Noah
„Ich... Es tut...", murmelt sie, aber ich kann mich nicht bewegen. Bin eingefroren. Starre in ihre gelben Augen und kann nur dabei zusehen, wie sie sich verwandelt und schließlich auf vier Pfoten vor mir stehen bleibt.
Mein Atem stockt und mein Herz schrumpft zu der Größe einer Erdnuss. Ich bin betäubt und obwohl alles in mir schreit, dass ich weglaufen soll, bleibe ich eingekauert an der Wand sitzen. Das Tier ist sowie schneller als ich. Ich presse mich so tief ich kann in die Mauer des Stalles und versuche mich sonst nicht zu bewegen. Ich werde sterben. Und das nur, weil ich meinen Eltern nichts von dem Leoparden gesagt habe.
Das Tier, oder bessere gesagt das Tier, welches vor weniger als zehn Sekunden noch Lexa gewesen ist, kommt mit großen Schritten auf mich zu. Die Augen zu kleinen Schlitzen verformt und mein Spiegelbild ihn ihnen. Es knurrt mich an und stoppt, als sich unsere Nasen fast berühren. „Bitte friss mich nicht." Ich merke wie sich eine Träne aus meinem Augenwinkel löst. Und tief in mir bete ich, dass irgendwo da drin noch Lexa ist.
Dass sie mich noch nicht fressen möchte. Ein großer Kloß sitzt in meinem Hals. Dann schüttelt das Tier den Kopf, die Pupillen werden groß und fast schon erschrocken geht es ein paar Schritte zurück. Aber anstatt wegzurennen oder irgendwas nach ihr zu werfen, bleibe ich sitzen. Der Schweiß rinnt meinen Rücken herunter und mit Sicherheit komme ich einem Stück Kreide gleich.
Panisch blickt es sich um, bevor sein Blick an dem kleinen Fenster stehen bleibt und es mit einem Satz hindurch springt. Mir ist warm. Wenn nicht sogar heiß. Mitten im Herbst am frühsten Morgen. Was habe ich da grade gesehen? Obwohl es weg ist, bleibe ich sitzen. Immer noch nicht in der Lage dazu mich zu bewegen.
Wie im Zeitraffer merke ich, wie die Sonne langsam aufgeht und es heller wird. Von draußen hört man die Pferde, aber in meinem Kopf spielt sich immer und immer wieder die gleiche Situation ab. Immer und immer wieder sehe ich Lexas gelbe Augen, die auf meine Netzhaut gebrannt wurden. Was war das gewesen und was ist sie? Ist sie überhaupt ein Mensch? Hätte sie mich gefressen? Hat sie mich letztens von den Dingos gerettet? Zu den Fragen, die sowieso schon ihr bezüglich in meinem Kopf rumschwirren, kommen neue dazu.
Mein Atem stockt immer noch und mit wackligen Beinen stehe ich auf. Wie in Trance gehe ich aus dem Stall und öffne möglichst leise die Haustüre, die ich aufgelassen hatte. „Noah? Wo kommst du denn her?" Verwundert kommt meine Mum aus dem Wohnzimmer und guckt mich an. „Ist alles gut. Du bist so blass." Sie kommt näher, wobei ich ihr ein paar Schritte entgegen komme. „Hast du Fieber? Du bist so kalt." Besorgt legt sie mir eine Hand auf die Stirn. „Mir geht's gut", murmle ich. „Nur Lexa... sie... sie", stottere ich und sofort legt sich ein noch besorgterer Blick auf das Gesicht meiner Mum. „Was ist mit ihr? Hat sie sich verletzt? Geht's ihr gut."
Meine Spucke bleibt mir weg. Sie wird das nicht verkraften. Niemals. Sie wird es nicht verkraften, dass Lexa ein Fleisch fressendes Tier ist, welches mich fast getötet hätte. Nicht jetzt. Nicht so wie ich jetzt aussehe. „Noah, bitte sei ehrlich zu mir." Eindringlich sieht sie mich an. Sofort überkommt mich ein schlechtes Gewissen. Früher habe ich sie nie belogen, aber seitdem Lexa da ist....
„Sie... ihr geht es gut. Sie wollte nur ein bisschen alleine sein." Notdürftig versuche ich sie an zu Lächeln, was vermutlich bescheuert aussieht. „Na dann ist gut. Und zieh dir bitte was Wärmeres an. Ich will nicht, dass du Krank wirst. Ich mach Frühstück. Ja?" „Ja, Mum", stimme ich ihr bei beiden Punkten zu und besteige die Treppe mit schnellen Schritten.
Wieso nehme ich sie in Schutz? Vor allem wieso nach heute? Tut sie mir leid? Oder will ich erst einmal eine Erklärung von ihr hören? Anstatt in mein Zimmer zu gehen, gehe ich in das angrenzende Badezimmer und schütte mir eine Ladung Wasser ins Gesicht, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Was mache ich hier eigentlich? Ich nehme eine Person in Schutz, die sich so verhält, als wolle sie gar nicht hier sein.
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Not quite human
Fantasy"Wünsch dir was", höre ich Noah neben mir flüstern. [...] Langsam lasse ich meinen Kopf sinken und meine Augen wandern zu ihm. Sein Gesicht wird vom Feuer erhellt, sodass eine Gesichtshälfte in Schatten getaucht ist und es wirkt fast so, als würde...