Lexa
Normalerweise müsste man meinen, dass es hier still ist. Dass man seine absolute Ruhe hier hat. Und in manchen seltenen Augenblicken ist das auch so. Dann ist kein Vogel am Himmel. Kein Insekt im Baum und kein Tier am Boden. Aber diese Augenblicke sind selten. Selten und kostbar.
Heute ist nicht so ein Tag. Die Sonne brennt, trotz der Blätter, auf meinem Fell und die Vögel fliegen ihren Weg durch die kühlen Lüfte. Ebenso wie sich die Hufen eines Pferdes ihren Weg über den heißen Sandboden suchen. Ein Pferd? Heute sind keine Gruppen unterwegs. Das wüsste ich. Als ich mich umgucke, erkenne ich wie Noah auf mich zugeritten kommt und etwas hilflos durch die Gegend guckt. Was will der denn jetzt hier? Hat er mich aus dem Fenster klettern sehen? Eigentlich nicht. Und wenn doch, wieso sollte er mir folgen?
Vor dem Baum bleibt er stehen. Geschützt durch die dichte Blätterkrone, blicke ich herunter und kann spüren, wie sein Pferd immer nervöser wird. Super. Also habe ich einen zu neugierigen Jungen. Ein nervöses Pferd und keine Möglichkeit zu fliehen. Es bleibt mir keine andere Möglichkeit als hier oben zu bleiben und abzuwarten.
Eine Bewegung lässt mich von ihm wegsehen. Für einen Wimpernschlag wahr zu nehmen. Eine Bewegung im Busch. Vorsichtig stehe ich auf. Spitze die Ohren. Irgendwas ist dort. Etwas, dass nicht freundlich gesinnt ist. Sonst würde es bei dem Anblick des Pferdes flüchten. Wobei das Pferd die Geräusche wohl auch vernommen hat.
Es steigt. Noah, der wohl von dieser Bewegung überrumpelt wurde, fällt von ihm runter und bleibt für eine Sekunde liegen. Eine Sekunde, in der er sich nicht bewegt. Eine Sekunde, in der er nicht atmet und auch sein Herz kurz aussetzt. Eine Sekunde, in der ich überlege, mich zu verwandeln und zu ihm zu gehen. Eine Sekunde die sich in die Ewigkeit zieht.
Er bleibt regungslos liegen, während sein Pferd das Weite sucht. Dann richtet er sich langsam auf. Gibt ein stöhnen von sich und erleichtert atme ich aus. Ihm geht es also so weit gut. Eine kleine Staubschicht hat sich auf ihm gebildet, die er mit Leichtigkeit von sich abklopft.
Das Rascheln im Busch lenkt meinen Blick von ihm weg. Egal was dort ist, es hat Noah im Visier. Und wahrscheinlich hat es Hunger. Egal was dort ist, Noah hat keine Chance. Und einen Toten Stiefbruder kann ich jetzt auch nicht gebrauchen. Dann heißt es 'ganz schnell zurück ins Heim'. Aber besser als mit dieser freien Fläche kann ich es nicht treffen. Sonst schicken sie mich wahrscheinlich wieder in irgendeine Großstadt.
Langsam geht der braun haarige Junge Richtung des raschelnden Gebüschs. Ist der komplett leichtsinnig? Oder er ist lebensmüde. Wieso rennt er nicht weg? Egal was dort ist, er muss doch wissen, dass er keine Chance hat. Aber wenn ich jetzt da runter gehe, sieht er mich. Ich könnte mich verwandeln und dann runter. Aber erstens stellt er dann Fragen und zweitens ist es nicht ausgeschlossen, dass ich mich dann wieder verwandle, bei dem was dort ist.
Zwei Augenpaar blinzeln aus dem toten Busch heraus und langsam kann ich die beiden Dingos erkennen, die dort im Gebüsch hocken. Sie müssen Hunger haben. Und wo zwei sind, sind die Anderen nicht weit. Sie werden ihn zerfleischen. Und wenn ich dort nicht runter gehe, kann ich es nicht verhindern. Langsam setze ich eine Pfote nach der anderen den Baum runter. Dabei knurre ich, in der Hoffnung, dass Noah doch noch das Weite sucht. Aber stattdessen dreht er sich nur langsam um und geht Rückwerts in Richtung der Dingos. Wieso kann er nicht einfach wie ein normaler Mensch von den Gefahren weglaufen, anstatt auf sie zu zugehen?
„Bitte tu mir nichts", höre ich ihn murmeln, aber mein Blick bleibt auf den Busch gerichtet. Einer setzt einen Schritt aus dem Busch heraus, wodurch man ihn genau erkennen kann. Sein braunes Fell ist von Staub bedeckt und an der Seite kann man seine Rippen sehen. Sie müssen also wirklich Hunger haben, wenn sie selbst nicht abhauen, wenn sie eine Raubkatze sehen. Aber Noah scheint dies natürlich nicht mitbekommen haben. Stattdessen starrt er mich an. Ich renne los, setze zum Sprung an und fliege über ihn, wodurch ich den Dingo aufschrecke und er einen Satz auf die Seite macht. Auch sein Artgenosse kommt nun aus seinem Versteck und knurrt mich an. Das kann ja jetzt spaßig werden.
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Not quite human
Fantasía"Wünsch dir was", höre ich Noah neben mir flüstern. [...] Langsam lasse ich meinen Kopf sinken und meine Augen wandern zu ihm. Sein Gesicht wird vom Feuer erhellt, sodass eine Gesichtshälfte in Schatten getaucht ist und es wirkt fast so, als würde...