht. „Wie gesagt, mein Vater wollte nichts mehr sehen, was ihn an meine Mutter erinnert. Er ist mir aus dem Weg gegangen. Teilweise stundenlang weggeblieben. Irgendwann hat er gemerkt, dass das nicht viel bringt, also hat er angefangen zu trinken. Ich denke mal, in der Hoffnung, dass es hilft, sie zu vergessen. Ich glaube, dass hat ihm eine Zeitlang geholfen, aber irgendwann dann auch nicht mehr. Er brauche einen Sündenbock für das was passiert ist. Und was eignet sich besser als die Tochter, die ihr am ähnlichsten sieht und ihr nicht geholfen hat? Vielleicht wollte er auch einfach ihr Gesicht vergessen und wollte deswegen meins zerstören", erzählt sie und starrt weiter auf das Bild.

„Aber was kannst du denn dafür, dass deine Mum verschwunden ist?" Verwundert betrachte ich sie von der Seite und leicht zieht sie ihre Augenbrauen zusammen, bevor sie sie wieder entspannt. „Meine Mutter ist nicht verschwunden. Das ist nur einfacher zu erzählen, als dass sie von einem Jäger, mitten im nichts, vor meinen Augen erschossen worden ist", erklärt sie und wie auf Knopfdruck wird mein Herz schwer. Ich will sie in den Arm nehmen, aber das würde sie nicht wollen.

„Und der versuchte Totschlag?" Ich weiß, ich sollte deswegen nicht weiter nachfragen und eigentlich wollte sie mir andere Sachen erzählen, aber grade ist sie nun mal bereit dazu. Wer weiß, wann das wieder ist. In ihrem Kopf rattert es, dass kann man deutlich sehen. Sie geht einmal um mich herum, zu dem anderen Bild, ich folge ihrem Blick und starre auf das Bild. Dort ist ein großer Leopard zu sehen. Zwischen seinen Beinen sitzt ein kleinerer und hält seinen Kopf schief. Es ist immer noch surreal, dass das wirklich Lexa sein soll. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass das irgendein gemaltes Bild aus dem Internet ist.

„Wie gesagt, mein Vater hat mir für ihren Tod die Schuld geben. Eines Abends, ich war zwölf gewesen, kam er stock besoffen nach Hause. Hat gesagt, dass er es nicht zulassen kann, dass ich weitere Menschen mit in den Tod ziehe. Dass ich ein Monster bin. Und so weiter. Er hat alles Mögliche nach mir geworfen. Tassen, Teller, Stühle, Besteck, Gläser. Alles was er greifen konnte. Aber er wusste auch, dass die Nachbarn ihn hören würden. Also hat er sich einen Splitter geschnappt und mir die Pulsader aufgeschnitten. Glücklicherweise waren meine Nachbarn ebenfalls Anomolis. Das Nächste, woran ich mich erinnern kann, ist, wie ich im Krankenwagen liege." Mir läuft ein Schauer über den Rücken und ich sehe, wie Lexa sich wieder über die Narbe streicht. Also hat sie sich gar nicht versucht selber umzubringen. Was sie wohl sonst so alles durch machen musste? Aber das wäre jetzt zu viel verlangt, danach zu fragen.

Not quite humanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt